Braunschweig. Die Nachfrage nach dem wichtigsten aller Baurohstoffe ist gewaltig. In manchen Weltregionen herrscht Mangel. Sie müssen Sand importieren.

Unsere Leserin Ingeborg Cronenberg aus Braunschweig fragt:

Ich habe einen Film über Sand als Umweltproblem gesehen und war schockiert. Wie groß ist das Problem?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Moderne Gesellschaften sind buchstäblich auf Sand gebaut. Jeder Kubikmeter Beton der am häufigsten verwendeten Festigkeitsklasse C25/30 enthält 364 Kilogramm Sand. Entsprechend gewaltig ist der Bedarf der Bauindustrie. Sand und Kies sind die meistgeförderten Rohstoffe des Planeten. Weltweit waren es 2012 knapp 30 Milliarden Tonnen.

Dieser massive Rohstoffabbau wird zum ökologischen Problem. Das zumindest ist die These der TV-Dokumentation „Sand – Die neue Umweltzeitbombe“, die unsere Leserin kürzlich bei Arte gesehen hat. Es sei schrecklich, was Menschen der Erde antäten, sagt sie unserer Zeitung.

Der Film stützt sich auf einen Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) aus dem März 2014. Der spricht unter anderem vom unstillbaren Hunger der chinesischen Bauwirtschaft nach Rohstoffen und rechnet vor, dass mittlerweile das Doppelte der jährlich von allen Flüssen der Welt transportieren Menge Sand und Kies gefördert würde. Die Folgen seien die Zerstörung von Ökosystemen und der damit verbundene Verlust von Artenvielfalt, Erosion von Küsten und Flussufern und damit verbundene Schäden an Brücken und anderer Infrastruktur sowie negative Auswirkungen auf Landwirtschaft und Tourismus in den betroffenen Gebieten.

Im Fachmagazin „Science“ warnten Wissenschaftler in diesem Monat außerdem vor der „Tragik der Allmende“: Als frei verfügbare, aber endliche Ressource seien Sandvorkommen von Übernutzung bedroht. Schon jetzt sei „Sandknappheit“ ein Problem, das nicht nur ökologische, sondern auch soziale Folgen habe: „In Indien gilt die ‚Sand Mafia‘ als eine der mächtigsten und gewalttätigsten Gruppen der organisierten Kriminalität.“ Es seien bereits Hunderte von Menschen in „Sandkriegen“ getötet worden.

Geologe: Das Problem wird aufgebauscht

Dr. Harald Elsner ist skeptisch gegenüber derart dramatischen Berichten. Der Geologe von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover sieht zwar durchaus Probleme wie etwa den illegalen Abbau von Sand in Schutzgebieten in Deutschland. Auch mangele es in Teilen Afrikas und Südostasiens an hochwertigem Sand. Ein globales Problem sei dies aber nicht.

Durch eine „Schwämme von Fehlmeldungen“ werde Panikmache betrieben. Dabei sei der Großteil der Welt gar nicht betroffen. „In Europa haben die Gletscher der Eiszeiten viel Gestein abgeschliffen. Flüsse tragen dieses Material als Sand und Kies aus den Alpen ins Tiefland. Wir haben hier Sandschichten von teils mehreren hundert Metern Mächtigkeit.“

Kurzum: In Europa, Deutschland und ganz besonders in unserer Region gibt es Sand sozusagen wie Sand am Meer. „Bei Wolfsburg und weiter nördlich gibt es nahezu unendlich viel Sand. Hier fehlt es eher an Kies, der aus dem Harz herangeschafft werden muss“, erklärt Elsner. Ähnlich sei es rund um Braunschweig. Bei Bremen werde der bei der Kiesgewinnung mitgeförderte Sand sogar wieder zurück in die Weser gekippt, weil es keinen Bedarf dafür gebe.

Trotz des Mangels in manchen Weltregionen lohnt sich ein Export des überschüssigen Sandes für die Förderunternehmen offenbar nicht. Der Großkundenpreis liege in Deutschland derzeit bei etwa drei Euro pro Tonne Sand und acht bis zehn Euro pro Tonne Kies, sagt Elsner. Dem UNEP-Bericht zufolge kostet eine Tonne Sand in den USA umgerechnet etwa 5,60 Euro. Auch dort ist kein genereller Mangel festzustellen.

In Singapur allerdings ist der Preis zwischen 2003 und 2005 auf knapp 160 Euro pro Tonne hochgeschnellt. Singapur ist der größte Sandimporteur der Welt. In den vergangenen 20 Jahren hat der Stadtstaat mehr als 500 Millionen Tonnen Sand eingeführt, um dem Meer Land für seine rasant wachsende Bevölkerung abzutrotzen.

Auch in Afrika gebe es einen Mangel, sagt Harald Elsner. „Afrika ist ein alter Kontinent. Dort wurden die Sande im Inneren über Jahrmilliarden abgetragen und an den Küsten abgelagert“, erklärt der Geologe.

Auf den ersten Blick absurd erscheint die Tatsache, dass gerade einige Wüstenstaaten nicht ausreichend Sand für ihre Bauindustrie haben. „Wüste bedeutet Trockenheit, nicht zwangsläufig Sand. Es gibt nur wenige Sandwüsten“, sagt Elsner dazu.

Wüstensand ist als Baustoff nicht geeignet

Außerdem ist Sand nicht gleich Sand. Er unterscheidet sich in der materiellen Zusammensetzung und in der Rundung der Körner – und damit auch in der Nutzung. Beispielsweise werde Quarzsand aus der Umgebung von Königslutter für die Glasherstellung verwendet, sagt Elsner. Gipssand wiederum sei gar nicht nutzbar.

Oker-Sand habe eher eckige Körner. Das macht ihn ideal als Grundstoff für Beton. Sand aus dem Meer hat zwar ebenfalls eine für Beton geeignete Körnung, muss vor der Verwendung allerdings aufwendig gespült werden. Denn ein zu hoher Salzgehalt beschleunigt die Erosion von Beton und greift darin enthaltenes Metall an.

Wüstensand hingegen ist als Baustoff größtenteils ungeeignet. Die Folge: Staaten wir Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate stillen ihren Sandhunger mit Importen aus Australien. Und der ist gewaltig: Dubai hat seit 2001 künstliche Inseln in Form einer Palme aus 385 Millionen Tonnen Sand aufschütten lassen. Hinzu kam der Bau des 828 Meter hohen Burj Khalifa, des höchsten Gebäudes der Welt. Apropos Welt: Derzeit lässt Dubai erneut künstliche Inseln aufschütten – in Form einer Weltkarte. Geschätzter Sandbedarf des Projekts: 450 Millionen Tonnen. Kein Wunder, dass die Meersand-Reserven des kleinen Staates längst erschöpft sind.

Auch hierzulande wird Sand im Meer aufgeschüttet – allerdings in viel kleinerem Umfang. „In Sylt wird Sand über Pipelines an den Strand gepumpt“, erklärt Harald Elsner. Im Jahresverlauf trage das Meer diesen ab und transportiere ihn zum Ausgangspunkt zurück. „Das ist ein Kreislauf.“

Ein Kreislauf ist auch die Wiederverwertung von Bauschutt, den Wissenschaftler erproben. Schon jetzt werden in Deutschland 95 Prozent aller Bauabfälle recycelt – allerdings nicht, um daraus erneut Beton herzustellen, wie Elsner bemängelt: „Alter Beton kann zerbrochen und neu verwendet oder wieder in die Bestandteile Sand und Kies zuerlegt werden. Aber die Regeln der öffentlichen Hand als Bauherr lassen die Verwendung von Recyclingmaterial trotz seiner hohen Qualität zumeist nicht zu.“