Berlin. Union, FDP und Grüne treffen sich zu ersten Gesprächen – die Stimmung ist sachlich.

Schwarze Stämme, grün-gelbes Laub: Die Bäume vor den Fenstern des großen Saals im ersten Stockwerk der Parlamentarischen Gesellschaft tragen Jamaika-Farben. Drinnen sitzen an
diesem Mittwochmorgen, einen Steinwurf vom Reichstag entfernt, erst die Spitzen von Union und FDP zusammen, später beraten sich Union und Grüne. Es gibt Kürbissuppe, Bockwürste und Kuchen mit Schlagsahne. Kalorien für einen langen Tag.

Die ersten Meter hätten sie schon mal geschafft, sagt FDP-Generalsekretärin Nicola Beer am frühen Nachmittag nach der ersten Gesprächsrunde. Doch nach Jamaika seien es eben ein paar mehr, genau: 8500 Kilometer. Auch ihre Kollegen aus CDU und CSU, Peter Tauber und Andreas Scheuer, klingen optimistisch: „Wir haben ein gutes Gefühl“, sagt Tauber. „Wir haben das
Visier hochgeklappt“, ergänzt Scheuer.

Besonders viel Mühe fürs Jamaika-Klima gibt sich CSU-Chef Horst Seehofer. Um neun Uhr morgens trifft er FDP-Parteichef Christian Lindner zur Vier-Augen-Unterredung. Ein angenehmes Gespräch sei es gewesen, heißt es später.

Bereits am Abend vorher hatte Seehofer in der Parteizentrale der Grünen vorbeigeschaut: Cem
Özdemir und Katrin Göring-Eckardt begrüßen ihn, man redet gut über eine Stunde. Danach sind alle bester Stimmung: „Er hat’s überlebt“, witzeln die Grünen. „Das war Neuland, er war da noch nie und fand es aber wichtig, miteinander zu reden und auch mal zu gucken, wie wohnen die denn so“, lächelt Göring-Eckardt.

Seehofer muss ein gutes Ergebnis mit nach München bringen

Für den CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten ist die Lage vertrackt. Seit der Wahlschlappe der CSU bei der Bundestagswahl kämpft er um seine Position als CSU-Chef und Spitzenkandidat für die bayerische Landtagswahl im Herbst 2018. In Berlin steht er ebenfalls unter Druck: Der 68-Jährige muss eine für die CSU gute Einigung mit nach München bringen. Außerdem wäre für Seehofer – sollte sich in Bayern die Situation zuspitzen – eine solide Jamaika-Regierung die Möglichkeit, als Minister in Berlin in die Regierung einzutreten; als Ressortchef für Soziales beispielsweise. Seehofer selbst hatte in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, dass ein CSU-Chef in Berlin vertreten sein solle, um die CSU-Interessen dort besser vertreten zu können. Es hängt also viel an den Verhandlungen für die Bayern.

Punkt 12 Uhr beginnt die große Runde mit CDU, CSU und FDP. Kanzlerin Angela Merkel sitzt mit dem Rücken zum Fenster, ihr grüner Blazer leuchtet. Sie trägt ihn an diesem Morgen zu einer schwarzen Hose. Zufall? Wohl kaum. Nur ihre große Tasche passt nicht zu Jamaika, sie ist ausgerechnet rot statt gelb. Ob es die Liberalen vor lauter Aufregung über ihre neue Rolle in Berlin überhaupt bemerkt haben? Eher nicht, sie genießen die Sache viel zu sehr. Kurz bevor es losgeht, lehnt sich FDP-Unterhändler Alexander Graf Lambsdorff aus einem der Fenster und macht ein Foto von den wartenden Journalisten.Merkel eröffnet die Runde, dann ist erst FDP-Chef Christian Lindner an der Reihe, als Dritter redet CSU-Chef Horst Seehofer. Gute zwei Stunden loten die
18 Unterhändler die Chancen für ein Bündnis aus. Die Stimmung
ist konstruktiv, lösungsorientiert. Mehrere Sollbruchstellen reißen sie an: die Zukunft des Verbrennungsmotors, wo es mit den Grünen schwer werden wird. Die Zukunft der Rente, der sozialen Sicherungssysteme, wo FDP und Union über Kreuz liegen.

Doch trotz der guten Laune bei Union und FDP geben die Liberalen Jamaika auch nach dem Auftaktgespräch nicht mehr als
eine Chance von 50:50. Die
Reserviertheit gehört zum neuen Image der FDP: Soll bloß keiner sagen, sie wollten unbedingt regieren. Dazu passt auch, dass die FDP-Fraktion an diesem Freitag Parteivize Wolfgang Kubicki für das Amt des stellvertretenden Bundestagspräsidenten wählen will. Der Mann aus Kiel galt bislang als möglicher Minister oder Fraktionschef in einem Jamaika-Bündnis. Doch auch das Amt des Bundestagsvizes kann man wieder abgeben.

Die Grünen kommen zu Fuß

und wirken angespannt

Die Grünen kommen am Nachmittag zu Fuß zur Parlamentarischen Gesellschaft, alle sechs Verhandlungsführer in einer Reihe, drei Frauen, drei Männer, ernste Gesichter, die Anspannung ist sichtbar. Den meisten Gegenwind erwarten die Grünen von der CSU, nicht von der FDP. Vor allem
Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte die Stimmung angeheizt. „Wir werden keine linken Spinnereien dulden“, sagte er unserer Zeitung.

Das Gespräch dauert gut drei Stunden, am Ende ist die Stimmung etwas gelöster. „Es war kein schlechter erster Tag“, bilanziert CSU-Chef Horst Seehofer am Abend.