Debatte des Tages. Die deutschen Gerichte hätten die Klage des Braunschweigers Ulrich Koch gegen ein Sterbehilfe-Verbot nicht abweisen dürfen. Reden Sie mit: Muss Deutschland Ausnahmen von dem Verbot zulassen?

Das urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Die zentrale Frage nach einem Recht auf Sterbehilfe ließen die Richter in Straßburg am Donnerstag unbeantwortet. Dennoch empfindet Ulrich Koch das Urteil nicht als Niederlage. „Es ist ein Schritt auf dem Weg zu einem noch größeren Erfolg“, sagte er in Braunschweig. Straßburg „Ich werde weiter kämpfen“, erklärte der 69-Jährige.

Nach ihrem schweren Sturz war Bettina Koch vom Hals abwärts gelähmt. Schon damals äußerte sie ihren Wunsch, zu sterben.
Nach ihrem schweren Sturz war Bettina Koch vom Hals abwärts gelähmt. Schon damals äußerte sie ihren Wunsch, zu sterben. © privat

Der Witwer kämpft für seine Frau, die nach einem Unfall vom Hals abwärts gelähmt war, künstlich beatmet werden musste und unter Krämpfen litt. Sie wollte sterben, doch das Bundesinstitut für Arzneimittel hatte ihren Antrag auf ein tödliches Medikament abgelehnt. Dagegen legte sie Widerspruch ein. 2005 nahm sich die damals 53-Jährige schließlich mit Hilfe des Vereins Dignitas in der Schweiz das Leben.

Ulrich Koch wollte das Verfahren vor den deutschen Gerichten im Namen seiner Frau weiterführen – das wurde ihm verwehrt, da er nicht in seinen eigenen Rechten verletzt sei. Der Europäische Gerichtshof rügte am Donnerstag Deutschland wegen seines Umgangs mit dem Thema Sterbehilfe: „Die Gerichte hätten sich mit der Frage beschäftigen müssen“, erklärte Sprecherin Nina Salomon. Der Witwer habe „ein starkes und fortbestehendes Interesse“ gehabt, den Fall prüfen zu lassen. Mit der Weigerung der Gerichte sei gegen sein Grundrecht auf Schutz des Privatlebens verstoßen worden.

„Der Europäische Gerichtshof hat den deutschen Gerichten eine Ohrfeige verpasst“, sagte Detlef Koch, Anwalt des Witwers. Enttäuschend sei allerdings, dass sich der Gerichtshof nicht zu inhaltlichen Fragen zur Sterbehilfe geäußert habe. Er werde prüfen, ob man Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen könne. Auch werde man sich wieder an die deutschen Gerichte wenden. „Der Kampf geht weiter – notfalls auch wieder bis nach Europa.“

Das Bundesjustizministerium erklärte, durch das Urteil ergebe sich kein Handlungsbedarf. Der Chef der Sterbehilfeorganisation Dignitas, Ludwig Minelli, kritisierte gegenüber unserer Zeitung, dass sich führende Politiker in Deutschland nicht mit dem Thema Sterbehilfe auseinander setzen wollten. Der Verein war der Beschwerde des Braunschweigers vor dem Gerichtshof beigetreten.