Braunschweig. Konstantin Kuhle, Chef der Jungen Liberalen, spricht über das neue Selbstbewusstsein der Partei, Schnöseligkeit und die Überfigur Christian Lindner.

Konstantin Kuhle (28) ist Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen und Mitglied im Bundesvorstand der FDP. Mit ihm sprach Andre Dolle.

Die FDP bietet eine einzige Wahlkampfoptik: Christian Lindner. Es gibt doch noch andere Gesichter als den FDP-Chef, Herr Kuhle. Warum schneiden die Liberalen ihren Wahlkampf so dermaßen auf Linder zu?

Er ist unser Spitzenkandidat. Die SPD plakatiert Martin Schulz, die CDU Angela Merkel. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Die FDP ist aber in einer Sonderrolle: der außerparlamentarischen Opposition. Wir müssen erst wieder in den Bundestag einziehen. Ich bin dankbar, dass wir eine Persönlichkeit wie Christian Lindner haben. Wir müssen aber strategisch darauf achten, dass mehr Personen in der ersten Reihe sichtbar sind.

Die FDP ist also eine befristete One-Man-Show?

Das kann man so sagen. Man muss aber bedenken, dass sich in der Parteispitze um Christian Lindner einiges getan hat. Wir haben mit Katja Suding, Nicola Beer und Marie-Agnes Strack-Zimmermann gleich drei Frauen im Präsidium. Das ist fast schon eine Revolution für FDP-Verhältnisse. Wir hatten in der Vergangenheit gerade bei den Wählerinnen große Probleme. Hinzu kommen Matadore wie Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein und Alexander Graf Lambsdorff, der von Brüssel nach Berlin wechseln wird.

Um Frau Suding ist es zum Beispiel doch eher wieder ruhiger geworden.

Das sehe ich so nicht. Sie hat nach den G20-Krawallen als Fraktions-Chefin der Hamburgischen Bürgerschaft deutlich die linksextreme Gewalt kritisiert, gleichzeitig nicht zu dumpf jede Polizei-Aktion gerechtfertigt. Unter Suding hat die FDP in Hamburg einen Untersuchungs-Ausschuss gefordert, der sich explizit um die Frage kümmern soll, warum man einer Reihe von Journalisten die Akkreditierung entzogen hat. Die FDP differenziert, sie bezieht eine gesunde Mittelposition.

Man muss sich ja nicht gegenseitig zerfleischen, wie das die Union und SPD tun. Gerade von der FDP als Bürgerrechts-Partei wünscht man sich mit Blick auf den G20-Gipfel aber eine eindeutigere Position.

Zusätzliche Befugnisse für den Staat und die Polizei hinterfragen wir kritisch. Wir wissen aber auch, dass bei der Polizei in den letzten Jahren in puncto Personal und Ausstattung zu sehr gespart worden ist. In Hamburg ist die Polizei eindeutig an ihre Grenzen gestoßen. Personal und Ausstattung sind dringlicher, als neue Befugnisse wie die Vorratsdatenspeicherung oder den Staatstrojaner einzuführen.

Die FDP wird nach Jahren der Bedeutungslosigkeit wieder umworben. Das fühlt sich gut an, oder?

Ja, das fühlt sich gut an. Wir sind in Niedersachsen und auch auf Bundesebene nicht das Anhängsel der CDU. Wir haben ein neues Selbstbewusstsein. So billig wie nach der Bundestagswahl 2009 sind wir als Koalitionspartner nicht wieder zu haben.

Die FDP behauptet, sich neu aufgestellt zu haben. Über das Personal haben wir gesprochen. Wofür steht die Partei denn nun inhaltlich?

Die anderen Parteien strahlen großen Pessimismus aus. Die SPD fragt, ob durch die Digitalisierung Arbeitsplätze verloren gehen. Die CDU fragt, ob wir es aufgrund des demografischen Wandels schaffen, die Renten zu finanzieren. Den Grünen schwant, dass wir beim Klimawandel längst verloren haben. Wir haben eine optimistische Grundhaltung, wollen das Land modernisieren und starkmachen. Das kommt an – gerade bei jungen Wählern. Wir müssen der Digitalisierung eine Chance geben. Wir brauchen eine planvolle und gesteuerte Zuwanderung.

Deutschland geht es so gut wie lange nicht. Die Große Koalition hat – zwar unter viel Gezeter – jüngst sogar die „Ehe für alle“ beschlossen. Das war lange Wunsch der FDP. Wozu braucht es die Liberalen noch?

Wir freuen uns über die „Ehe für alle“. Damit ist das Thema Bürgerrechte aber noch nicht erledigt. Die Große Koalition hat in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause den Staatstrojaner beschlossen, mit dem private Mobiltelefone gehackt und die Kommunikation über Messenger-Dienste wie Whatsapp ausgelesen werden kann. Das geht zu weit. Ein bisschen hacken kann man nicht. Entweder der Staatstrojaner ist aufgespielt oder nicht.

Was ist mit Wirtschaftsfragen?

Union und SPD bereiten erneut Rentengeschenke vor. Wir brauchen stattdessen mehr private Vorsorge, ein flexibleres Renteneintrittsalter und flexiblere Arbeitsmöglichkeiten im Alter. Wir brauchen mehr Gründer. Wenn ich heute in einer Schulklasse frage, wer Unternehmer und wer Beamter werden will, ist die Priorität klar. Respekt für alle Beamten – dieses Land ist aber auch stark, weil es die Selbstständigen gibt.

Die FDP rät in ihrer Wahlkampagne Deutschland, mutig vom Zehn-Meter-Brett zu springen, mehr zu wagen, Potenziale auszuschöpfen. Das klingt alles etwas neoliberal. Ist alles beim Alten geblieben?

Das hängt davon ab, wie man neoliberal definiert. Wenn man damit meint, dass die FDP eine wirtschaftsliberale Partei ist, sage ich: Na klar, aber hallo! Das gibt es ansonsten in Deutschland nicht. Der Wirtschaftsflügel der CDU ist schlecht gelaunt, weil die Union von der Mietpreisbremse über die Rente mit 63 bis zum Mindestlohn alles mitgemacht hat, was die SPD vorgeschlagen hatte. Die FDP hat ihre Ansprache geändert, ist noch näher an den vielen kleineren Unternehmen. Gründer müssen in Deutschland eine Riesenschwelle übertreten. Sie müssen sich Kredite besorgen, haben mit Bürokratie zu kämpfen. Gerade die vielen kleineren Betriebe profitieren, wenn die FDP es wieder in den Bundestag schafft.

Sie geben die weltbeste Bildung als Anspruch für die Schulen und Unis aus. Kleiner geht es nicht?

Nein, weil wir in Deutschland keine andere Ressource haben. Dieses Ziel ist der Ausdruck unseres Optimismus, das ist unser Ehrgeiz. Bildungs-Ausgaben haben Priorität vor Sozialleistungen.

Diese weltbeste Bildung gilt nur für die Kinder von Besserverdienenden. Oder warum wollte Linder in NRW sonst Studiengebühren einführen?

In einigen Kommunen kostet ein Kindergartenplatz pro Monat ein Vielfaches von dem, was ein Student in einem Semester an Studienbeiträgen zu zahlen hat. Kostenfreie Kindergärten sind wichtiger als ein kostenfreies Studium. Wir müssen die frühkindliche Bildung verbessern. Die Universitäten sollten selbst entscheiden, ob sie Studiengebühren erheben. Es nützt nichts, wenn das Land Studiengebühren erhebt, im gleichen Atemzug aber die Finanzierung zurückfährt. Wir brauchen mehr Geld im System.

Sie gelten als lockerer Typ, als bescheiden, kommen eher im Kapuzenpulli statt im Polohemd daher. Unterstreicht aber diese Abgrenzung nicht gerade die klischeehafte Schnöseligkeit, mit der Jungliberale sich konfrontiert sehen?

Ich kann nur dafür werben, mal ein Wochenende bei einem Kongress von jungen Liberalen zu verbringen. Da wird man sehr überrascht sein, wer da wie herumläuft: Da ist von der Wachsjacke und den Seglerschuhen bis zur Jogginghose und Sandalen alles dabei. Wir haben auch langhaarige Hardrock-Fans. Gerade erst hat sich der „liberale Metalstand“ gegründet. Das sind Jungliberale, die gemeinsam Metalfestivals besuchen.

Sie sind keine 30, sitzen aber schon im Bundesvorstand der FDP. Welche politischen Ziele haben Sie?

Zu Beginn dieser Legislaturperiode gab es im Bundestag einen einzigen Abgeordneten unter 30: Sven-Christian Kindler von den Grünen aus Hannover. Das ist zu wenig. Davor kam mit Florian Bernschneider aus Braunschweig der jüngste Abgeordnete von der FDP. Das hat uns stolz gemacht. Wir brauchen eine bessere Repräsentation junger Menschen. Dafür kämpfe ich, außerdem für die doppelte Staatsbürgerschaft und ein stärkeres Europa.