Wolfsburg. Die von My-right.de beauftragten Anwälte wollen das Braunschweiger Verfahren aussetzen und Fragen direkt vom EuGH klären lassen.

Unser Leser Klaus Rosenbaum aus Isenbüttel schreibt:

Auch hier versuchen Industrie und Politik Verbrauchern einen Riegel vorzuschieben: das wichtige Datum 31.12.2017, nach dem Ansprüche verjähren.

Dazu recherchierte Christina Lohner

Kurz bevor sich die US-Kanzlei Hausfeld und Volkswagen am Donnerstag zum ersten Mal am Landgericht Braunschweig treffen, lassen die Anwälte noch einmal die Muskeln spielen. Das deutsche Hausfeld-Büro will das Braunschweiger Verfahren im Abgas-Skandal aussetzen und einige Fragen direkt an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiterreichen. Dabei könnte es sich auch um eine Verzögerungstaktik handeln.

Nach Einschätzung von Hausfeld hat VW gegen EU-Recht verstoßen: Die EG-Typgenehmigung sei aufgrund der Abschalteinrichtung ungültig und die Übereinstimmungsbescheinigungen deshalb von Anfang an ungültig gewesen – der Autobauer weist das zurück. Hausfeld vertritt die Betreiber der Internetplattform My-right.de, bei der sich nach eigenen Angaben mehr als 30 000 Kunden registriert haben, die vom Abgas-Betrug betroffen sind.

In Braunschweig klagt die Kanzlei im Namen eines VW-Eos-Fahrers. Hausfeld zielte dabei von Anfang an auf den EuGH, da ein Urteil dann bindend für alle europäischen Gerichte sei. Klagen müsste allerdings jeder einzelne Kunde; bislang wurden nur einzelne Klagen eingereicht, die Signalwirkung haben sollen. Die Kosten hat ein Prozessfinanzierer übernommen.

Gegen Provision verspricht My-right.de allen registrierten Kunden eine Klage in ihrem Namen. Falls die Betreiber vor Gericht durchsetzen, dass der Kunde sein Auto zurückgeben kann, müsste dieser rund ein Drittel der Differenz zwischen Neupreis und aktuellem Marktwert an My-right.de abtreten, im Fall des Eos-Fahrers nach eigenen Angaben etwa 5000 Euro. Würde Schadenersatz erstritten, müsste der Kunde den Betreibern 35 Prozent der Summe zahlen, also zum Beispiel rund 2000 von 6000 Euro.

Im Fall des Eos-Fahrers verhandelt zunächst das Landgericht Braunschweig. Nun müssen die drei Richter zudem über die eingereichten Anträge entscheiden. Hausfeld möchte, dass zehn Fragen – die auch unserer Zeitung vorliegen – dem EuGH weitergereicht werden. Dürfen zum Beispiel Autos mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung überhaupt verkauft und zugelassen werden? Verliert eine EG-Typgenehmigung automatisch ihre Gültigkeit, wenn der Hersteller die Abschalteinrichtung nicht angegeben hat? Weicht ein Auto dann vom genehmigten Fahrzeugtyp ab?

VW äußert sich nicht zu laufenden Gerichtsverfahren. Nach Informationen unserer Zeitung blickt Wolfsburg durchaus zuversichtlich nach Braunschweig. Schließlich sprechen einige Anzeichen dafür, dass VW den Prozess gewinnt und die Anträge abgelehnt werden. Diese werden als reine Verzögerungstaktik gewertet. Denn dass Rechtsfragen direkt an den EuGH weitergereicht werden, ist nicht üblich. Außerdem ist fraglich, ob das europäische Gericht überhaupt zuständig wäre und die Fragen für relevant genug halten würde. Einige davon sind nach Einschätzung von Juristen zudem bereits geklärt.

Auch der Gang durch die üblichen Instanzen würde damit nicht notwendigerweise entfallen, wie eine Sprecherin des Landgerichts erklärt. Würde der EuGH tatsächlich Fragen zum EU-Recht klären, wäre seine Auslegung anschließend von den Gerichten zu berücksichtigen. Über den konkreten Fall würde aber auch dann das Braunschweiger Landgericht entscheiden. Anschließend könnte Berufung eingelegt werden, sodass das Oberlandesgericht entscheiden müsste. Darauf würde wiederum der Bundesgerichtshof folgen.

Hausfeld fordert Bericht von

Jones Day

Eine andere Forderung der Kläger wies ein Konzernsprecher zurück: Hausfeld fordert den Bericht der US-Kanzelei Jones Day, die der VW-Aufsichtsrat mit der internen Aufklärung des Betrugs beauftragt hat. Laut VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch hat es einen solchen Bericht allerdings nie gegeben – und wird ihn auch nie geben. Volkswagen verweist auf das „Statement of Facts“ des US-Justizministeriums, in das die Erkenntnisse von Jones Day eingeflossen sind. Daneben verlangt Hausfeld Einsicht in Gesprächsprotokolle und Schriftverkehr zwischen VW und dem Kraftfahrt-Bundesamt.

VW legt zum ersten Mal nicht Berufung ein

Bisher gaben die deutschen Landgerichte beim Großteil der Kunden-Klagen Volkswagen Recht – wenn nicht, ging VW in Revision. Doch nun legen die Wolfsburger bei zwei Urteilen aus Arnsberg und Bayreuth zum ersten Mal keine Berufung ein. Die Anwaltskanzlei Rogert & Ulbrich – neben Hausfeld eine der Kanzleien, die im Abgas-Skandal zahlreiche Kunden vertritt – interpretiert das als Strategiewechsel. „Bislang hat der Konzern jede auch nur erdenkliche Möglichkeit genutzt, die Verfahren in die Länge zu ziehen und dennoch eine Entscheidung von Obergerichten zu vermeiden“, sagt Anwalt Marco Rogert. In diesen beiden Fällen glaube VW offenbar nicht an Erfolgsaussichten, interpretiert die Kanzlei.

VW widerspricht: „Das wird eine Ausnahme bleiben“, betont ein Sprecher. Grund in den beiden Fällen sei, dass der aktuelle Marktwert der Autos nur knapp unter dem Betrag liege, den der Autobauer – gegen Rückgabe der Fahrzeuge – an die Kläger zahlen muss. Wenn VW die Autos weiterverkaufe, entstehe also kein wesentlicher finanzieller Schaden. Wie bisher werde Volkswagen aber auch in Zukunft jeden Einzelfall prüfen und auch auf die Berufung zurückgreifen. Der Konzern sei der festen Überzeugung, dass Obergerichte die Rechtsauffassung des Autobauers bestätigen würden. Die Wolfsburger sind der Ansicht, dass es keine Rechtsgrundlage für Kundenklagen gibt. Denn alle betroffenen Autos könnten uneingeschränkt genutzt oder ohne Restwertverlust verkauft werden. Die Genehmigungen dafür lägen vor.

Klagemöglichkeit für Kunden endet im Dezember

Wer trotzdem noch Ansprüche wegen des Abgas-Betrugs geltend machen möchte, sollte sich beeilen. Denn Ende des Jahres endet die verlängerte Verjährungsfrist. Ende 2015 hatte VW erklärt, bis zum 31. Dezember 2017 auf den Verjährungsanspruch zu verzichten, auch für Autos, bei denen der Gewährleistungszeitraum eigentlich schon abgelaufen wäre. Trotz Kritik von Verbraucherschützern und den Grünen hält der Autobauer daran fest, worauf auch unser Leser hinweist. Denn nun lägen alle Genehmigungen zur Umrüstung der Autos vor. VW gehe davon aus, dass der Rückruf im Herbst 2017 abgeschlossen sein werde.

Bisher haben allein am Landgericht Braunschweig rund 460 Kunden Klage eingereicht. Davon sind einer Sprecherin zufolge noch etwa 400 Klagen anhängig; in 44 Fällen wurden Urteile gesprochen.

Prozess der Deutschen See gegen VW startet im Juli

Als erster Großkunde klagte die Deutsche See. Der Fischlieferant fordert wegen „arglistiger Täuschung“ 11,9 Millionen Euro Schadenersatz. Wie eine Gerichtssprecherin nun bestätigte, startet der Prozess am 14. Juli. Bis zum nächsten juristischen Schlagabtausch mit Signalwirkung haben die Wolfsburger also nur eine kurze Atempause.