Braunschweig. Politologe Nils Bandelow sieht Probleme im Politiksystem, aber keine Lösung im Volksentscheid. Manche Parteien sehen das anders.

Unser Leser Frank Planke fordert auf Facebook:

Ehrlich werden – keine Gesetzesänderung ohne Volksentscheide zulassen!

Die Antwort recherchierte Tobias Bosse

Mehr direkte Demokratie für alle. Das klingt erstmal so, als könne daran nicht viel Falsches sein. Allerdings hat das Konzept des Volksentscheids auch Schattenseiten. Eine pauschale Veränderung der Verfassung hin zum Volksentscheid auf Bundesebene nach Schweizer Vorbild, ließe sich in Deutschland nicht umsetzen, sind sich die Parteien einig – bis auf die AfD, die sich dieses Begehr als Kernpunkt ihres Wahlkampfes auf die Fahne geschrieben hat.

Volksentscheide auf Landesebene gibt es bereits seit langem. Am Sonntag wird beispielsweise über den Erhalt des Berliner Flughafens „Tegel“ per direktdemokratischer Abstimmung entschieden. Auch in Braunschweig hat es bereits eine Bürgerbefragung gegeben – zum Ausbau des Eintracht-Stadions. Im Jahr 2011 stimmten 60 Prozent der Braunschweiger Wähler für einen Ausbau. Das mag für solche nachgeordneten Angelegenheiten auf kommunaler Ebene funktionieren, aber gilt das auch für Gesetze, die von nationalem Interesse sind?

Wenn es nach der Meinung von Nils Bandelow, Professor für Politikwissenschaft an der TU Braunschweig, geht: Nein. „Eine solche Änderung würde einen grundlegenden Bruch mit unserem politischen System bedeuten“, sagt er. Dass dieses System aktuell ein Problem hat, will Bandelow nicht verhehlen, jedoch seien Volksentscheide auf Bundesebene nicht die richtige Antwort darauf. „Es kann nicht die Lösung sein, ein System aus der Schweiz zu kopieren, dass schlechter ist als unser jetziges. Der Parlamentarismus hat nach wie vor die größte demokratische Qualität“, ist sich der Politologe sicher. Zumal er die Befürchtung hegt, dass dieses Instrument missbraucht werden würde. „Die AfD könnte ihre fremdenfeindliche Position über so eine direktdemokratische Abstimmung durchsetzen“, sagt er. Das habe das Beispiel aus der Schweiz auch gezeigt. Dort führte 2009 eine Volksabstimmung zur Aufnahme eines Bauverbots von Minaretten – ein erhöhter Platz für einen muslimischen Gebetsrufer bei oder an einer Moschee – in die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. In Deutschland würde so einer Entscheidung zwar das Grundgesetz auf Religionsfreiheit und somit das Verfassungsgericht im Wege stehen, aber selbst für die letzte Instanz des Rechtsstaats Deutschland wäre eine solche Entscheidung per Volksentscheid schwer zu kippen, vermutet Bandelow und ergänzt: „Wenn man am Rechtsstaat hängt, ist das keine gute Wahl“.

Daher wirbt der Politikwissenschaftler für einen anderen Lösungsansatz: Das Wahlrecht müsse vereinfacht werden. Außerdem müsse man Wahllisten abschaffen, um Kandidaten direkt zu wählen, wie es bei Kommunalwahlen der Fall sei. Das würde den Bürgern einen direkteren Einfluss verschaffen und der schwachen Wahlbeteiligung entgegenwirken, sagt Bandelow.

Was steht zu diesem Thema in den Parteiprogrammen? Anschließend dokumentieren wir – leicht gekürzt – die Aussagen.

CDU: Keine Aussagen zu bundesweiten Volksentscheiden.

CSU: Wir garantieren den Menschen, dass wir die Beteiligungsmöglichkeiten in Deutschland weiter ausbauen. Wir wollen in wichtigen politischen Fragen bundesweite Volksentscheide einführen.

SPD: Zur Unterstützung der parlamentarischen Demokratie wollen wir direkte Demokratiebeteiligung auf Bundesebene stärken.

Linke: Wir wollen die Demokratie ausweiten: indem wir mehr direkten Einfluss von Bürgern auf politische Entscheidungen schaffen. Wir brauchen mehr direkte Demokratie und Volksentscheide auch auf Bundesebene.

Grüne: Wir Grüne wollen Elemente direkter Demokratie auch in der Bundespolitik stärken. Wir wollen Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide in die Verfassung einführen.

AfD: Das Volk soll auch die Möglichkeit erhalten, eigene Gesetzesinitiativen einzubringen und per Volksabstimmung zu beschließen. Die AfD fordert Volksentscheide nach Schweizer Vorbild auch für Deutschland.

FDP: Wir stärken die liberale Demokratie als Lebensform, indem wir den punktuellen Einsatz professionell moderierter Bürgerbeteiligung sowie den probeweisen Ausbau der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene und Landesebene unterstützen.