Wolfsburg. Ex-Vorstand Heinz-Jakob Neußer ist nicht der einzige Top-Manager, der gegen Volkswagen klagt. Er gilt als eine der Schlüsselfiguren im Abgas-Skandal

Einen solchen Auflauf von Wirtschaftsjournalisten und Kamerateams hat das Arbeitsgericht Braunschweig zuletzt 2005 erlebt. Damals ging es um die VW-Betriebsratsaffäre. Diesmal ging es um die Klage des ehemaligen Entwicklungsvorstands der Marke Volkswagen, Heinz-Jakob Neußer. Der Top-Manager gilt als eine der Schlüsselfiguren im Abgas-Skandal. Und er will viel Geld von VW.

Kurz nach Bekanntwerden der Affäre beim weltgrößten Automobilhersteller, im September 2015, wurde Neußer vom Wolfsburger Konzern freigestellt – bei vollem Gehalt. Natürlich hoffte gestern mancher auf ein klärendes Wort Neußers zu seiner Rolle im Diesel-Skandal. Doch er war zur „Güteverhandlung“ gar nicht geladen. Er ließ sich von Anwalt Dr. Alex Hoß vertreten. Auch VW schickte lediglich Anwältin Tina Thoms von der renommierten Kanzlei Laborius in Hannover.

Neußer verlangt von VW nachträglich die Überweisung des seiner Meinung nach ausstehenden „persönlichen Leistungsbonus“ für das Jahr 2015 in Höhe von knapp 1,4 Millionen Euro brutto. Der „persönliche Leistungsbonus“ ist eine von drei Komponenten, mit der die Leistung einer Führungskraft in einem Geschäftsjahr honoriert werden soll. Daneben erhalten alle Spitzenmanager außerdem einen „Unternehmens-“ sowie einen „Langzeitbonus“. Üblicherweise werden die Boni im April/Mai des Folgejahres überwiesen.

In Neußers Dienstvertrag wird als Berechnungsgröße für den „persönlichen Leistungsbonus“ 495 000 Euro garantiert. Diese Summe wird mit einem Faktor multipliziert. Neußer trat zum 1. Juli 2013 die Position des Entwicklungsvorstands bei der Marke VW an. Für dieses Geschäftsjahr erhielt er später anteilig sowie für das folgende Geschäftsjahr einen Betrag etwa in Höhe seiner Forderung für das Geschäftsjahr 2015. Daraus lässt sich ableiten, dass VW seine Arbeitsleistung damals wohl als außerordentlich bewertet hat. Für das Geschäftsjahr 2015 – das Jahr der Diesel-Affäre, für die er mitverantwortlich sein soll – setzte das Unternehmen den Berechnungsfaktor aber auf null – Neußer ging beim „persönlichen Leistungsbonus“ leer aus.

In der gestrigen Verhandlung erzielten VW und Neußers Anwalt kein Ergebnis. Für den 27. Juni wurde ein erneuter Termin angesetzt, wobei der Vorsitzende Richter Lutz Bertram für diesen Tag das persönliche Erscheinen Heinz-Jakob Neußers anordnete. „Das persönliche Erscheinen des Kläger ist sinnvoll, nicht nur angesichts der Größenordnung der Klage, sondern weil es um seine persönliche Leistung geht, zu der er am besten etwas sagen kann“, erklärte ein Gerichtssprecher nach dem Prozess.

Die Güteverhandlung im Fall Neußer dauerte kaum eine Viertelstunde. Weniger hektisch als die Journalisten präsentierten sich die Prozessvertreter des Klägers und der Beklagten. Der Richter trug VW-Anwältin Thoms auf, schriftlich darzulegen, wie sich der persönliche Leistungsbonus 2015 berechnet hat.

„Das werden wir darlegen“, kündigte sie trocken an. Ihre Stellungnahme soll bis 27. April beim Arbeitsgericht eingehen. Neußer und sein Anwalt haben dann bis 31. Mai Zeit, schriftlich dazu Stellung zu nehmen. Nicht ausgeschlossen ist, dass es vor dem Kammertermin Ende Juni vielleicht noch zu einer Einigung kommt. Auf Nachfrage des Richters zur Möglichkeit einer gütlichen Streitbeilegung antwortete Neußers Anwalt Höß: „Erst legen wir dar, dann sprechen wir miteinander.“

Neußer ist nicht der einzige Topmanager, der in letzter Zeit seinen Arbeitgeber VW verklagt hat. Drei weitere ehemalige Spitzenkräfte zogen in den vergangenen Monaten vor das Arbeitsgericht. Anfang Januar sollte zunächst die Klage des ehemaligen Konzernbevollmächtigten und obersten VW-Kommunikators Stephan Grühsem verhandelt werden. Der Intimus von Martin Winterkorn verließ wenige Tage nach dessen Rücktritt als VW-Chef den Konzern.

Grühsem einigte sich jedoch kurz vor Prozessbeginn mit VW. Kaum, dass Matthias Müller zum neuen VW-Vorstandsvorsitzenden ernannt wurde, wurde Mitte Oktober der Chef der Konzernrevision, Peter Dörfler, freigestellt. Dörfler klagte Anfang März gegen VW, weil man ihm seinen persönlichen Leistungsbonus für das Jahr 2015 gekürzt hatte. Er verlangt nachträglich 161 000 Euro.

Im Fall Dörfler soll Müller selbst die Bonus-Kürzung angeordnet haben. Dies behauptete Dörfler jedenfalls im Prozess. Mehreren Berichten zufolge soll ihn der VW-Chef geschasst haben, da Müller ihm die interne Aufarbeitung des Abgas-Skandals nicht zugetraut habe. Ebenfalls wegen der Kürzung seines persönlichen Leistungsbonus – jedoch für die Jahre 2012 bis 2015 – streitet sich der ehemalige Chef der VW-Töchter Bentley und Bugatti mit dem Unternehmen. Der Kammertermin fand Mitte März statt. Winterkorn hatte Schreiber im April 2014 abberufen, seitdem ist auch dieser freigestellt.

In seinem Fall geht es um rund eine Million Euro brutto, die er von VW nachträglich fordert. Eine Kleinigkeit im Vergleich zu seiner laufenden Patentklage vor dem Landgericht München I. Schreiber verlangt vom VW-Konzern mehrere hundert Millionen Euro für seine Erfindungen für das Doppelkupplungsgetriebe (DSG), das weltweit millionenfach in Konzernmodellen eingebaut wurde. Am 26. April findet die nächste Verhandlung statt.

Dörfler und Schreiber hatten jeweils Erfolg mit ihren Klagen in der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht. Die Kammer konnte in beiden Fällen nicht nachvollziehen, wie bei VW der persönliche Leistungsbonus berechnet wurde. Beide Entscheidungen sind jedoch nicht rechtskräftig, wahrscheinlich wird in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht weiterverhandelt.