Braunschweig. Ulf Prüße entwickelt Bio-Kunststoffe am Thünen-Institut in Braunschweig. Sie sollen den Verbrauch von Erdöl in der chemischen Industrie reduzieren.

Unser Leser G. Schmidt ist der Meinung:

Bio-Plastik ist für unsere Umwelt genauso schädlich wie herkömmliches Plastik, außer dass dafür nachwachsender Rohstoffe verwendet werden.

Zum Thema recherchierte Johannes Kaufmann

Die Massenproduktion von Kunststoffen gibt es noch keine 100 Jahre, und doch ist es eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Plastik ist überall – und in vielen Bereichen unverzichtbar. Grund dafür sind die vielfältig variierbaren Eigenschaften von Kunststoffen und ihre Langlebigkeit.

„Die Tupperdose soll ja nicht schneller ver- gammeln als der darin aufbewahrte Käse.“
„Die Tupperdose soll ja nicht schneller ver- gammeln als der darin aufbewahrte Käse.“ © Ulf Prüße, Institut für Agrartechnologie am Thünen-Institut

Doch darin liegt auch ein Problem. Denn überall bedeutet nicht nur in jedem Haushalt und jedem Auto, sondern auch an Orten, wo die Kunststoffe nicht nur keine Funktion mehr erfüllen, sondern auch Schaden anrichten. Laut einer Studie in der Zeitschrift „Science“ von 2015 gelangten allein im Jahr 2010 rund acht Millionen Tonnen Plastikmüll in die Ozeane.

„Das Plastik-Problem: Lässt es sich noch lösen?“, so lautet der Titel der Sendung „Logo – Wissenschaft aus Braunschweig“, die am 25. April in Braunschweig aufgezeichnet wird. „Logo“ ist eine gemeinsame Veranstaltung unserer Zeitung mit NDR Info und dem Haus der Wissenschaft.

Ulf Prüße ist Teilnehmer der Diskussionsrunde bei „Logo“. Als stellvertretender Leiter des Instituts für Agrartechnologie am Thünen-Institut in Braunschweig entwickelt er Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen. „Ökologisch ist nicht das Produkt, sondern der verwendete Rohstoff“, bestätigt Prüße den Einwand unseres Lesers. Unter Bio-Kunststoffen verstünden viele Verbraucher, dass diese biologisch abbaubar seien. Doch Prüße stellt klar: „Nicht alle Bio-Kunststoffe sind abbaubar, und umgekehrt können auch Kunststoffe auf Erdölbasis abbaubar sein.“ Da gerate in der Öffentlichkeit häufig einiges durcheinander.

Doch sei Abbaubarkeit auch gar nicht immer entscheidend. „Sinnvoll ist das nur bei wenigen Anwendungen wie zum Beispiel Mulchfolien beim Spargelanbau. Aber die Tupperdose soll ja nicht schneller vergammeln als der darin aufbewahrte Käse“, sagt Prüße. Im Gegenteil: Langlebigkeit sei oft eine erwünschte Eigenschaft bei Kunststoffen, etwa im Fahrzeugbau, bei Geschirr, Fensterrahmen oder Wasserrohren.

„Biologisch abbaubare Kunststoffe werden das Problem des Plastikmülls in der Umwelt nicht lösen“, ist Prüße überzeugt. Denn unter realen Bedingungen verhielten sich die Kunststoffe oft anders als im Labor. „Bei vier Grad Celsius auf dem Meeresgrund kann auch der Abbau eines eigentlich abbaubaren Kunststoffs Jahrzehnte dauern“, sagt Prüße.

Dennoch könnten Bio-Kunststoffe einen Beitrag leisten, nicht beim Umwelt-, sondern beim Klimaschutz und bei der Schonung von Ressourcen. Pro Jahr werden weltweit 300 Millionen Tonnen Kunststoff produziert. Der Rohstoff, der all diesen Produkten zugrunde liegt: Erdöl. Bei Bio-Kunststoffen wird das Öl ersetzt durch Produkte aus Biomasse.

„Mehr als die Hälfte der organischen Chemieprodukte könnten aus Bio-Ethanol hergestellt werden“, ist Prüße überzeugt. „Die Grundlage ist immer Zucker, ob als Stärke aus Mais oder Weizen, Saccharose aus Zuckerrohr oder -rübe oder Zellulose aus Holz, Stroh oder Gras“, sagt Prüße. Es sei lediglich technisch unterschiedlich kompliziert, von diesen Ausgangsstoffen an die Glucose zu kommen, mit der die Kunststoffproduktion beginnt. Am einfachsten ist der Weg von der Mais- oder Weizenstärke über den Bio-Ethanol zum Kunststoff. So sei es möglich, Produkte herzustellen, die „direkt in die bestehenden petrochemischen Prozessketten eingespeist werden können und am Ende dieselben Produkte liefern“, schreibt Prüße in einem Artikel des Thünen-Magazins „Wissenschaft erleben“.

Solche Produkte wären CO2-neutral: Am Ende ihres Lebenswegs, beim Verrotten oder Verbrennen, setzen sie das CO2 frei, das die Pflanzen beim Wachstum zuvor aufgenommen haben. „Heute werden mehr als 80 Prozent des Bio-Ethanols zur energetischen Nutzung verbrannt. Sinnvoller wäre es, den Rohstoff erst für Polyethylen, Polypropylen, Gummi und so weiter zu nutzen. Die kann man am Ende immer noch verbrennen“, meint Prüße.

Allerdings treten Bio-Kunststoffe in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln. Etwa 100 Millionen Hektar Ackerfläche wären nötig, um die Hälfte des Erdöls für die chemische Industrie durch Bio-Ethanol zu ersetzen – so die Rechnung von Ulf Prüße. Das entspricht etwa dem Neunfachen der Ackerfläche in Deutschland.

Prüße ist überzeugt, dass diese Flächen durch die Nutzung von Reserven und vor allem Ertragssteigerungen zur Verfügung gestellt werden könnten. Außerdem könne sich Fläche durch einen eingeschränkten Fleischkonsum reduzieren lassen. Flächennutzung müsse aber einer klaren Prioritätenreihe folgen: „Nahrung, Chemie, Energie. Um allein ein Prozent des globalen Energiebedarfs mit Bio-Ethanol zu decken, bräuchte man 40 Millionen Hektar Ackerland.“

Mittlerweile werden auch große Unternehmen auf das Potenzial von Bio-Kunststoffen aufmerksam. Coca Cola hat eine „Plant-Bottle“ entwickelt, bei der ein Drittel des Kunststoffs PET aus Bio-Ethanol stammt. Das Problem ist aber: Einer der Grundstoffe von PET, die Terephtalsäure, ließ sich bisher nur aus Erdöl gewinnen. Die Arbeitsgruppe von Ulf Prüße forscht an einem Ersatz: Furandicarbonsäure aus Fruchtzucker. Statt PET kann daraus PEF hergestellt werden. „Das ist sehr ähnlich, hat aber bessere Eigenschaften. Es ist für Gase weniger durchlässig und hält Getränke dadurch länger frisch“, sagt Prüße.

Den Öldurst der Welt können Bio-Kunststoffe allerdings nur teilweise stillen. Lediglich zehn Prozent des geförderten Erdöls gehen in die chemische Industrie. Der Rest wird zur Erzeugung von Strom und Wärme verbrannt.