Braunschweig. Beim Leserforum diskutieren Redaktion, Ombudsrat, Experten und Leser, wie die Diskussionskultur im Internet besser werden kann.
Unsere Leserin Karin Heidemann-Thien schreibt:
Ich bin strikt dagegen, dass anonyme Kommentare weiter veröffentlicht und zugänglich gemacht werden. Ob eine Registrierung die Debatte inhaltlich vertiefen wird, wage ich zu bezweifeln, aber es ist zumindest eine Hemmschwelle.
„Dieses ideologisierte Blättchen kann mit Kritik nicht umgehen.“ Diesen Kommentar setzte ein Nutzer namens „Strammer Rechtsaußen“ in die Diskussionsspalte unter den ersten Onlineartikel über das Leserforum „Online anonym mitreden – oder Gesicht zeigen?“.
Mit ihrem Start im Internet hat sich diese Zeitung für fast grenzenlose Meinungsfreiheit entschieden. Jeder kann ohne Anmeldung online Artikel kommentieren und mit anderen Nutzern diskutieren. Nur strafbare Äußerungen und Verstöße gegen die Netiquette werden von der Onlineredaktion mit einem Hinweis entfernt.
Aber: Kommentare wie der von „Strammer Rechtsaußen“ sind Grenzfälle. Sie spielen fernab vom Thema des Artikels. Sind unfreundlich, aber nicht strafbar. Sie zerreißen intensive Debatten, stören damit Leser, Kommentatoren und Redakteure. „Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Zählt das Argument noch, dass Meinungsfreiheit vor Ausweispflicht geht? Diese Fragen wollen wir gemeinsam mit unseren Lesern als Partnern diskutieren“, erläuterte Chefredakteur Armin Maus den Anlass für das Leserforum, das am Dienstagabend im BZV Medienhaus stattfand.
Leserforum: Online anonym mitreden – ja oder nein?
35 Leser waren gekommen, um mit Redaktion, Ombudsrat und Experten an einem Runden Tisch zu diskutieren. Eine klare Antwort fand Leser Mehmed Akyalcin aus Peine: „Das Problem ist doch: Wenn wir ständig von Alltagsrassismus, ungebührlichen Aussagen und Beschimpfungen umgeben sind, gewöhnen wir uns daran. Dem muss entgegengewirkt werden. Die Kommunikationshürden müssen angehoben werden.“
Wie dies umgesetzt werden kann, beschrieb Professor Susanne Robra-Bissantz vom Institut für Wirtschaftsinformatik der TU Braunschweig: „Wir müssen darauf achten, nicht das Ziel und die Mittel zu verwechseln.“ Das Ziel sei es, eine partnerschaftliche Beziehung mit gesunder Debattenkultur auf den Nachrichtenseiten herzustellen. Zwischen Lesern und Redaktion, aber auch innerhalb der Leserschaft.
Robra-Bissantz: „Wenn die Plattform so gestaltet ist, dass sich die Kommentarschreiber als Teil einer Gruppe fühlen, dann ist für die Qualität der Diskussionen schon viel gewonnen.“
Als Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, sprach sich die Professorin für die Aufhebung der Anonymität aus: „Ich bin für die Verwendung von Pseudonymen. Aber eine Registrierung, damit wenigstens die Redaktion weiß, wer sich hinter dem Nickname verbirgt, halte ich für angebracht.“
Selbstregulierung durch Kommentarrankings?
Der Braunschweiger Robin Koppelmann schlug eine Verstärkung der Selbstregulierung innerhalb der Onlineforen vor: „Das Problem ist doch, dass die guten und die schlechten Kommentare gerade demokratisch behandelt werden: Alle sind gleich. Wenn sie nun von anderen Nutzern bewertet und dadurch mehr oder weniger sichtbar wären, könnte das helfen, Hetzer zu demaskieren und zu verdrängen.“ Leser Michael Heimbs entgegnete: „Ich glaube nicht, dass diese Form der Regulierung irgendetwas bringt. Eine Markierung oder Bewertung ist den Hetzern doch egal, sie werden einfach weiterschreiben.“
Dass es durchaus einen positiven Effekt haben kann, konstruktive Kommentare zu fördern, bestätigte die Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Professor Monika Taddicken: „Das Problem ist allerdings, dass sich die Guten zu schnell einschüchtern lassen und den Trollen das Feld überlassen.“ In einem Impulsvortrag stellte die Professorin eine Untersuchung der Kommentare auf den Nachrichtenseiten dieser Zeitung vor – mit dem Ergebnis, dass häufig eher über Befindlichkeiten als über Themen diskutiert werde.
Nicht nur Redakteure leiden unter den Repressalien im Internet
Emotionsbasierte Debatten, wie sie die Wissenschaftlerin und ihr Team auf den Nachrichtenseiten gefunden haben, wenden sich nicht selten gegen den Verfasser des Textes – oder gegen die Onlineredaktion, die den Kommentarbereich moderiert. Wie sich ein Redakteur dabei fühlt, verdeutlichte Onliner Philipp Engel: Vor allem, seit ihm ein Kommentator Gewalt angedroht habe, verspüre er innerlich eine gewisse Wachsamkeit, berichtete er.
Ombudsrat Joachim Hempel zeigte sich darüber deutlich empört: „Möchten die Pöbler vielleicht den Job von Herrn Engel machen? Sich von Gesichtslosen beleidigen lassen? Diese Zeitung leistet sich aus eigenem Antrieb einen Dialog mit den Lesern. Meinungsfreiheit heißt nicht, dass man mit ihr und ihren Mitarbeitern umgehen darf, wie man will.“
Nicht nur die Redaktion muss mit Herablassungen, Kränkungen und Hass umgehen. Immer häufiger treffen sie auch die Protagonisten von Artikeln. „Ich habe das Gefühl, dass sich die Situation in den letzten drei Jahren verschlimmert hat“, sagte David Mache, Ombudsrat und Stellvertreter des Chefredakteurs. „Dieser Abend ist dafür da, um gemeinsam zu überlegen, wie wir darauf reagieren wollen: Damit das Schlechte zukünftig verhindert und das Gute befördert wird.“
Die Vorschläge aus der Leserschaft werden nun in der Redaktion diskutiert. Chefredakteur Armin Maus versprach: „Wir werden Ihren Rat berücksichtigen und daraus Konsequenzen ziehen.“