Berlin. Nach dem Skandal um Misshandlungen in Pfullendorf kündigt der Generalinspekteur Konsequenzen an.

Zwei Monate nach dem Skandal um sadistische Rituale in der Staufer-Kaserne in Pfullendorf greift Generalinspekteur Volker Wieker jetzt durch. Man werde Verstöße gegen die innere Führung „nicht dulden“, schreibt Wieker in einem Brief an den Verteidigungsausschuss des Bundestages. „Unsere erklärte Anstrengung gilt der zukünftigen Vermeidung solcher Vorfälle“, versichert der oberste Militärführer und kündigt in dem neunseitigen Schreiben, das unsere Zeitung vorliegt, an den Ausschussvorsitzenden Wolfgang Hellmich (SPD) und an den Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (SPD) eine Reihe von Maßnahmen an.

Eine neue Datenbank soll helfen, Fehlverhalten früher zu erkennen, insbesondere Zusammenhänge zwischen Einzelmeldungen über isolierte Vorfälle. Alle Eingaben an den Wehrbeauftragten, anonyme Hinweise, Disziplinarverfahren und sonstige Meldungen werden zusammengeführt und ausgewertet. Das bisherige Meldesystem habe in der Praxis Defizite aufgewiesen. Dass in Pfullendorf Soldaten misshandelt wurden, war damals im Januar 2017 nicht auf dem internen Dienstweg weitergeleitet worden.

Von der Leyen lässt sich von einem Kriminologen beraten

Im Verteidigungsministerium soll sich ein neues Referat speziell mit der Führung von Personal bei der Truppe befassen. Die Dienstaufsicht, aber auch die Aus- und Weiterbildung von Disziplinarvorgesetzten soll verbessert werden. Das reicht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen allerdings noch nicht. Die CDU-Politikerin will darüber hinaus externen Sachverstand heranziehen. Der „Blick von außen“ könne helfen, schreibt Wieker. Das ist typisch für Ursula von der Leyens Krisenmanagement. Nach diversen Rüstungsaffären hatte die Verteidigungsministerin zur Aufklärung ebenfalls externen Sachverstand hinzugezogen, damals Wirtschaftsberater.

Beauftragt wurde nun der renommierte Kriminologe Christian Pfeiffer, den von der Leyen noch aus Niedersachsen kennt. Pfeiffer soll die innere Führung bei der Bundeswehr, also den Umgang der Soldaten untereinander, auf Schwachstellen analysieren. Die Verteidigungsministerin will auf einem Workshop mit Spitzenkräften von Militär und Politik über die innere Lage der Bundeswehr diskutieren. Schon die Bestandsaufnahme der inneren Führung nach dem Skandal bei der Ausbildung im baden-württembergischen Pfullendorf war ernüchternd:

Bei der Ansprechstelle „Diskriminierung und Gewalt“ sind bisher 40 Hinweise eingegangen. Zivile Mitarbeiter beklagten sich vor allem über Mobbing, Soldatinnen und Soldaten über sexuelle Übergriffe.

Die Verdachtsfälle und Verstöße kamen vor allem in Standorten der Infanterie und bei der Ausbildung vor. Im Fokus standen „überwiegend Mannschaftssoldaten und Unteroffiziere“, laut Wieker vorrangig in der Altersklasse zwischen 20 und 30 Jahren.

Dass es in Pfullendorf – ausgerechnet bei den Elite-Kämpfern – zu „gravierenden Verstößen“ (Wieker) gekommen war, steht außer Frage. Der Skandal hatte Ende Januar die Bundeswehr erschüttert. Konkret ging es in der Elitekaserne um demütigende Rituale und sexuelle Nötigung. Aufmerksam wurde die Bundeswehr auf die Missstände durch einen weiblichen Leutnant. Diese Soldatin verbleibt, wie es aus dem Brief hervorgeht, auf eigenen Wunsch in der II. Inspektion in der Staufer-Kaserne in Pfullendorf, also einer Unterabteilung für die Ausbildung.

Von der Leyen hatte damals die Vorfälle umgehend und scharf verurteilt: „Die Vorgänge in Pfullendorf sind abstoßend, und sie sind widerwärtig.“ Man müsse „einer Minderheit in der Truppe, die so etwas tut, klar die Rote Karte zeigen und Konsequenzen ziehen, die sehr deutlich auch über Pfullendorf hinausgehen“.

Im Laufe des Skandals kamen immer mehr Details ans Licht. Unter anderem zwangen Ausbilder Soldatinnen zum Tanzen an einer Pole-Dance-Stange und berührten sie im Intimbereich. Fünf der sieben beschuldigten Soldaten wurden inzwischen fristlos aus der Bundeswehr entlassen, wie es auch in Wiekers Brief an den Verteidigungsausschuss steht. In dem Schreiben hebt der Generalsinspekteur außerdem hervor: „Die Vorwürfe des Mobbings und einer herabwürdigenden Sanitätsausbildung haben sich bestätigt.“ In einer Handlungsanweisung wurde unter anderem „die rektale Temperaturmessung, die teilweise Entkleidung von Lehrgangsteilnehmerinnen und Lehrgangsteilnehmern während der praktischen Sanitätsausbildung und die Verwendung entwürdigender beziehungsweise geschmackloser Unterrichtspräsentationen“ untersagt.

Hellmich beklagt: Bericht lässt noch viele Fragen offen

Für den Ausschussvorsitzenden Hellmich lässt Wiekers Bericht, über den die Abgeordneten heute im Bundestag diskutieren wollen, noch „viele Fragen offen“. Mit der Beauftragung externen Sachverstandes und der erst einzurichtenden Datenbank bleibe die Frage offen, „warum gerade Einheiten in den Fokus rückten, die aus dem Bereich des infanteristischen Einsatzes, der infanteristischen Ausbildung oder aus der besonderen Belastung durch Einsätze kommen“, sagte Hellmich unserer Zeitung. Der Bericht werfe neue Fragen auf, anstatt alte zu beantworten, beklagte der SPD-Politiker.