Braunschweig. 1,4 Millionen in Deutschland lebende Türken dürfen am 16. April abstimmen.

Unser Leser Werner Bock aus Cremlingen fragt:

Dürfen alle türkischen Mitbürger der Bundesrepublik mit zwei Pässen auch in Deutschland und der Türkei wählen? Ist es nicht strafbar, zweimal an Wahlen teilzunehmen?

Die Antwort recherchierte Carolin Wicke

Zwei Pässe, zweimal Wahlrecht, daran ist gar nichts strafbar. Laut Professor Martin Morlok von der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf beinhaltet die deutsche Staatsbürgerschaft automatisch das Recht, auf allen Ebenen zu wählen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Wahlberechtigte zusätzlich eine weitere Staatsbürgerschaft besitzt. Insofern kann man in diesem Fall auch in beiden Ländern seine Stimme abgeben. Problematisch könnte das – im Falle eines türkischen EU-Beitrittes – lediglich bei der Wahl zum Europäischen Parlament sein. „Auch für diese Wahl gilt, dass jeder Wähler nur eine Stimme hat“, erklärt Morlok. Doppelstaatler müssten sich bei der Europawahl also für eines der beiden Länder entscheiden.

Das Wahlverhalten der Türken in Deutschland hat das Essener Zentrum für Türkeistudien (ZfTI) näher untersucht. Türkischen Staatsbürgern ist es nach türkischem Wahlgesetz seit 2012 erlaubt, auch außerhalb der Türkei ihre Stimme abzugeben. Für den Wahlausgang sind die laut ZfTI durchaus bedeutend. Fünf Prozent der wahlberechtigten Türken leben im Ausland, die Hälfte davon in Deutschland. Im Jahr 2015 lebten laut Mikrozensus gut 1,7 Millionen Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft in Deutschland – davon sind 1,4 Millionen über 18 und somit wahlberechtigt. Dies schließt Deutsche mit zusätzlicher türkischer Staatsangehörigkeit mit ein. Der Mikrozensus führt 246 000 solcher „Doppelstaatler“ an.

Tatsächlich beteiligten sich im Juni 2015, bei der ersten Wahl des türkischen Parlaments mit neuer Rechtslage, lediglich 34 Prozent. In der vorgezogenen Wahl desselben Jahres stieg die Beteiligung auf 40,8 Prozent an. In beiden Wahlen brachten die AKP und die prokurdische HDP in Deutschland wesentlich mehr Stimmen hinter sich als in der Türkei. Die Essener Politologen erklären sich dies mit der Herkunft der Gastarbeiter. Ein großer Teil stammt aus den ländlichen Regionen der Türkei und somit aus den Hochburgen der konservativen AKP. Tendenziell ist unter diesen Menschen die türkische Staatsbürgerschaft auch verbreiteter als bei Mitgliedern der in Deutschland aufgewachsenen zweiten oder dritten Generation. Die erhöhte Zustimmung für die HDP hat hingegen mit dem Zuzug der Kurden in den 90er Jahren zu tun.

In den bisherigen Wahlergebnissen sieht Professor Dirk Halm, stellvertretender Leiter des ZfTI in Essen, allerdings nicht unbedingt die große Aussagekraft für den Ausgang des Referendums. Die AKP habe bisher nur unter den Wahlberechtigten eine Mehrheit gehabt, die auch tatsächlich zur Wahl gegangen seien. „Es geht also zuvorderst darum, dass die AKP bisher am besten mobilisiert hat“, sagt Halm. Es sei „angesichts der dramatischen Entwicklung der letzten Wochen und Monate“ kaum zu prognostizieren, wie das Abstimmungsverhalten beim Referendum sein werde.

In Deutschland wählen die Türken mehrheitlich die Parteien aus dem „linken“ Wählerspektrum. Das war zumindest bei der Bundestagswahl 2013 so, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Data4U“ ergab. Die SPD schnitt bei Türkischstämmigen mit weitem Abstand am besten ab, gefolgt von den Grünen und der Linken. Das Institut schließt daraus, dass in Deutschland Themen wie Integrations- und Sozialpolitik, in der Türkei hingegen traditionelle Werte, wirtschaftlicher Erfolg und die Darstellung eines neuen türkischen Selbstbewusstseins bei der Wahlentscheidung eine Rolle spielten.

Unser Leser Gerd Marquardt aus Salzgitter fragt:

Wo werden die Wahlurnen für die am 16. April wahlberechtigten Türken in Deutschland aufgestellt?

Am 16. April sind die türkischen Staatsbürger dazu aufgerufen, darüber abzustimmen, ob in der Türkei ein Präsidialsystem eingeführt wird, das dem Präsidenten weitgehende Befugnisse ermöglicht. Nach Informationen unserer Zeitung werden dafür in 13 deutschen Großstädten Wahlurnen aufgestellt. Die Wahlberechtigten können 14 Tage, zwischen dem 27. März und dem 9. April, ihre Stimme abgeben. Die Wahlen werden von den Vertretungen der Türkei in Deutschland, den Generalkonsulaten, organisiert. Mehrheitlich stehen die Urnen auch in den Vertretungen.

Eine Ausnahme ist Hannover, wo, wie auch schon bei den türkischen Parlamentswahlen 2015, am Expo-Messegelände abgestimmt wird. Eine Besonderheit gibt es für die Wähler im Ruhrgebiet. Das Konsulat in Essen bittet zur Stimmabgabe nach Dortmund.