Braunschweig. Lars Henner Santelmann, VW-Financial-Services Vorstandschef, erläutert im Interview, wie das Internet neue Kunden bringen soll.

Die VW Financial Services AG (VWFS) ist einer der großen und zuverlässigen Gewinnbringer im Volkswagen-Konzern. Im Interview mit Armin Maus und Andreas Schweiger erläutert VWFS-Vorstandschef Lars Henner Santelmann die Strategie hinter den ehrgeizigen Wachstumszielen des Braunschweiger Unternehmens.

Herr Santelmann, trotz des Abgas-Skandals war das vergangene Jahr das wirtschaftlich erfolgreichste in der Geschichte der Volkswagen Financial Services AG. Wie entwickelt sich das Unternehmen in diesem Jahr?

VW-Financial

Wir sind auch für dieses Jahr sehr zuversichtlich. Der Vertragsbestand ist im ersten Quartal um rund 9 Prozent gewachsen, damit können wir sehr zufrieden sein. Inzwischen stehen rund 50 Prozent aller Konzern-Neufahrzeuge bei uns in den Büchern: mit Finanzierungs-, Leasing-, Versicherung-, oder Dienstleistungsverträgen.

In der Vergangenheit ist VWFS mit dem Konzern mitgewachsen, hat parallel zu den Marken neue Märkte erschlossen. Bleibt diese Strategie der Fahrplan für die nächsten Jahre?

Es wird nicht mehr so sehr darum gehen, neue Märkte zu erschließen, sondern unsere Effizienz zu steigern und unsere Produktpalette zu erweitern. Dieser Prozess ist auch durch die Dieselkrise beschleunigt worden, wir mussten reagieren.

Was haben Sie getan?

In einem ersten Schritt haben wir unsere Kosten nachhaltig um 200 Millionen Euro gesenkt. Hierfür wurden in Braunschweig und international sämtliche Ausgabenpositionen vertikutiert. Dann haben wir die strukturelle Veränderung eingeleitet, die Abspaltung der VW-Bank von der VWFS. Unter dem Dach der VW-Bank wird künftig das gesamte europäische Kreditgeschäft gebündelt. Parallel dazu gibt es die VWFS mit allen Nicht-Bankaktivitäten in Europa, wozu das Leasinggeschäft, Dienstleistungen und Versicherungen gehören. Außerdem betreibt die VWFS das Komplettgeschäft in Übersee. Durch diese Trennung von VWFS und VW-Bank senken wir auch den Eigenkapitalbedarf für VWFS. Dadurch stehen mehr Mittel für Investitionen zur Verfügung. Das ist eine Voraussetzung für Wachstum.

Wie soll das Unternehmen wachsen?

Wir werden unser Angebot stetig erweitern. Vor allem das Geschäft mit Dienstleistungen, dazu gehören Wartungs- und Serviceverträge , läuft für PKW- und LKW-Flotten sehr gut. Das rollen wir Land für Land aus. Auch Privatkunden nehmen unsere Dienstleistungen gut an, speziell Rundumsorglospakete. Sie umfassen Finanzierung, Versicherungen, Wartung- und Verschleiß, Reifenservice und Garantieverlängerung. Bezahlt wird alles in einer Rate.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Ihrer Strategie?

Eine zentrale! Bis 2020 sollen alle wesentlichen Produkte online erhältlich sein. Der Kunde soll in der Lage sein, alle Produkte direkt abschließen zu können. So erreichen wir neue Zielgruppen. Wir haben derzeit rund 18,5 Millionen Verträge im Bestand, bis 2025 sollen es mindestens 30 Millionen Verträge sein – also fast doppelt so viele. Das wollen wir größenmäßig mit derselben Mannschaft leisten wie heute. So steigern wir die Produktivität, sichern Beschäftigung und den Standort. Das geht nicht ohne Digitalisierung.

Was sagen die Händler zur Online-Strategie?

Wir haben das offen kommuniziert, es gibt keine Alternative. Es ist inzwischen üblich, dass ich mir die Dinge, die ich benötige, online besorge. Die Händler wissen das, sie sind gute Unternehmer. Außerdem haben wir Zielgruppen im Blick, die der Händler oft nicht mehr erreicht. Wir können also dazu beitragen, diese Kunden zurück zum Händler zu führen.

Welche Kunden meinen Sie?

Künftig wollen wir uns das Segment der älteren Fahrzeuge erschließen, die fünf oder sechs Jahre alt sein können. Wir sind aktuell sehr fokussiert auf Neuwagen und junge Gebrauchtfahrzeuge. Der Bestand der VW-Konzernfahrzeuge umfasst weltweit rund 100 Millionen – Neu- und Gebrauchtwagen zusammengerechnet. Angesichts dieser Dimension bin ich fest davon überzeugt, dass wir unser Ziel von 30 Millionen Verträgen nicht nur erreichen, sondern sogar übertreffen.

Warum benötigen Sie die Digitalisierung, um dieses Ziel erreichen zu können?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens: Beim Kauf eines Neufahrzeugs gehen zwar 99 Prozent der Kunden noch zum Händler. Im Durchschnitt bricht die Beziehung des Kunden zum Händler aber nach drei Jahren ab. Das heißt, wir können uns nicht darauf verlassen, dass der Kunde danach noch den Weg zum Händler sucht. Zweitens: Der Gebrauchtwagenmarkt ist in Deutschland mit sechs Millionen Einheiten zwar doppelt so groß wie der Neuwagenmarkt. Das meiste dieses Geschäfts geht aber am autorisierten Fachhandel vorbei. Würden wir diese Autos wieder in unsere Bücher bekommen – etwa mit einer Finanzierung, einer Garantie oder einem Wartungsvertrag – würden wir die Kunden sogar zum Händler zurücksteuern.

Für dieses Geschäftsmodell mit älteren Autos benötigen Sie eine große Zuversicht in die Qualität der Konzern-Fahrzeuge.

Beim Leasing wählen bereits 80 bis 85 Prozent unserer Kunden All-Inclusive-Verträge, also auch Wartungs- und Verschleiß-Dienstleistungen. Von diesen Autos wissen wir, dass sie top-gepflegt sind. Wir kennen die gesamte Fahrzeug-Historie, wissen wann und warum sie in der Werkstatt waren. Das erleichtert die Kalkulation und verringert das Risiko.

Warum entwickeln Sie parallel zum klassischen Fahrzeuggeschäft neue Angebote, etwa Tankarten, Park-Dienstleistungen und mobile Bezahlsysteme. Lässt sich damit so gutes Geld verdienen?

Diese Angebote stehen in einem logischen Zusammenhang mit unseren klassischen Produkten. Allerdings generieren die klassischen Produkte nicht viele Kundenkontaktpunkte. Neue Produkte bringen uns dagegen täglich mit den Kunden in Kontakt und wir erleichtern ihnen das Leben. Dazu nenne ich Ihnen ein Beispiel: Ein LKW-Fahrer braucht im Durchschnitt 20 bis 25 Minuten für die Parkplatzsuche entlang der Autobahn. Das entsprechende Navigationssystem kann ihm dagegen gleich Parkplatz und Dusche reservieren. Dadurch wird der Fahrer geschont und der LKW besser ausgelastet. Schließlich ist Zeit Geld. Außerdem wird Kraftsoff gespart, weil die Beschleunigungsvorgänge nach einer vergeblichen Parkplatzsuche entfallen.

Es ist deutlich zu spüren: Bei VWFS ist vieles in Bewegung. Wie organisieren Sie diesen Wandel?

Wir haben von Anfang an offen agiert, die Belegschaft informiert und die Arbeitnehmervertreter einbezogen. Das hat der Vorstand kombiniert mit unternehmerischem Willen. So steht die Belegschaft dahinter.

Haben Sie Probleme, Fachkräfte zu finden?

Nein. Wir bekommen gute Leute, weil ein erfolgreiches Unternehmen immer attraktiv ist. Ein weiterer großer Pluspunkt ist auch unser betriebsinterner Kindergarten, das war eine wirklich sehr gute Investition. Bei einigen Spezialqualifikationen – zum Beispiel die Datenanalyse – tun wir uns allerdings wie die gesamte Branche mitunter schwer, die entsprechenden Mitarbeiter zu finden.

Nicht nur intern ist bei Ihnen Bewegung, auch baulich verändert sich das Unternehmen.

Ja, bis 2020 investieren wir in Braunschweig über 150 Millionen Euro. So entsteht zum Beispiel ein eigenes Gebäude für unsere Akademie. In Braunschweig-Rautheim bauen wir für 65 Millionen Euro ein neues Rechenzentrum. Das lagern wir bewusst nicht aus, um Sicherheit und Leistungsfähigkeit zu gewährleisten.

Wie viele Kilometer legt ein Manager wie Sie jährlich im Auto zurück?

Das sind gar nicht so viele, etwa 25 000. Dafür fliege ich vergleichsweise viel. Ich bin ein- bis zweimal wöchentlich unterwegs, einmal im Monat interkontinental. Zum Glück kann ich im Flugzeug sehr gut schlafen.