Hannover. Niedersachsens Wirtschaftsminister ist ein Eckpfeiler der Regierung, doch die Vergabefehler treffen auch ihn.

Ein Leser, der sich Gast nennt, meint auf unseren Internetseiten:

Also, Herr Lies, auch Sie müssen Ihren Posten räumen – und zwar schnell!

Das Thema recherchierte Michael Ahlers

Es war am Donnerstagmittag, als Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) im Landtag in Hannover auf der Galerie des Parlaments noch einmal informell über die Vergabeaffäre in seinem Ministerium sprach. Lauscher aus der Opposition hätten wenig Überraschendes gehört. Zum Auftakt der Landtagssitzung hatte Lies das Parlament darüber informiert, dass er seine Staatssekretärin Daniela Behrens auf deren Wunsch hin entlassen werde. Die Nachricht hatte sich kurz vorher verbreitet. „Das war der schwierigste Moment seit Beginn meiner Amtszeit“, sagte Lies – der immerhin ja auch im VW-Aufsichtsrat ist.

Dass er selbst sich nicht als Wackelkandidat sehe, hatte Lies schon mehrfach durchblicken lassen. Er selbst sei mit den Vorgängen ja nicht befasst gewesen. An der informellen Gruppe um Lies huschte auch ein guter alter Bekannter vorbei, auf dem Weg in die Cafeteria oder vielleicht auch in einen Besprechungsraum: Uwe Schünemann, der frühere CDU-Innenminister. Er wird der CDU-Obmann in einem Untersuchungsausschuss zur Vergabe-Affäre sein. Der könnte im Juni vom Landtag eingesetzt werden und soll zielgerichtet arbeiten – also nicht etwa alle Vergaben aller Ministerien durchforsten.

Bei der Vergabeaffäre geht es um schwieriges Terrain. Politische und juristische Sorgfalt sind notwendig, damit nicht das herauskommt, was in Niedersachsen herauskam: Staatssekretärin weg, Pressesprecher weg, die Justiz ermittelt, dazu drohende Schadenersatzforderungen ausgebooteter Konkurrenten. Regierungen haben viele Aufträge zu vergeben, müssen das aber fair tun. So seien „Markterkundungen“ üblich und erwünscht, sagte Minister Lies in seiner Rede – man muss sich schließlich einen Überblick verschaffen können, zum Beispiel wer eine Webseite zum Standortmarkting besonders gut machen könnte oder auch welcher Radiosender das Bühnenprogramm für eine Elektromobilitäts-Werbetour besonders gut stemmen könnte.

Bewerber quasi vorab einzubinden oder sie gar die Ausschreibungskriterien mehr oder minder selbst entwickeln zu lassen, hat mit geordneter Vergabe allerdings nichts zu tun. Dennoch durften Vertreter der Agentur „Neoskop“ ihre Vorstellungen zum Webdesign schon mal im Ministerium präsentieren, Behrens selbst soll den Zuschlag angewiesen haben. Bei der 7-Städte-Tour zur Elektromobilität soll der bereits kaltgestellte Ministeriumssprecher die Strippen deutlich zu eng angezogen haben. „Ich habe das o.k. von der Hausspitze für die weiteren Verhandlungen mit ffn“, zitierte Lies im Parlament aus einer E-Mail des Pressesprechers an den Projektmanager der Tour. „Was hast du für Vorschläge, was wir von ffn wollen sollten?“

Lies betonte, er habe so ein okay nie erteilt, Behrens habe ihm aber gesagt, sie könne das für sich nicht ausschließen. Die Ausschreibung wurde im Februar 2016 veröffentlicht, eine „Bewertungsmatrix“ aber erst am 16. März erstellt, am Tag des Vergabevermerks. Zwei Tage vorher hatte es in der Sache ein Gespräch mit der Staatssekretärin gegeben. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Staatssekretärin nicht doch auf das Votum des Auswahlgremiums Einfluss genommen hat“, sagte Lies. Zwar lobten Abgeordnete von SPD und Grünen die Arbeit der Staatssekretärin ausdrücklich, doch die Vorgänge erinnern wirklich an jene „Bananenrepublik“, die FDP-Fraktionschef Christian Dürr dazu eingefallen war. An diesem Freitag will Lies persönlich Prüfer vom Staatsgerichtshof in seinem Haus empfangen, die die Vorgänge durchleuchten sollen. In Sachen Internet-Seite siegte das mit 180 000 Euro teuerste Angebot, mit Nachforderungen soll es über 200 000 Euro gerutscht sein, das sei die Grenze zur europaweiten Vergabe, hieß es in Landtagskreisen.

Der Minister, der schon SPD-Chef in Niedersachsen und damaliger Kontrahent von Weil im Kampf um die Spitzenkandidatur war, dürfte um fast jeden Preis im Amt gehalten werden. Lies ist ein Sympathieträger und Aktivposten in der Regierung. Doch der Fortgang der Affäre ist auch für ihn riskant. Hunderte, ja Tausende E-Mails könnten unter die Lupe genommen werden, weitere Unregelmäßigkeiten auftauchen. „Sie wissen mehr, als Sie hier heute präsentiert haben“, sagte CDU-Mann Jens Nacke. Was ist mit den einzelnen Paketen des Eine-Millionen-Etats der „Roadshow“ ist so eine Frage. Was mit einem 50 000-Euro-Werbeclip? Die Regierung konnte oder wollte im Parlament zunächst nicht einmal die Frage beantworten, ob und wie jenes Steuerreform-Gutachten ausgeschrieben war, mit dem Ministerpräsident Weil am Dienstag vor die Medien getreten war. Die Fachleute waren auf einer Konferenz.