Braunschweig. Die Lehrergewerkschaft fordert eine Aufwertung des Berufs. Die Große Koalition in Hannover will 1000 zusätzliche Stellen schaffen.

Unser Leser Lutz Tantow aus Rautheim fragt:

Ewig lese ich von Lehrermangel und sinkenden Schülerzahlen. Kann mit weitsichtiger Planung nicht rechtzeitig gegen gesteuert werden?

Die Antwort recherchierte Svenja Paetzold-Belz

Dass das Schulwesen in Niedersachsen in einer Krise steckt, ist spätestens seit Schuljahresbeginn bekannt. An allen Ecken fehlen Lehrer. „Der Markt, besonders für Grundschullehrer, ist leergefegt“, klagt Mike Finke, Vorsitzender des Niedersächsischen Landeselternrates.

Im Sommer vergangenen Jahres veröffentlichte die bisherige Niedersächsische Kultusministerin Frauke Heiligenstadt deswegen einen 17-Punkte-Aktionsplan zur Lehrkräftegewinnung. Mit einem leichteren Weg in den Lehrerberuf für Quereinsteiger, dem Einbinden von bereits pensionierten Kollegen und einer Erhöhung der Teilzeit sollte laut diesem Konzept unter anderem dem Mangel an Fachpersonal entgegengewirkt werden.

Außerdem wurden zahlreiche neue Lehrerstellen ausgeschrieben, mit insgesamt 71 018 im aktuellen Haushaltsjahr ist das Gesamtvolumen laut Kultusministerium größer als je zuvor. Allein die Bewerber fehlen. Acht Prozent der neu ausgeschrieben Stellen konnten zu Beginn des laufenden Schuljahres nicht besetzt werden. Statt der geplanten 1800 wurden nur 1649 Lehrer eingestellt. Das ging aus den Zahlen hervor, die das Niedersächsische Kultusministerium zu Beginn des Schuljahres veröffentlichte. Der Aktionsplan zur Lehrkräftegewinnung kann dieses Problem nur abmildern.

Die neue Landesregierung mit dem designierten Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) will nun mit mindestens 1000 zusätzlichen Lehrerstellen die Unterrichtsversorgung verbessern. Außerdem soll eine neue Arbeitszeitverordnung Lehrer über 55 Jahre entlasten, Grundschulleitungen sollen besser bezahlt werden.

„Lehramts-Studienplätze wurden von der CDU/FDP Regierung massiv abgebaut“, erklärt Kathleen Bosse, Sprecherin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Braunschweig im Gespräch mit unserer Zeitung.

Das Problem sitzt demnach tiefer. Es fehlt nicht nur an fertigen Lehrkräften, sondern auch an Nachwuchs. „Rot-Grün hatte die Zahl der Studienplätze zwar wieder erhöht, dies zeigt aber erst nach fünf bis sechs Jahren Wirkung.“ Auch die verlängerte Regelstudienzeit in den Masterstudiengängen für die Lehrämter an Grundschulen sowie an Haupt- und Realschulen zum Wintersemester 2014/15 trug dazu bei, dass jetzt Lehrer fehlen.

„Durch die Verlängerung der Studiendauer konnte mindestens ein Jahr lang nur eine geringere Anzahl von Lehramtsabsolventen in den Vorbereitungsdienst gehen“, sagt der Pressesprecher der Niedersächsischen Kultusministeriums, Sebastian Schumacher. „Im August 2016 wurde eine kleine Anzahl von ersten Absolventen in den Vorbereitungsdienst aufgenommen, zum Februar 2017 wurde die Anzahl bereits erhöht und im Februar 2018 wird sich die Anzahl nochmals erhöhen.“ Der hohe Bedarf für die Grundschulen in Niedersachsen sei zudem durch die Abschaffung der Studienmöglichkeit für das Grundschullehramt in den Studienorten Göttingen und Hannover verschärft worden.

Den bundesweit herrschenden Mangel an Lehrkräften sieht Kathleen Bosse aber vor allem in der abnehmenden Attraktivität des Berufs begründet. „Der Lehrerberuf ist sehr fordernd. In den letzten Jahren haben sich die Anforderungen noch erhöht“, sagt sie. „Trotzdem wurden die Unterrichtsstunden nicht reduziert. Lehrkräfte sind häufig am Ende ihrer Kraft.“

Auch finanzielle Gründe spielen eine Rolle. „Die Kollegen an Grund- und Hauptschulen und teilweise an Realschulen bekommen weniger Geld als die anderen Lehrämter. Das erhöht nicht gerade die Motivation. Mit 28 Wochenstunden ist außerdem die Unterrichtsverpflichtung an den Grundschulen am höchsten“, so Bosse. Zusätzlich haben die Beamten auf Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld verzichten müssen, um den Landeshaushalt zu entlasten.“

Im Schnitt verdienen Grundschullehrer laut Angaben der GEW in Niedersachsen brutto 3182,85 Euro. Ein Kollege, der an einem Gymnasium unterrichtet hingegen verdient 3664,60 Euro. „Wir brauchen A 13 als Gehaltsstufe für alle“, fordert Bosse. „Außerdem muss die Arbeitszeit für alle Lehrkräfte auf den Prüfstand: Die Pflichtstundenzahl muss deutlich verringert werden. Außerunterrichtliche Tätigkeiten müssen anerkannt werden.“ Denn Aufwertung muss nicht mehr Gehalt bedeuten. Mike Finke hält stattdessen eine Verbesserung der Lebensqualität für Lehrer für wichtig. „Besonders im ländlichen Raum müssen Anreize geschaffen werden. Verlässliche, durchgehende Betreuung für die Kinder von Lehrern zum Beispiel.“

Insgesamt sinken die Schülerzahlen laut der Statistik des Kultusministeriums in Niedersachsen seit Jahren. Die Statistikbroschüre prophezeit für die Zukunft ein weiteres Abnehmen: 2020 und 2025 sollen es rund 828 000 und 807 000 Schüler sein. Zum Vergleich: 2015 besuchten noch 846 609 junge Menschen allgemeinbildende Schulen.

Bundesweit, so schätzen die Kultusminister, wird es 2025 nur noch rund 7,2 Millionen Schüler geben. Zu einem ganz anderen Schluss kommt eine im Juli veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung. Laut dieser führen Zuwanderung und steigende Geburtenzahlen zu einem regelrechten Schüler-Boom. Mit 8,3 Millionen Schülern deutschlandweit rechnen die Verfasser.