Braunschweig. Das Thema Zuwanderung drängte sich in den Vordergrund. Wir haben die Standpunkte der Parteien zusammengestellt.

Unser Leser Elisabeth Wolf aus Braunschweig fragt:

Eines der wichtigsten Themen ist zweifellos die Flüchtlingspolitik Wie positionieren sich die Parteien?

Die Antwort recherchierte Tobias Bosse

Kaum ein Thema wird im Bundestagswahlkampf so heiß diskutiert wie die Flüchtlingspolitik. Natürlich vertreten die Parteien durchaus unterschiedliche Standpunkte in ihren Wahlprogrammen: Während die AfD Deutschlands Grenzen sofort dichtmachen will und Zuwanderung grundsätzlich eher als Gefahr betrachtet, sehen Linke und Grüne vielmehr die Chance darin, damit dem demografischen Wandel entgegenzuwirken.

Denn auch wenn der Höhepunkt der Flüchtlingskrise überwunden ist, strömen nach wie vor Migranten nach Europa. Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge berichtet, haben von Januar bis Juli dieses Jahres 129.903 Personen Asyl in Deutschland beantragt. Im Vorjahresvergleich bedeutet dies einen Rückgang um 72,9 Prozent. Im gleichen Zeitraum hat das Bundesamt über die Anträge von 444 359 Personen entschieden. Mit Abstand die größte Gruppe – knapp ein Viertel (26 896) – stammt aus Syrien.

Für Harald Rau, Professor für Kommunikationsmanagement an der Ostfalia Hochschule, ist es keine Überraschung, dass die Flüchtlingspolitik trotz rückläufiger Flüchtlingszahlen den Wahlkampf prägt: „Bei Wahlen kommen immer die Themen nach oben, die die Gesellschaft am stärksten bewegen.“ Dabei nutze die AfD dieses gesellschaftliche Phänomen am meisten für die eigenen Zwecke: „Die AfD bietet einfache Lösungen für komplexe Probleme an, obwohl sie wissen, dass es dafür keine einfache Lösung gibt. So holen sie die Menschen aber emotional ab und schüren Ängste“, sagt Rau.

Dem hätte man früher entgegenwirken müssen, indem man mehr Beispiele von gelungener Integration thematisiert hätte, meint Rau. Unter den aktuellen Umständen erwartet der Medien-Experte ein zweistelliges Ergebnis der AfD – zumindest unter den ostdeutschen Wählern.

Auch Jochen Oltmer, Professor für Migrationsforschung an der Universität Osnabrück, ist der große Stellenwert der Flüchtlingspolitik im Wahlkampf aufgefallen: „Die Parteien legen großen Wert darauf, sich zu diesem Thema prominent zu positionieren.“ Dabei sei der Umfang absolut angemessen. Vor allem, weil dieses Thema lange Zeit bewusst beschwiegen worden sei. „Die Parteien haben es lange Zeit vermieden, über Zuwanderung zu sprechen, weil sie Angst hatten, in die fremdenfeindliche Ecke gestellt zu werden. Dabei hat die Regierung ihre Moderationspflicht gegenüber der Gesellschaft extrem vernachlässigt und ist somit mitverantwortlich für die teils große Unkenntnis in der Bevölkerung“, sagt Oltmer. Dieses Schweigen in der Vergangenheit könne den Zulauf der AfD begünstigt haben. Allerdings seien deren Lösungen ebenso wenig zielführend wie die der anderen Parteien in den Wahlprogrammen. Oltmer meint: „Solange es Kriege auf der Welt gibt, wird es auch Flüchtlinge geben. Deshalb brauchen wir langfristige Perspektiven, die Flüchtlingsschutz oder Asyl heißen.“

Wie die Parteien sich zu diesem Thema in ihren Wahlprogrammen positionieren, haben wir – leicht gekürzt – folgend aufgeführt:

SPD: „Es ist Zeit für eine geordnete Einwanderungspolitik. Das Recht auf Asyl muss auch in Zukunft unangetastet bleiben. Wir wollen die Fluchtursachen in den Heimatländern bekämpfen, die Außengrenzen Europas sichern und die Flüchtlinge innerhalb Europas solidarisch verteilen. Wir akzeptieren nicht länger, dass sich Mitgliedstaaten dem beschlossenen europäischen Asylsystem verweigern. Wir wollen über feste Kontingente Schutzberechtigte kontrolliert in der EU aufnehmen. Sie sollen nach einem fairen Schlüssel auf alle EU-Mitgliedstaaten verteilt werden.“

AfD: „Das hohe Niveau der deutschen Sozialleistungen zieht sowohl aus anderen EU-Staaten als auch aus Drittstaaten zahlreiche Armutszuwanderer an. Hierbei wird die Freizügigkeit in der EU sowie des Asylrechts missbraucht, um sich Zugang zum Sozialsystem zu verschaffen. Die Grenzen müssen daher umgehend geschlossen werden, um die ungeregelte massenhafte Zuwanderung in unser Land zu beenden. Einen Asylantrag soll nur stellen dürfen, wer seine Identität nachweist. Alle abgelehnten Asylbewerber sind umgehend in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Wir wollen selbst entscheiden, wer zu uns kommt.“

FDP: „Wir wollen ein geordnetes Einwanderungsrecht schaffen, das nach Möglichkeit in einem Einwanderungsgesetzbuch zusammengefasst wird. Dabei muss zwischen individuell politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen und dauerhaften Einwanderern klar unterschieden werden. Das Grundrecht auf Asyl für individuell politisch Verfolgte ist für uns unantastbar. Für Kriegsflüchtlinge wollen wir einen eigenen Status schaffen, der auf die Dauer des Krieges begrenzt ist. Nach Identitätsfeststellung soll dieser Status unkompliziert verliehen werden. Dauerhafte Einwanderer wollen wir uns selbst aussuchen.“

Grüne: „Wir sehen Migration als Chance an, wenn sie richtig gestaltet wird. Darum müssen wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Migranten bei uns erworbene Fähigkeiten auch wieder in ihren Herkunftsländern anwenden können. Asylsuchende und Geduldete sollen ihren aufenthaltsrechtlichen Status ändern können, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen. Wir wollen, dass ein Einwanderungsgesetz durch die Einrichtung eines eigenständigen Einwanderungs- und Integrationsministeriums flankiert wird.“

CDU: „Wir wollen helfen, gemeinsam mit internationalen Organisationen ihre Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. Nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens wollen wir entsprechende Verträge auch mit afrikanischen Ländern abschließen. Eine Situation wie im Jahre 2015 soll und darf sich nicht wiederholen, da alle Beteiligten aus dieser Situation gelernt haben. Wir wollen, dass die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, dauerhaft niedrig bleibt. Das macht es möglich, dass wir unseren humanitären Verpflichtungen durch Resettlement und Relocation nachkommen.“

Linke: „Zur Beseitigung der Fluchtursachen wird ein gemeinsames Agieren der EU-Mitgliedsstaaten benötigt. Die Verantwortung, die Flüchtlinge zu schützen, darf nicht auf Drittstaaten außerhalb der EU übertragen werden. Der vorangetriebene EU-Türkei-Deal muss aufgekündigt werden. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention dürfen Flüchtlinge nicht abgewiesen werden! Wir wollen das Prinzip der freien Wahl des Mitgliedsstaates für die Geflüchteten. Die Grenzen der EU müssen für schutzsuchende Menschen offen sein, es muss sichere und legale Fluchtwege geben.“