Braunschweig. Ein Aussteiger aus der Salafisten-Szene schreibt in seinem Buch auch über den Braunschweiger Prediger Ciftci.

Ein junger Mann, 17 Jahre alt. Seine Eltern leben getrennt, er kifft, chillt, hängt mit Freunden rum, die Schule hat er abgebrochen. Einen Sinn im Leben? Sieht er nicht. Bis er einen muslimischen Freund trifft, der wohl spürt, dass er auf der Suche nach etwas ist. Der Freund bringt Bücher und Broschüren über den Islam mit. Als 17-Jähriger möchte man keine komplizierten Theorien haben, möchte man die Welt einfach verstehen und kategorisieren können, wird der junge Mann später sagen. Der Freund führt ihn ein in eine Welt, in der es einfache Antworten auf komplizierte Fragen gibt, in die Welt des Salafismus.

Der junge Mann heißt Dominic Schmitz. Er konvertiert und nennt sich fortan Musa Almani, was so viel heißt wie deutscher Moses. Und weil er aus Mönchengladbach kommt, ist der Weg in die dort starke salafistische Szene nicht weit. Heute ist Dominic Musa Schmitz ein beliebter Gast an Schulen und in Talkshows – weil er ein Buch über die „Zeit in der islamistischen Parallelwelt“ geschrieben und weil er Wege daraus gefunden hat. „Ich war ein Salafist“, sagt er selbstbewusst, ein Vorzeige-Aussteiger, der sich jahrelang im Umfeld der Islamistenführer Sven Lau und Pierre Vogel bewegt. Sein Weg führt ihn auch zu einem in der Szene bekannten Prediger aus unserer Region: Muhammed Cifci.

„Ciftci galt damals in der Salafisten- Szene als unantastbare Autorität.“
„Ciftci galt damals in der Salafisten- Szene als unantastbare Autorität.“ © Dominic Musa Schmitz in seinem Buch „Ich war ein Salafist“

Ob das alles so stimmt, was Schmitz schreibt? Zu einem Interview mit unserer Zeitung ist er nicht bereit. Ciftci sagt auf Anfrage, dass er Schmitz kennt, aber seit 2011 nichts mehr von ihm gehört habe, auch sei er nicht direkt in Kontakt mit ihm gewesen. „Über sein Buch habe ich keine große Kenntnis, was er über mich berichtet, weiß ich nicht.“ Der Bericht des Aussteigers wirkt aber authentisch, er gibt Aufschluss darüber, welche Faszination die salafistischen Prediger gerade auf Jugendliche und junge Erwachsene ausüben, auf Menschen, die Halt und Orientierung in ihrem Leben verloren haben und auf der Suche nach einer neuen Identität sind. Und das Buch gibt auch Einblicke, welche Rolle der Braunschweiger Ciftci offenbar dabei spielt.

„Ich gehörte zum engsten Kreis, als die salafistischen Ideologen in Mönchengladbach die Organisation ,Einladung zum Paradies‘(EZP) gründeten, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, und eine ganze Stadt gegen sich aufbrachten. Ich war Zeuge, wie Vogel und Lau über Jahre hinweg ihre Anhänger radikalisierten. (...) EZP schient der Schlüssel für Da’wa zu sein, für die Mission, für den Siegeszug der Salafisten in Deutschland.“

Ciftci gilt damals als eine Führungsfigur der Gruppe EZP. Er unterhält auch eine Islamschule im Internet, die er später auf Druck der Behörden schließen muss. Als Verein EZP wollen die Anhänger in Eicken unter anderem eine islamische Schule etablieren, es gibt massive Proteste, eine Bürgerbewegung dagegen.

Dominic Musa Schmitz ist voller Bewunderung für den Braunschweiger Prediger. „Ciftci galt damals in der Salafisten-Szene als großer Gelehrter“, schreibt er, „als unantastbare Autorität in allen Glaubensfragen“. Als dieser in Mönchengladbach einen Vortrag hält und die Gemeinde dazu aufruft auf die Straße zu gehen und den Islam unter die Menschen zu bringen, sitzt Musa Almani in der erste Reihe und schreibt fleißig mit. „Von Anfang an mochte ich seine Art: Er wirkte geerdet, ruhig, bescheiden. Als ich ihn später näher kennenlernte, fielen mir bald die Unterschiede zu den Moscheegrößen unserer Gemeinde ins Auge. Im Gegensatz zu ihnen hatte Ciftci einen Plan. Er agierte stets geradeaus, wusste genau, was er wollte.“

Ciftci hat im saudi-arabischen Medina islamische Rechtswissenschaften studiert. Seitdem verfüge der Prediger über zahlreiche Kontakte zu potenziellen Geldgebern in Saudi-Arabien, schreibt Schmitz. Diese unterstützten Missionsprojekte, „um das archaische Islam-Modell des Ölstaates weit hinaus in die Welt zu tragen“. Darüber hinaus organisiert er auch Reisen nach Mekka – „darunter mit Hilfe saudisch-religiöser Hilfswerke auch spezielle Touren für mittellose Konvertiten aus dem Westen“. Konvertiten wie Dominic Schmitz. 2007 pilgert er mit Ciftci nach Mekka, später sei er zweimal für eine Woche nach Braunschweig gereist, um bei ihm in die Schule zu gehen.

Schmitz beschreibt den Prediger als unnahbar, als eine Art Gegenpol zu den „Hardlinern“ in der Szene, zu den lauten, oft auf Krawall gebürsteten Salafisten-Anführern Vogel und Lau, die die Moschee in Mönchengladbach zunehmend zu ihrem Hauptstützpunkt machen und via Youtube für eine „New Muslim Army“ werben – womöglich eine Hommage an die Muslim Bosnian Army, die im Bürgerkrieg nach dem Ende Jugoslawiens in den Dschihad gegen die serbischen Streitkräfte gezogen waren. Ciftci habe darauf bestanden, diesen „Quatsch“ aus dem Internet zu nehmen.

„Ciftci war sichtlich unzufrieden mit uns. Ihn störten die proletenhaften Auftritte Vogels und seines Anhangs. Das Ganze ging ihm zu weit. Er fürchtete ein negatives Echo solcher Bilder in der Öffentlichkeit.“ Immer mehr driftet die Gemeinde auseinander, spaltet sich in radikale Salafisten und Anhänger, die einen gemäßigteren Kurs vorziehen. „In Braunschweig etwa wuchs eine Takfiri-Szene heran. Salafistische Fanatiker, die ihren Imam Ciftci als ,Weichei’ verspotteten.“ Spätestens 2010 habe sich der Geistliche nicht mehr auf den Veranstaltungen der Mönchengladbacher Salafisten blicken lassen.

Ein Prediger, der die archaischen Regeln der Scharia verteidigt, aber gleichzeitig im Internet Gewalt verurteilt – für Schmitz steht das lange nicht im Widerspruch. Er schreibt, dass Ciftcis Schüler zu Beginn ihrer Ausbildung ein Dokument unterzeichnen mussten, in dem sie sich von Terror und Gewalt distanzierten. Gleichzeitig räumt er ein, dass viele mutmaßliche Terroristen irgendwann durch die Videos von Pierre Vogel oder Islam-Seminare anderer Prediger wie Ciftci angefixt wurden.

2010 kommen bei Schmitz Zweifel auf, „es begann eine neue Selbstfindungsphase“, wie er in einem Youtube-Video beschreibt. Es habe keine ausschlaggebende Situation gegeben, die zu seinem Ausstieg aus der Szene führte. Vielmehr sei es ein schleichender Prozess gewesen, eine zunehmende Entfremdung von den einstigen Vorbildern. Eines dieser Vorbilder, Sven Lau, ist inzwischen zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er eine IS-nahe islamistische Terrormiliz unterstützt hat.

Muslim bleibt Schmitz trotzdem – die Nähe zu Gott ist nach seiner Auffassung nirgends so direkt, so allumfassend wie im Islam. Er lebe jetzt ein reineres Leben, aus freier Überzeugung – „nicht, weil es in irgendwelchen Büchern steht“.