Braunschweig. Der Nobelpreis für den Nachweis von Gravitationswellen ist nahezu sicher. Maßgeblich beteiligt war auch der Physiker Karsten Danzmann aus Hannover.

Unser Leser Sarah Yasemin Bröker fragt auf unserer Facebook-Seite:

Gravitationswellen? Was ist das überhaupt?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Wohl seitdem es Menschen gibt, blicken sie hinauf zu den Sternen. Schon Höhlenmalereien aus der Altsteinzeit zeigen Himmelskörper, und von allen antiken Hochkulturen, zu denen es archäologische Quellen gibt, sind astronomische Beobachtungen überliefert.

„Können wir das Universum hören? Donnert es, wenn Sterne explodieren?“
„Können wir das Universum hören? Donnert es, wenn Sterne explodieren?“ © Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik

Obwohl die Astronomie seitdem gewaltige Fortschritte gemacht hat, blieb sie am Ende immer ein Blick in den Himmel. „Seit tausenden von Jahren schauen wir mit den Augen ins Universum. Wir bauen uns immer bessere Augen und nennen sie Teleskope“, sagt Professor Karsten Danzmann, Direktor am Albert-Einstein-Institut (AEI), dem Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover.

Die ersten Ferngläser sammelten über Linsen und Spiegel mehr sichtbares Licht, verstärkten also letztlich das menschliche Auge. Spätere Teleskope erweiterten den messbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums um Infrarot-, UV-, Röntgen- und sogar Gammastrahlen. Und selbst Radioteleskope sind – trotz des Radios im Namen – letztlich eine Erweiterung des Sehsinns, denn sie detektieren ebenfalls elektromagnatische Strahlung – nur mit sehr viel größerer Wellenlänge als sichtbares Licht.

Zwar eröffneten sich dadurch neue Sichtweisen auf das Universum, doch für Professor Danzmann blieb immer eine Frage unbeantwortet: „Können wir das Universum hören? Donnert es, wenn Sterne explodieren?“

Darüber sprach der Physiker kürzlich auf Einladung der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft (BWG) im Roten Saal des Braunschweiger Schlosses. Der war voll bis auf den letzten Platz, denn mit Danzmann war echte Wissenschaftsprominenz angereist. Er war maßgeblich an einer Entdeckung beteiligt, für die der diesjährige Physik-Nobelpreis vergeben werden dürfte.

„Wir haben Wissenschaftsgeschichte geschrieben“, sagt Danzmann selbstbewusst. Auf mindestens 671 Titelseiten von Zeitungen und Magazinen habe man es damit geschafft – sogar auf die der „Bild“, wie der Physiker im Scherz anmerkte. Die entscheidende Publikation erschien allerdings im Fachblatt „Physical Review Letters“ am 11. Februar 2016. Sie hatte 1004 Autoren aus 133 Institutionen. Wie man denen einen Preis gibt, der maximal drei Personen verliehen werden kann, dürfte das Nobelpreiskomitee in diesem Jahr beschäftigen.

Seitdem wissen wir: Ja, man kann das Universum hören – in gewisser Weise. „Schall braucht Luft“, erklärt Danzmann. Und die gebe es im Weltall nicht. Statt aus Schallwellen, die sich in Form von Druck- und Dichteschwankungen im Medium Luft ausbreiten, besteht der Klang des Universums aus Wellen, die den Raum und die Zeit verzerren.

Einstein hatte wieder mal Recht

Solche Gravitationswellen hatte Albert Einstein 1915 im Zuge seiner Allgemeinen Relativitätstheorie postuliert. Die besagt, dass die Schwerkraft keine Eigenschaft massereicher Körper wie der Sonne ist, sondern eine Folge der Krümmung des Raums. Planeten, die die Sonne umkreisen, werden nicht von dieser angezogen, sondern folgen in einem gekrümmten Raum der kürzesten Linie um den Stern (siehe Grafik).

Laut der Relativitätstheorie erzeugen beschleunigte Massen Wellen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen und dabei den Raum dehnen und strecken. „Das lässt sich über die Veränderung von Längen messen“, erklärt Danzmann. Zum AEI gehört „Geo600“, ein sogenanntes Laser-Interferometer. Das Prinzip: Ein Lichtstrahl wird zweigeteilt und zwei gleich lange Strecken entlang bis zu einem Spiegel geschickt. Dort werden die Strahlen reflektiert. Am Ursprungsort überlagern sich die beiden Strahlen wieder – es kommt zur Interferenz. Läuft eine Gravitationswelle durch das Interferometer, dann werden die Strecken ein bisschen gestaucht oder gestreckt. „Die Abstände zu den Spiegel ändern sich für einen Moment“, sagt Danzmann. Dadurch werden die Laserstrahlen aus der Phase gebracht, und die Interferenz ändert sich: Treffen vorher beispielsweise Wellenberg auf Wellenberg, führt das zu einer Verstärkung des Lichtsignals. Treffen durch die Verschiebung dann plötzlich Wellenberg auf Wellental, erlischt das Licht.

Das Problem ist nur: Die Veränderungen sind unvorstellbar winzig. „Eine Supernova in der Lokalen Galaxiengruppe quetscht den Raum um 10 hoch Minus 21 Meter. Das ist die Größe eines Tausendstels eines Protons“, verdeutlicht Professor Danzmann. Und das bei einer unvorstellbar gewaltigen Explosion in unserer galaktischen Nachbarschaft.

Einstein glaubte daher, dass Gravitationswellen niemals nachweisbar sein würden. Die Detektoren waren schlichtweg nicht empfindlich genug. Hinzu kommt das Datenrauschen. Jede Erschütterung kann ein Gravitationswellensignal komplett überlagern. „Geo600 ist der teuerste Erdbebendetektor der Welt“, scherzt Danzmann. Jedes Beben auf der Erde könnten sie sehen.

Wenn Schwarze Löcher kollidieren

Dennoch gelang dem Ligo-Interferometer in den USA, das mit Technik aus dem Geo600 aufgerüstet wurde, nach kontinuierlicher Verbesserung der Empfindlichkeit und der Rauschreduktion am 14. September 2015 um 11.50 Uhr erstmals der Nachweis einer Gravitationswelle. „Im Signal hören wir die letzte halbe Sekunde im Leben eines Doppelschwarzlochsystems“, sagt Professor Danzmann und fügt hinzu: „27 Jahre habe ich daran gearbeitet, das zu hören.“

Diese halbe Sekunde steckt voller Informationen. Astrophysiker können aus dem Signal eine Menge über seinen Ursprung erfahren. Demnach stammt es von zwei Schwarzen Löchern, einem mit 29 Sonnenmassen und einem mit 36 Sonnenmassen, die sich 1,3 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt immer schneller umkreisten, bis sie schließlich zu einem einzigen Schwarzen Loch mit 62 Sonnenmassen verschmolzen. „In weniger als einer Sekunde wurde die Energie von drei Sonnenmassen in Strahlung umgewandelt. Es ist das gewaltigste Ereignis, das die Menschheit je bemerkt hat.“

Und trotzdem war es ein dunkles Ereignis, wie Danzmann erklärt. 20 Messkampagnen mit Teleskopen haben erfolglos nach dem Ursprungsort des Signals gesucht. „Es war das erste Mal, dass uns ein Bote aus einer Schattenwelt erreicht hat. Gravitationswellen sind unsere Boten aus dem dunklen Universum.“ Und das umfasst immerhin die 99,6 Prozent des Universums, die keine elektromagnetische Strahlung aussenden.

Die werden nun der Forschung zugänglich. Die Astronomie hat Ohren bekommen. Schwarze Löcher, weiße Zwerge („Sternenleichen auf dem kosmischen Friedhof “) und sogar der Urknall – den Forschern eröffnet sich eine ganz neue Welt. Professor Danzmann ist von großen Fortschritten in naher Zukunft überzeugt: „Ich werde den Urknall noch hören.“

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