Braunschweig. Turkologen erklären Erdogans Rhetorik.

Ein Leser, der anonym bleiben möchte, fragt die Redaktion:

Warum duzt Erdogan Merkel eigentlich?

Die Antwort recherchierte Carolin Wicke

Am 16. April stimmen die Türken darüber ab, ob die Macht des Präsidenten Erdogan ausgeweitet wird. Je näher das Referendum rückt, desto mehr scheint der Präsident im Ausland provozieren zu wollen. Nicht nur inhaltlich, sondern auch in sprachlicher Hinsicht. In einer vom Fernsehen übertragenen Rede sagte er an die Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtet wörtlich: „Du benutzt gerade Nazi-Methoden.“ Warum das „Du“, das fragt sich seither nicht nur unser Leser.

„Es liegt nicht an einer falschen Übersetzung, dass er sie duzt“, sagt Dr. Cuma Kazanci, Lektor am Seminar für Turkologie und Zentralasienkunde der Georg-August-Universität in Göttingen. Erdogan benutze auch im Original nicht die Höflichkeitsform. Die existiert zwar im Türkischen, wird laut Kazanci allerdings etwas anders verwendet als im Deutschen: „Der Übergang von ,Sie’ in ,Du’ erfolgt im Deutschen in klaren Zügen“, erklärt der Sprachwissenschaftler. Im Türkischen pendle man hingegen öfter zwischen den Formen, bis man die richtige Anrede gefunden hat.

Laut Professor Yavuz Köse von der Universität Hamburg gilt das jedoch nicht in der Politik: „Das Duzen von ausländischen Amtsträgern gilt auch im politischen Raum der Türkei als eine ausgesprochene Unhöflichkeit.“ Wenn Menschen geduzt würden, dann meist von jenen, die älter sind oder in der Hierarchie weiter oben stehen. „Auf diplomatischer Ebene aber gilt: Ausländische Vertreter gleich, welchen Alters werden immer gesiezt.“

Allerdings räumt der Turkologie-Professor Mark Kirchner von der Justus-Liebig-Universität Gießen ein, dass die Situation eine andere ist, wenn der politische Würdenträger nicht selbst zugegen ist. „Wenn man einen politischen Gegner in Abwesenheit anspricht, wird im Türkischen gerne geduzt.“ In der Übersetzung klinge das allerdings härter als im Türkischen. Von Erdogan kommen laut Sophie Nientimp vom turkologischen Institut der FU Berlin seit den Gezi-Protesten 2013 und vor Wahlen diese scharfen Töne. Er versuche, sich so als starker Machthaber darzustellen.

Und der Nazi-Vorwurf selbst? Erdogans Biografin Çigdem Akyol meint, er lasse die meisten Türken kalt. Die harsche Rhetorik sei nicht unüblich, sagte sie dem Rundfunk Berlin-Brandenburg. „In der Türkei wird hart ausgeteilt, und man ist vor allem sehr schnell mit Nazi-Vergleichen.“