Braunschweig. Die Franzosen in unserer Region fiebern der Präsidentschaftswahl am Sonntag entgegen. Wer zieht in die Stichwahl am 7. Mai ein?

Tim Heldt schreibt auf den Facebook-Seiten unserer Zeitung:

Vielleicht sollten sich Politiker Gedanken machen, warum Leute wie Marine Le Pen überhaupt Chancen haben.

Zum Thema recherchierte Dirk Breyvogel

Das Nachdenken, das der Leser von Politikern einfordert, beschäftigt die beiden wahlberechtigten Französinnen Christel Seigneur und Ingrid Laval-Speier schon seit Wochen. Und dennoch: Wer nach dem kommenden Sonntag in die Stichwahl um das französische Präsidentenamt am 7. Mai geht, darauf wollen sie sich nicht festlegen. „Alles ist noch unsicher. Die Werte schwanken jede Woche extrem“, sagen beide.

Wer zieht als 11. Präsident in den Elysée-Palast? Seigneur, die Präsidentin der Deutsch-Französischen Gesellschaft Braunschweig-Wolfsburg, und Vereinsmitglied Laval-Speier können in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl zwischen elf Kandidaten auswählen, wobei nur fünf Kandidaten Chancen eingeräumt werden, die erste Hürde der Präsidentenkür zu nehmen.

Dies sind der Sozialist Benoît Hamon, Marine Le Pen vom rechtextremen Front National, der konservative François Fillon (Die Republikaner, früher UMP), der Linke Jean-Luc Mélenchon und „En-Marche“-Gründer Emmanuel Macron.

Laval-Speier sagt ganz offen, wer sie zuletzt am meisten enttäuscht hat. „Fillon“. Da gehe es ihr wie vielen Franzosen. „Gerade die Älteren haben damit einen Kandidaten verloren, den sie eigentlich hätten wählen wollen.“ Als Beispiel nennt die 42-Jährige ihre Eltern, die bei Paris leben – mehr denn je, sozusagen. „Die Stadtgrenze ist nur noch wenige Kilometer entfernt. Die Stadt ist gewachsen und zieht alles an – wie ein schwarzes Loch.“ Sie erzählt, wie in ihrer Heimatgemeinde die Einwohnerzahl rasant stieg. Der Grund: Die Menschen konnten sich die Mieten in der Hauptstadt nicht mehr leisten. Als sie dort aufwuchs, hatte ihr Heimatort nur 500 Einwohner, heute sind es gut 4000. „Die Menschen dort setzten Hoffnungen in Fillon. Niemand hätte ihm zugetraut, dass er sich aus seiner politischen Funktion heraus persönliche Vorteile verschafft“, sagt Laval-Speier.

Diese Hoffnung der Konservativen zerschlug sich, als bekanntwurde, dass sich der frühere Ministerpräsident mit Staatsgeldern in Höhe von rund 500 000 Euro bereichert haben soll. Der Vorwurf, dem Fillon sich nun ausgesetzt sieht: Er stellte seine Frau über Jahre hinweg offiziell als Mitarbeiterin an, obwohl sie nie für ihn tätig wurde. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Laval-Speier weist zudem auf Aussagen Fillons hin, die der laizistischen Idee, der strikten Trennung von Staat und Kirche, widersprochen hätten. „Das ist aber ein Pfeiler unserer Verfassung“, sagt auch Seigneur. Beim Thema der Homo-Ehe hätte Fillon das nicht beherzigt.

Während Laval-Speier jetzt auf den Kandidaten der neuen aufstrebenden liberalen Bewegung „En marche!“, Emmanuel Macron, setzt, ist die aus der Normandie stammende Christel Seigneur noch unschlüssig, wen sie in einer zweiten Runde wählen wird.

Seigneur präferiert den Kandidaten der Sozialisten, Benoît Hamon. Sie weiß aber auch, dass dessen Chancen, die zweite Runde zu erreichen, nicht zuletzt durch die forschen Töne des Kandidaten der Kommunistischen Partei, Jean-Luc Mélenchon, derzeit sinken. Mélenchon sieht sie sehr kritisch. „Er will raus aus der EU“, sagt Seigneur, und Laval-Speier ergänzt: „Wenn man ihn so reden hört, könnte man meinen, dass er diese Republik abschaffen und durch eine neue ersetzen will.“ Dabei wünschten sich die Franzosen einen starken Präsidenten. „Der muss am besten alles lösen“, sagt Laval-Speier. Für beide Französinnen wäre mit Blick auf eine Zukunft Frankreichs in der EU der Kandidat Macron klar die erste Wahl. „Er ist der Einzige, der einen pro-europäischen Wahlkampf macht.“ So unterschiedlich beide Frauen politisch ticken – Seigneur eher klassisch sozialdemokratisch, Laval-Speier eher konservativ – so vereint sind die überzeugten Europäerinnen darin, was ihr „absolutes Horrorszenario“ wäre, wenn am Sonntagabend die erste Runde ausgezählt ist. „Le Pen und Mélenchon, eine Rechtsextremistin und ein Linkspopulist. Beide Kandidaten werden den Rand stärken und in der Mitte sind die Menschen so verunsichert, weil sie dann zwischen zwei großen Übeln auswählen müssten“, zeigt Seigneur eine Konstellation auf, die sehr viel Spannung für die zweite Runde versprechen würde. Gehen hingegen Le Pen und Macron in die Stichwahl, sagen Demoskopen voraus, dass Le Pen keine Chance haben wird.

Der Erfolg von Marine Le Pen ist für Seigneur und Laval-Speier nicht zufällig. „Sie zieht viele Außenseiter an, die von den politischen Eliten seit Jahren enttäuscht wurden. Es gibt immer mehr Enttäuschte in Frankreich, die sagen: Wenn die Gesellschaft mich als Außenseiter behandelt, kann ich auch die wählen, die in der Politik wie Außenseiter behandelt werden. Daraus zieht der Front National seine Stärke.“

Im Gegensatz zu Deutschland müsse das politische System in Frankreich mit einem Makel leben. „Immer mehr Bürger sehen Politiker als Betrüger“, sagt Seigneur. Ein Grund, warum ein Kandidat wie Macron in nur wenigen Monaten auf Augenhöhe mit den etablierten Parteien gelangen konnte.