Braunschweig. Braunschweigs Kripo-Chef Ulf Küch tritt nicht mehr als Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter an – eine Bilanz.

Ulf Küch gibt nach acht Jahren den Landesvorsitz des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) ab. Auch sein Amt als stellvertretender Bundesvorsitzender will er nicht fortführen. Deutschlandweit bekannt wurde der Braunschweiger Kripo-Chef mit der Einrichtung der „Soko Asyl“ (heute: „Soko Zerm“), seinem gleichnamigen Buch und zahlreichen Auftritten in Fernseh-Talkshows. Den 60-Jährigen drängt es in die Politik. Für die FDP will der Salzgitteraner im Januar in den Landtag einziehen. Ob er das schafft, hängt vom Listenplatz und dem Wahlergebnis der Liberalen ab. Küch zog Bilanz im Gespräch mit Ann Claire Richter und Dirk Breyvogel.

Sie geben den BDK-Landesvorsitz ab. Warum?

Ich bin jetzt 20 Jahre im BDK, acht Jahre an der Spitze. Irgendwann muss ein Wechsel kommen. Ich breche zu neuen Ufern auf, auch weil ich erkannt habe, dass man als Gewerkschaftsfunktionär nur begrenzte Möglichkeiten hat, seinen Einfluss geltend zu machen. Dabei ist es in meinen Augen nicht entscheidend, wie groß die Gewerkschaft ist.

Das klingt ernüchtert. Dabei ist der BDK gerade jetzt, in Zeiten einer abstrakt hohen Terrorgefahr, ein gefragter Gesprächspartner…

Das stimmt. Wir sind zwar ein recht kleiner, aber doch auch sehr spezialisierter Verband, der in den letzten Jahren an Ansehen gewonnen hat. Wir sind mittlerweile zitierfähig, sogar an Universitäten. So weit können wir mit unseren Einschätzungen der Realität also nicht weg sein.

Hat sich die Gewerkschaft der Öffentlichkeit stärker zugewandt?

Wir haben unsere Strategie geändert. Die Expertise der Kriminalbeamten ist gerade in Terrorangelegenheiten so gefragt, weil wir oft die Vorgeschichte dieser Personen kennen und einschätzen können. Viele vergessen, dass die meisten islamistischen Attentäter, ob in Deutschland oder anderen europäischen Ländern, kriminelle Karrieren hinter sich haben. Irgendwann im Leben dieser Menschen kommt dann der Kick, und sie wechseln vom Lager der Kleinkriminellen in das Lager derjenigen, die bereit sind, sich und andere in den Tod zu reißen.

Sie sprechen von einem Kick. Was löst den aus?

Ich habe schon vor zehn Jahren davor gewarnt, dass wir Flüchtlinge und Migranten, die wir hier aufnehmen, nicht einfach sich selber überlassen dürfen. Hier beginnt oft eine diabolische Entwicklung. Man lässt sie erstmal in ihrer Community allein, wo sie dann vor sich hinmurksen. So entwickeln sich Verlierertypen.

Als ich bei der Polizei anfing, waren unsere Gefängnisse in der Regel gefüllt mit Menschen, meist Männern, die eine schlechte oder gar keine Ausbildung und keine Perspektive hatten und die oft zwangsläufig in der Kriminalität landeten. Über die vergangenen 40 Jahre hat sich das Schulsystem erheblich verbessert, so dass der Anteil dieser – deutschstämmigen – Gruppe immer geringer wird. Aber wir haben Ersatz gekriegt, erst durch die Gastarbeiter, später durch Menschen, die nach dem Libanon-Krieg zu uns geflüchtet sind. Auch um diese Gruppen haben wir uns nicht richtig gekümmert. Diese Menschen sind dann anfällig für Bauernfänger, wie die salafistischen Gemeinden, die sich genau dieser Klientel annehmen.

Was ist mit den deutschen Staatsbürgern, die konvertieren und dann in den Dschihad ziehen?

Die haben ähnliche Karrieren hinter sich. Denen wird auf einmal eine Perspektive aufgezeigt, die sie intellektuell überhaupt nicht fassen können, die ihnen aber magisch und schön erscheint.

Welche politische Lehre sollte aus Ihrer Sicht gezogen werden?

Wir brauchen endlich ein Einwanderungsgesetz, das seinen Namen verdient. Dann wird deutlich, wer die Voraussetzungen erfüllt und eine Chance hat, Deutscher zu werden. Das wird ja teilweise noch relativ willkürlich gehandhabt. Da wird eine Familie, die seit 18 Jahren hier lebt und voll integriert ist, abgeschoben. Andere, die hier Straftaten begehen, wird man aber nicht los. Das ist eine Situation, an der jemand wie ich, der seit 43 Jahren bei der Kriminalpolizei arbeitet, verzweifeln kann. Und die Politik lernt nicht daraus.

Was ist aus Ihrer Sicht nötig?

Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen. Sprache bleibt der Schlüssel für Integration. Dann muss aber auch jeder die Chance bekommen, an diesen Angeboten teilhaben zu können. Ich finde es gut, dass sich Braunschweigs Schul- und Sozialdezernentin Andrea Hanke in einem offenen Brief an Kultusministerin Frauke Heiligenstadt dafür eingesetzt hat, dass die Sprachlernklassen für geflüchtete und zugewanderte Kinder erhalten bleiben. Überhaupt: Wie die Stadt Braunschweig mit der Flüchtlingssituation umgegangen ist, das ist exemplarisch gut in Deutschland.

Dient Braunschweig als Vorbild?

Ich bin viel rumgekommen. Es gibt Gegenden wie in Köln-Chorweiler: Da haben sie alles zusammengepackt: Migranten, Flüchtlinge, die Unterschicht. Alle wohnen Tür an Tür; und es sieht dort wirklich schlimm aus. Es ist ein Paradebeispiel für rasant wachsende Kriminalität. Die Polizeiwache dort ist abgesichert wie Fort Knox. Sehr grenzwertig.

Manchmal wird gesagt, dass es diese „No-go-Areas“ auch bei uns gibt. Wie ist das in Salzgitter?

In Salzgitter hat sich die Situation nicht so krass entwickelt wie in Berlin oder Köln. Aber auch hier gibt es Auseinandersetzungen zwischen Migrantengruppen, die für sich in Anspruch nehmen, das eigene Recht durchzusetzen. Das geht natürlich gar nicht.

Auch die Aggression gegenüber Polizeibeamten hat zugenommen. Wie bewerten Sie das?

Es gibt eine verstärkte Respektlosigkeit gegenüber Institutionen. Für mich liegt dieser Ursprung in den 1990er Jahren, einer Zeit des ausufernden Hedonismus. Die Rechte wurden in Anspruch genommen, aber die Pflichten fielen hinten runter. Das Problem, das wir häufig feststellen ist: Diese Personen legen unsere Rechtsstaatlichkeit als Schwäche aus. Deshalb habe ich bei der Gründung der „Soko Zerm“ auch betont, dass kriminelles Handeln zwingend Konsequenzen haben muss, sonst wird es uns als Schwäche ausgelegt. Die Justiz muss spürbar eingreifen. Was sie in Braunschweig auch getan hat. Deshalb haben wir bestimmte Probleme mit bestimmten Gruppen nicht mehr. Diese Klientel hat sehr wohl verstanden, was es heißt, in beschleunigten Verfahren vor dem Amtsrichter am Eiermarkt sitzen zu müssen.

Aber hat der Respekt gegenüber Einsatzkräften nicht insgesamt nachgelassen? Stichwort: Rettungsgassen auf deutschen Autobahnen…

Das Bild von Autoritäten hat sich geändert. Der Schutzmann löste früher noch Respekt aus. In Braunschweig haben wir die meisten Probleme in dieser Hinsicht mit der Feierszene. Die Übergriffe auf die Beamten haben tatsächlich eine andere Qualität als noch vor 20 Jahren. Früher war um 1 Uhr nachts Feierabend. Heute geht es am Sonntagmorgen um 9 Uhr doch erst richtig los: Die jungen Leute kommen aus der Disco und saufen gleich weiter in Gaststätten, die früh morgens aufmachen.

Kann die Respektlosigkeit auch daher kommen, dass sich die, die Vorbilder in der Gesellschaft sein sollten, nicht an Recht und Gesetz halten?

Natürlich spielt es eine Rolle, wenn die sogenannten Eliten sich nicht mehr an die Regeln halten, ob das ein Herr Hoeneß ist, eine Frau Schwarzer oder ein Konzern wie VW. Da fragt sich der kleine Mann: Wenn die sich nicht daran halten, warum sollte ich das tun? Das ist eine gefährliche Situation, die unser System modrig macht.

Wie ist Ihre persönliche BDK-Bilanz?

Es gibt Sachen, die nicht funktionieren, weil die Politik nicht mitzieht. Eine aktuelle Geschichte: die Leichenschau. Jeder Wald- und Wiesenarzt kann eine Todesbescheinigung ausstellen. Das ist ein Riesenproblem. Eigentlich hatten sich die norddeutschen Bundesländer und Nordrhein-Westfalen verpflichtet, die Bescheinigung auf andere Füße zu stellen. Versierte Fachleute, forensische Mediziner sollten mit einbezogen werden. Das ist gescheitert, weil es um Kosten geht. Das halten wir für einen eklatanten Nachteil.

Wo gab es Erfolge?

Bei der Rocker-Problematik. Wir haben in Niedersachsen das Übel angesprochen und dazu beigetragen, dass sich die Hell’s Angels zumindest nicht in der Öffentlichkeit zur Schau stellen können. Wir sehen diese Gruppen als Teil einer kriminellen Vereinigung an, während in Süddeutschland versucht wird, der Lage über das Vereinsrecht Herr zu werden. Dort bilden sich weitere Gruppen, teils aus dem osmanischen Raum, die sich auch noch für Erdogan starkmachen und Druck auf ihre Landesleute machen. Das sind gefährliche Entwicklungen, und ich frage mich, auf was die Politik noch warten will, bis sie einschreitet.

Was macht den Polizisten-Job aus Ihrer Sicht noch attraktiv?

Es ist einer der interessantesten und abwechslungsreichsten Berufe. Und er macht Sinn und hat einen Wert für die Gesellschaft. Ich habe diesen Beruf immer geliebt und tue das heute noch. Aber gerade deshalb sehe ich es als Pflicht an, auch auf Fehlentwicklungen deutlich hinzuweisen.

Warum ist die FDP die richtige Partei für Sie?

Die FDP hat sich verändert; sie weiß auch, dass der Schlüssel für die Zukunft in der Bildung liegt. Da sind wir wieder bei der Diskussion über die, die zu uns kommen, und das Thema „Fördern und Fordern“. Was ich bei der FDP verbesserungswürdig finde, ist, dass sie sich im Grunde genommen aus dem Bereich der Inneren Sicherheit verabschiedet hat. Das überlässt sie leider den anderen. Ich sage ganz deutlich: Wir brauchen keine schärferen Gesetze. Wir haben alles. Wir müssen sie nur anwenden.

Auch in Richtung meiner eigenen Partei sage ich, dass wir nicht nur die Politik und die Polizei auffordern müssen, tätig zu werden, sondern auch die Judikative auf ihre Verantwortung hinweisen müssen. Sie hat eine Verpflichtung zum Rechtsfrieden.

Sie haben auch in der Flüchtlingsdiskussion immer offene Worte gesprochen. War das immer zu Ihrem Vorteil?

Ich bin in der Landespolitik bei vielen zur „Persona non grata“ geworden. Wie das immer so ist: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Ich habe nach der Einrichtung der Soko Asyl Anfragen aus dem ganzen Bundesgebiet bekommen, um zu berichten – nur nicht aus Niedersachsen.

Wir fahren unsere Soko Zerm nach wie vor mit ganz großem Erfolg. Das war das Allerwichtigste, warum wir in Braunschweig den sozialen Frieden bewahrt haben. Nachdem es in Kralenriede rund um die Landesaufnahmebehörde begann, aus dem Ruder zu laufen, haben wir uns offensiv vor die Bevölkerung gestellt und gesagt: Ja, wir haben ein Problem, aber wir gehen das Problem jetzt mal an. Und haben später auch berichtet, wer für die Probleme verantwortlich gewesen ist, aber eben auch, wer nicht. Wir haben in der Anfangszeit auch dem Bundesamt für Migration angeboten, ihm bei der Erfassung der Identitäten der Flüchtlinge zu helfen. Unverständlicherweise hat man das aber abgelehnt.