Braunschweig. Professor Folkhard Isermeyer spricht über Baustellen auf dem Land und im Wald. Das Tierwohl rückt stärker in den Blickpunkt.

Die wichtigsten Zukunftsfragen in unserem Fachgebiet lauten: Wie stellen wir sicher, dass die Menschen dauerhaft genügend zu essen haben? Wie begrenzen wir den Klimawandel und dessen Auswirkungen? Wie schaffen wir ausreichende biologische Vielfalt? Wie stoppen wir das Abholzen tropischer Regenwälder? Wie halten wir die Meeres-Ökosysteme intakt? Wie sichern wir nachhaltige Bodenfruchtbarkeit? Wie sollten wir mit unseren Nutztieren umgehen? Wie schaffen wir attraktive ländliche Regionen, in denen Menschen gern leben und Arbeitsplätze finden?

Wie haben sich die

Einschätzungen in den letzten zehn Jahren verändert?

Bei den meisten dieser komplexen Themen hat sich die Diskussionslage kaum verändert, aber auf einigen Baustellen haben sich die Einschätzungen doch deutlich weiterentwickelt:

Baustelle Energie : Hier wurde klarer, dass die Menschheit ihre Energieversorgung langfristig auf Sonne und Wind umstellen kann. Regenerative Energie ist ausreichend vorhanden, also geht es darum, durch innovative Konzepte und weitsichtige Planung einen effizienten, umweltschonenden Zugang zu organisieren. Überregionaler und internationaler Energietransport sind hierbei wichtig. Bioenergie wird im Energiekonzept der Zukunft nur eine Nebenrolle spielen können.

Baustelle Züchtungsmethoden : Die neuen Methoden des „genome editing“ eröffnen große Chancen, stellen aber auch die Politik vor kaum lösbare Probleme. Wenn nämlich weltweit Garagenfirmen aus dem Boden sprießen, in denen Lebewesen gezielt verändert und freigesetzt werden, und wenn sich diese Veränderungen nicht von herkömmlichen Mutationen unterscheiden lassen, dann werden die Regulierungsmechanismen aus der Zeit der alten Gentechnik nicht mehr greifen.

Auf der anderen Seite werden die multinationalen Saatgutkonzerne alles daran setzen, konkrete Anwendungen der neuen Methoden patentieren zu lassen. Das wiederum könnte die Monopolisierungstendenzen im globalen Saatgutgeschäft beschleunigen.

Baustelle Tierhaltung : Hier sorgt der Wertewandel in unserer Bevölkerung dafür, dass das Thema „Klasse statt Masse“ ein medialer Dauerbrenner geworden ist. Vor allem zwei Fragen werden uns hier in die Zukunft begleiten: Sollten wir nicht weniger Tiere halten, diese aber auf wesentlich höherem Tierwohl-Niveau? Welchen Stellenwert werden Milch- und Fleischersatzprodukte im Speiseplan der Zukunft einnehmen?

In den letzten 10 Jahren ist außerdem sichtbarer geworden, wo unser Wissenschaftssystem gut aufgestellt ist und wo nicht. Gut sind wir bei der Entwicklung technologischer Innovationen. Wenn wir die Zukunftsfragen der Menschheit bewältigen wollen, reicht Technologieentwicklung allein aber nicht aus. Es muss dann auch ein politisches Regelwerk her, welches die Wirtschaft weltweit auf Nachhaltigkeits-Kurs bringt.

Hierfür bräuchte es umsetzbare Lösungsvorschläge, und um diese zu entwickeln, müssten interdisziplinäre Forschungsverbünde mit langem Atem an den Start gebracht werden. Genau hier liegt aber eine Schwäche unseres Wissenschaftssystems: Die Überbetonung der Drittmittel- und Doktoranden-Forschung führt dazu, dass viele Projekte zu kleinteilig und zu kurzatmig sind.

Der Blick der Forscher wird vor allem auf „gute Zahlen“ ausgerichtet (viele Projekte und Publikationen), weniger auf umsetzbare Politikvorschläge.

Wie beurteile ich die

Entwicklung der

Forschungsregion Braunschweig?

Die Forschungseinrichtungen rücken aktuell noch enger zusammen, um das tolle Potenzial unserer Region nutzen zu können. Ein spannendes Beispiel ist die Zusammenarbeit von TU, Julius-Kühn-Institut und Thünen-Institut im Projekt „Mit autonomen Landmaschinen zu neuen Pflanzenbausystemen“. Gut möglich, dass der Ackerbau von übermorgen von Kleinrobotern geprägt wird, die sich intensiv um jede einzelne Pflanze kümmern, Unkraut mechanisch beseitigen und eine große Pflanzenvielfalt auf unseren Äckern ermöglichen, vielleicht sogar Bäume.

Wenn Maschinenbauer, Pflanzen- und Bodenforscher, Ökologen und Agrarökonomen Kräfte bündeln und dabei auch die Wirtschaft einbeziehen, haben wir eine gute Chance, unsere Region bei solchen Entwicklungen international führend zu positionieren.