Braunschweig. Falsche Nachrichten reichen von Scherzen bis Hetze. Faktenchecker entlarven sie.

Unser Leser Andre Priess fragt auf Facebook:

Kann man dann ganze Seiten löschen lassen?

Die Antwort recherchierte Philipp Engel

Unser Leser bezieht sich auf eine Facebook-Seite, die mit offensichtlichen Fake-News Hetze gegen Zuwanderer betreibt. Und ja, es ist möglich, dass Facebook Seiten sperrt, allerdings sehr selten, denn das Unternehmen legt die Regeln dafür sehr großzügig aus. Und so können sich Fake-News nahezu ungehindert verbreiten.

„Angst ist das Stichwort. Die Macher von Fake-News spielen mit der Angst der Nutzer.“
„Angst ist das Stichwort. Die Macher von Fake-News spielen mit der Angst der Nutzer.“ © Andre Wolf, Sprecher des Vereins „Mimikama“

„Freikarte für einen einmaligen kostenlosen Bordellbesuch“ steht auf einer rötlichen Pappe, obendrüber „Sozialschein der Stadt Celle“. Der Schein sei nicht übertragbar und gelte montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr. Ein Bild von ebenjenem Schein kursiert im Internet. In den Puff auf Kosten des Sozialamtes? Das zumindest möchte der Ersteller dieses Bildes wohl weismachen. Allerdings schlampig: Das Logo der Stadt ist nicht ganz korrekt, die Rechtschreibung veraltet. Sowieso: Die Geschichte stimmt nicht. Ein Fake also, im Internet-Sprachgebrauch auch „Hoax“ genannt.

Auch Wolfsburg ist betroffen, hier kursiert eine Falschmeldung: Via Kettenbrief wird im Kurznachrichtendienst „Whatsapp“ ein Bonus für VW-Mitarbeiter, angekündigt. Man müsse nur auf einen Link klicken. Dahinter steckt ein Spaßbild: Ein alter Mann, der so tut, als habe er die Nase eines Kindes geklaut (Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger). Der Fall ist harmlos, zeigt aber: Fake-News greifen auch in unserer Region um sich.

Bei diesen bewusst platzierten Falschmeldungen geht es mal nur um dumme Scherze, teils aber auch um gezielte Propaganda und Desinformation. Gerade in Zeiten der Flüchtlingskrise und wachsender Angst vor dem Islam können die Betreiber von Internetseiten mit Skandalnachrichten viele Klicks – und damit Geld – generieren. Besonders auffällig war das zuletzt im Wahlkampf um das Präsidentenamt in den USA.

Neu ist das Phänomen nicht. In Zeiten sozialer Netzwerke, in denen jeder jede beliebige Behauptung teilen und verbreiten kann, grassieren auch Fake-News. Seit Jahren beschäftigt sich Andre Wolf vom Verein „Mimikama“ mit dem Phänomen. Der Verein hat das Ziel, Fake-News und Hoaxes, aber auch Spam, Viren und Abofallen im Internet zu enttarnen und davor zu warnen.

„Angefangen haben wir im April 2011“, berichtet Wolf. „Der erste Fall, vor dem wir gewarnt haben, war eine Browsererweiterung, die dem Nutzer Punkte und Goodies eines Online-Spiels klaut“. Schadsoftware also. Falschmeldungen gab es allerdings auch damals schon. „Die Tendenz geht deutlich von harmlosen Scherzen zu bewussten Falschmeldungen und Diffamierungen“, sagt Wolf. Dabei würden nur die Themen variieren, eine Konstante gibt es aber: „Angst ist das Stichwort. Die Macher von Falschmeldungen spielen mit der Angst der Nutzer.“ Das bringe viele Klicks. Dabei gebe es Themenspitzen, aber auch Dauerbrenner, die jedes Jahr wiederkämen. In den vergangenen Monaten hätten sich Fake-News vor allem auf das Thema Flüchtlinge bezogen. Mit den Terror-Anschlägen in Europa rückten auch Muslime und Zuwanderer in das Angstbewusstsein vieler Menschen – und somit auf die Agenda der Ersteller von Fake-News.

„Es gibt auch saisonale Fälle, die man fast schon voraussagen kann“, erläutert Wolf. Jedes Jahr im November gebe es Falschmeldungen, dass man nicht mehr „Sankt Martin-Fest“ feiern dürfe (angeblich wegen der Islamisierung). Und jedes Jahr im Dezember würde behauptet, dass Supermärkte keine Weihnachtsmänner mehr verkaufen würden, sondern (politisch korrekte) „Zipfelmänner“. Was kommt als nächstes? Wolf muss lachen und gibt einen Tipp ab: „Im Frühjahr, kommt wahrscheinlich der weiße Bulli wieder“, schätzt er. „Der entführt Kinder und Hunde, um sie auszuweiden. Das hat angeblich mit der Organmafia zu tun. Den haben wir jedes Jahr um den April herum“. Dass viele mehrfach widerlegte Fakes wiederkommen, hat einen Grund: „Es gibt bei Facebook eine Funktion, die zeigt, was vor einem Jahr passiert ist. Viele Nutzer sehen den alten Beitrag und teilen ihn blind erneut – und so flackern viele Falschmeldungen wieder auf“, erklärt Wolf. Ein Kampf gegen Windmühlen. Rund 80 Prozent aller Falschmeldungen und Hoaxes, die im Umlauf sind, habe man schon einmal gecheckt, schätzt Wolf. Da reicht es dann, bei Anfragen von Nutzern nur den alten Artikel wieder herauszusuchen.

Doch was passiert, wenn bei Mimikama eine bisher unbekannte Geschichte angefragt wird? Nutzer können Verdachtsfälle an das Team melden – via Facebook, aber auch via Mail oder über ein Kontaktformular auf der Website. „Wir sind ein Redaktionsteam von 19 Leuten, davon zwei Hauptamtliche“, erklärt Wolf.

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Kommt eine Anfrage, dann wird per Facebook-Gruppe entschieden, wer sich darum kümmert. „Wir fragen dann bei Polizei oder Behörden nach und versuchen, die Geschichte zu verifizieren“. Auch eine Google-Suche kann helfen. „Oft werden Bilder genutzt, die angeblich einen aktuellen Fall zeigen, aber schon mehrere Jahre alt sind“. Das ist ein Indiz, dass eine Geschichte nicht stimmt. Auch, ob schon andere Medien über den angeblichen Fall berichtet haben, kann ein Hinweis sein.

Die gesamte Recherche dokumentieren die Macher in den Artikeln, die dann online veröffentlicht werden. Jede Anfrage, jeder Schritt wird öffentlich gemacht, damit die Nutzer genau nachvollziehen können, wieso eine Geschichte nicht stimmt.

So auch beim „Bordellgutschein“ der Stadt Celle. Schon der Schreibfehler deutet auf ein Fake hin. Mimikama weist weiter nach, dass es den gleichen angeblichen Gutschein auch schon in Bayern gab und in Graz – und es sich ursprünglich um einen Scherzartikel handelt.

Weil Fake-News vor allem im US-Wahlkampf massiv zugenommen haben, will Facebook nun nach massiver Kritik dagegen vorgehen. Unabhängige Faktenchecker sollen zweifelhafte Postings und Links gegenchecken. Im Falle eines Fakes soll es einen Warnhinweis geben. In Deutschland übernimmt diese Aufgabe unter anderem das Recherchezentrum „Correctiv“. Geld fließt nicht, die Faktenprüfer sollen unabhängig bleiben.

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