Braunschweig. Wirtschaftsjurist Huck erwartet, dass Trump die Verhandlungen über Freihandelsabkommen unter anderem Namen wiederbelebt.

Ein Rechtsruck geht scheinbar durch Europa, Großbritannien will die Europäische Union (EU) verlassen, und Donald Trump schlägt einen neuen Kurs der USA ein. Mit Professor Winfried Huck vom Institut für europäisches und internationales Wirtschaftsrecht der Ostfalia-Hochschule sprach Christina Lohner darüber, wie sich die EU auf diese Herausforderungen einstellen muss.

In diesem Jahr ging wegen der Flüchtlingskrise die Angst vor einem Auseinanderbrechen der EU um. Ist der Brexit das erste Anzeichen dafür?

Der Brexit hat mit der Flüchtlingskrise nicht primär etwas zu tun, eher auf einer zweiten Ebene. Diese wie auch andere Krisen, etwa die Euro-Krise, üben einen enormen Binnendruck auf die EU aus. Doch ich sehe trotz der aktuell fehlenden Einigkeit keine Gefahr, dass die EU auseinanderbricht. Sie hat starke historische Wurzeln, vor allem als Friedensprojekt aus den schrecklichen Erfahrungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Paradoxerweise war es Winston Churchill, das große Vorbild des britischen Außenministers Boris Johnson, der 1946 vorschlug, dass Deutschland und Frankreich die Führung bei einem geeinten Europa übernehmen sollten. Dabei ist es im Wesentlichen bis heute geblieben. Die Fortentwicklung der EU ist einzigartig im Vergleich zu anderen regionalen wirtschaftlichen und politischen Gemeinschaften. Grundlage ist der Vertrag von Lissabon, der eine neue Stufe einer immer engeren Union darstellt. Die damit umschriebene Entwicklungsoffenheit erzeugt Widerstand, den wir zurzeit an vielen Punkten erleben, etwa beim Brexit.

Unser Leser Harald Mehrens vermutet einen Exit vom Brexit, also eine Rücknahme der Entscheidung Großbritanniens, aus der EU auszutreten. Wie wahrscheinlich ist das?

Nach aktueller Lage ist das nicht sehr wahrscheinlich. Allerdings lehrt die Geschichte, dass Prognosen nicht immer zutreffen. Auch ein Volk kann bei einem Referendum irren. Bei vollem Bewusstsein über die ökonomischen Folgen wäre das Votum womöglich anders ausgefallen. Bei genauerer Analyse, etwa der sich abzeichnenden enormen Verluste beim Außenhandel, könnte der Brexit als narzisstisch-nationaler und trotziger Ausdruck erkannt werden, von dem Abstand genommen wird. Der Supreme Court, das höchste britische Gericht, könnte zu der Entscheidung gelangen, dass das britische Parlament über die Absichtserklärung, die EU zu verlassen, abstimmen muss, was übrigens auch meiner Meinung entspräche. Der Exit vom Brexit ist also nicht nur eine theoretische Option.

Welches Land ist der nächste Austrittskandidat?

Meiner Meinung nach wird es keinen weiteren Kandidaten geben. Ein Austritt aus der EU lässt sich aus der Opposition heraus zwar leicht dem Bürger schmackhaft machen, bei eingehender ökonomischer Analyse wird aber kein weiterer Mitgliedstaat das ernsthaft erwägen. Die Staaten, die sich mit dem Gedanken tragen, werden nun die wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen in Großbritannien beobachten. Von den britischen Wählern konnten diese nicht überblickt werden. Selbst die britische Regierung sitzt angeblich an 500 ungelösten Problemen, für die sie 10 000 bis 30 000 neue Mitarbeiter braucht. Denn sämtliche Vertragsbindungen mit Drittstaaten entfallen, die seit dem Beitritt Großbritanniens 1977 zugunsten der EU verhandelt wurden.

Was könnte die EU wirtschaftspolitisch tun, um die Menschen mehr von Europa zu begeistern?

Wir müssen die schwierige Herausforderung der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa, vornehmlich in Italien, Spanien und Griechenland, in den Griff bekommen. Genauso ist der Vertrauensverlust infolge wirtschaftspolitischer Fehler auszugleichen, etwa dass Abkommen wie Ceta und TTIP zunächst ohne Transparenz und ohne Beteiligung von Bundestagsabgeordneten verhandelt werden. Wir brauchen nun eine Einigung in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik, vor allem nachdem sich in den USA nach der Wahl von Donald Trump eine engere Verbindung zu Russland abzeichnet. Wir brauchen eine neue und klarere europäische Agenda – die auch entschlossen umgesetzt wird.

Unser Leser Lukas Feldhahn fragt Sie: Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie für Deutschland und Europa im Hinblick auf die derzeitige politische Lage?

Deutschland ist zurzeit in einer höchst komfortablen Lage. Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung, und die Staatskassen sind dank der EZB-Zinspolitik gut gefüllt. Die Globalisierung und die Digitalisierung stellen uns trotzdem vor große Herausforderungen. Die technischen Veränderungen bedeuten tiefgreifende Veränderungen der Industriestrukturen, zum Beispiel könnten im großen Stil Jobs wegfallen, etwa in der Autoindustrie. Denn Elektroautos brauchen weniger Teile und haben einen geringeren Verschleiß. Es geht jetzt darum, sich neu zu positionieren.

Europa steht vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen: dem Kampf gegen den Terrorismus, aber auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind zu befestigen. Auch Deutschland hat sich hier Nachlässigkeiten erlaubt. Ich kann zum Beispiel nicht durch eine Grenzöffnung Gesetze ignorieren. Rechtlich ist vorgesehen, dass wir wissen, wer nach Deutschland kommt. Die Integration von Ausländern ist eine weitere Herausforderung, ebenso bezahlbarer Wohnraum in den Innenstädten. Die Einkommensverhältnisse driften auseinander, die Vermögenskonzentration nimmt zu. Arbeit wird dabei stärker besteuert als Kapital. Deutschland entwickelt sich zunehmend zu einem Land, in dem Chancen ungleich verteilt sind.

Viktor Orban in Ungarn, Beata Szydlo in Polen, Geert Wilders in den Niederlanden, Marine Le Pen in Frankreich, Frauke Petry in Deutschland – wie schädlich kann dieser Rechtsruck für unsere Wirtschaft werden?

Ein möglicher Rechtsruck verändert zunächst einmal nicht unmittelbar die wirtschaftliche Lage. Solange politische Vorhaben sich im demokratischen Rahmen bewegen, sind sie verfassungsrechtlich legitim und wirtschaftspolitisch neutral. Transnationale Unternehmen sind heute außerdem weltweit aufgestellt und reagieren äußerst flexibel. Ich erwarte keine Schäden für unsere Wirtschaft. Steueränderungen beispielsweise könnten sogar überaus positive Effekte haben.

Welches Ergebnis erwarten Sie für die AFD bei den Bundestagswahlen?

Ich erwarte, dass die AFD etwa 10 Prozent der Stimmen erhält, zulasten vor allem der CDU, aber auch der SPD. Die Frage ist, ob hier wirklich ein Rechtsruck wirkt oder die Menschen lediglich ihre Sorgen äußern, die durch die Große Koalition nicht so in die Öffentlichkeit gedrungen sind. Wir haben ein Defizit des öffentlichen Diskurses. Es hilft nicht, diesen, wenn er aufkeimt, mit der moralischen Keule zurückzudrängen.

Auch die USA haben rechts gewählt. Ist Trump aus deutscher Sicht tatsächlich der schlechtere Kandidat?

Trump ist unkonventionell, zugleich eitel sowie rücksichtslos und unterscheidet sich in der Kommunikation durch Twitter. Es gibt aber noch kein wirtschaftspolitisches Programm, wir wissen nur, was er nicht will. Deutschland wird abwarten und sich mit seinen europäischen Partnern abstimmen müssen. Für Trump scheint alles verhandelbar. Der Druck wird die EU zwingen, sich stärker zu positionieren. Und Deutschland wird den finanziellen Beitrag zur Verteidigung erhöhen müssen, die Rüstungsausgaben werden steigen.

Denken Sie, dass Trumps Wahl auch den rechten Lagern in Europa zuspielen könnte, oder ist das eher ein abschreckendes Beispiel?

Schwer zu sagen, weil nicht klar ist, was Trump will. Es kann sein, dass die im rechten Lager übereinstimmende Ablehnung politischer Korrektheit und zum Beispiel die latente Ablehnung gegenüber Ausländern und Muslimen rechte Parteien eint und damit stärkt. Ich sehe aber keine unmittelbare Verbindung, weil Trump vor allem Vertreter aus dem Establishment und Milliardäre um sich schart.

Unser Leser Jan Lukas Feldhahn fragt: Wie wird sich das weltpolitische Gefüge zwischen den Staaten ändern?

Die in den vergangenen Jahren entstandene Rivalität zwischen den USA und Russland wird sich zunächst abschwächen, und es gibt eine Übereinstimmung bei der Bekämpfung des Terrorismus. Die USA werden sich noch stärker auf den pazifischen und weniger auf den europäischen Raum konzentrieren. Europa muss sich nun selbst helfen, um weltpolitisch allein aufzutreten. Immer mehr Staaten wie die Türkei oder China befürworten einen national-autoritären Kurs. Trumps Devise „America first“ könnte den Druck auf den Westen zusätzlich erhöhen, sich stärker weltpolitisch zu positionieren – bis hin zur Änderung der europäischen Verträge.

Gehen Sie davon aus, dass Trump seine protektionistischen Pläne durchzieht, was negative Auswirkungen auf den Welthandel haben könnte?

Er wird zumindest ein Zeichen setzen, dass er und die amerikanischen Interessen rigoros durchsetzen will. Doch China zum Beispiel ist gleichzeitig der größte Gläubiger der USA. Das wirkt nicht wie ein durchdachter Plan. Er wird demonstrieren wollen, dass alles verhandelbar sei, wird die transpazifische Partnerschaft (TTP) tatsächlich abschaffen. Allerdings muss man unterscheiden zwischen Wahlkampf und Politik. Schon jetzt gibt es übrigens zahlreiche protektionistische Bestimmungen, bei staatlichen Aufträgen in den USA etwa werden amerikanische Firmen bevorzugt. Klar ist: Kommt es zu Protektionismus, leidet der Welthandel.

Ist TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU, nun zumindest für die nächsten vier Jahre gestorben?

So wie ursprünglich beabsichtigt, hat es keine Aussicht auf Erfolg. Es ist aber auch noch nicht viel ausgehandelt worden. Möglicherweise wird es unter einem anderen Dach wiederbelebt. Dann könnte Trump immerhin sagen: Ich habe es gestoppt. Unabhängig davon brauchen wir dringend klare zukunftsorientierte Lösungen für den Welthandel. Dabei geht es nicht in erster Linie um Zölle, sondern vor allem um einheitliche Rechtsräume.

Werden die asiatische Staaten nach dem möglichen Aus von TPP ein eigenes Abkommen schließen, und werden dadurch neue Machtverhältnisse entstehen?

Es gibt ja bereits andere Handelsabkommen zwischen den asiatischen Staaten. Nachdem TTP gestoppt wurde, wird China anderen Staaten vielleicht verlockende Angebote machen. Ich glaube aber, dass TTP unter anderem Namen erneut verhandelt wird. Wenn über Jahre verhandelt wurde, ist fraglich, ob es ein besseres Modell gibt.

Barack Obama hat bei seiner Abschiedstour durch Europa den Schuldenschnitt für Griechenland gefordert. Was halten Sie davon?

Das ist einfach zu fordern, da die USA unmittelbar keine Verantwortung trägt. Klar ist aber auch, dass Griechenland einen Schuldenberg von derzeit 321 Milliarden Euro kaum wird zurückzahlen können. Kommt es zu einem Schuldenschnitt, wird nicht zu erklären sein, aus welchem Grund Griechenland belohnt wird, während andere ihre Schuldenlast pünktlich und vollständig bedienen müssen. Damit würde zudem der falsche Anreiz gesetzt, nämlich möglichst so hohe Schulden zu machen, die nur durch einen Verzicht der Gläubiger tilgungsfähig sein können.

Ist Griechenland über dem Berg?

Es gibt Lichtblicke. Ob Griechenland es schafft, ist aber fraglich. Die angestrebte Privatisierung läuft schleppend. Bei den Steuern müssten zum Beispiel große Vermögen stärker herangezogen werden, und die Steuerhinterziehung grassiert munter weiter. Zudem gelingt es nicht, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen.