Braunschweig. Wärme und Strom sollen umweltfreundlicher erzeugt werden. In einigen Jahren steht wohl der Abschied vom Kohlekraftwerk bevor.

Die Energiebranche steckt in einem tiefen Wandel. Fossile Brennstoffe sollen zur Randerscheinung werden, erneuerbare Energien sollen den Markt dominieren. Der Braunschweiger Energieversorger BS Energy ist vor diesem Hintergrund dabei, sich neu zu positionieren. Welchen Weg das Unternehmen perspektivisch bis zum Jahr 2030 gehen will, erläutert der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Paul Anfang im Interview.

Herr Anfang, wird Braunschweigs Energie im Jahr 2030 komplett grün sein?

Komplett grün nicht, aber umweltfreundlicher als heute. Wir prüfen zurzeit fünf Szenarien zur Energieerzeugung. Im nächsten Jahr soll eine Entscheidung fallen, welches Szenario wir umsetzen. Für uns steht aber fest, dass wir mit unseren mehr als 1000 Mitarbeitern ein regional verankertes Unternehmen bleiben werden – nur unser Geschäftsmodell wird sich gravierend ändern.

Inwiefern?

Wir müssen uns vom Energieproduzenten zum Energiedienstleister wandeln. Themen wie E-Mobilität und Energiespar-Beratung werden immer wichtiger. Insbesondere Gewerbekunden fordern das schon jetzt zunehmend von uns. Das heißt aber nicht, dass wir das Energieproduzieren aufgeben werden – das geht in Braunschweig gar nicht, weil wir hier ein sehr dichtes Fernwärmenetz haben und Wärme erzeugen müssen.

Wie sehen denn die fünf Szenarien aus, die Sie durchrechnen?

Die erste Variante wäre Kohle. Wir prüfen, wie viel Geld wir in eine Generalüberholung des Kohlekraftwerks stecken müssten, damit es noch 20 bis 30 Jahre läuft.

Aber das wäre ja gerade nicht im Sinne des Klimaschutzes.

Das stimmt – politisch ist das nicht gewollt und wir sind auch bestrebt, unsere Erzeugung unsere Erzeugung klimafreundlicher zu machen. Aber als Vorstand sind wir verpflichtet, zunächst auch wirtschaftlich zu denken. Natürlich kommen dann auch andere Aspekte mit ins Spiel, etwa der Umweltschutz. Auch wenn noch keine Entscheidungen über die Szenarien gefallen sind, kann man sicher schon jetzt sagen: Wenn unsere Kohleanlage in die Jahre kommt, werden wir keine großen Beträge mehr reinstecken.

In welchem Zustand ist die Anlage?

Sie ist auf einem guten Stand, aber der Kessel ist über 30 Jahre alt. Da kommt man dann in den nächsten fünf, sechs oder sieben Jahren schon in die Situation, wo man Geld in die Hand nehmen müsste – und das passt nicht mehr in die Zeit.

Heißt das, dass es in fünf bis sieben Jahren in Braunschweig kein Kohlekraftwerk mehr geben wird?

Gehen Sie mal davon aus, dass die Erzeugung von Wärme und Strom in Braunschweig aus Kohle endlich ist – in einem Zeitraum zwischen fünf und zehn Jahren.

Was sind die Alternativen?

Da kommen wir zum zweiten Szenario: Das wäre die Option, dass man nur mit Gasmotoren arbeitet. Dabei wird also aus Gas Wärme produziert. Das hat aber den Nachteil, dass man sich sehr stark abhängig macht. Man ist dann auf Gedeih und Verderb an den Gaspreis gekoppelt. Im Moment haben wir immer die Möglichkeit, ein bisschen zu spielen: Der Einsatz unserer Anlagen wird in Abhängigkeit vom Gaspreis und vom Börsen-Strompreis gesteuert.

Das Gasmotoren-Szenario klingt also auch nicht recht überzeugend. Wie sieht die dritte Option aus?

Das wäre eine Biomasse-Anlage – aber nicht mit Pflanzen wie Mais oder Raps, sondern mit Altholz. Im Zuge der Detailplanungen müssen wir uns anschauen, was man da sinnvoll nutzen könnte.

Würden Sie das Altholz aus der Region beziehen?

Ja, sonst würde es zu teuer werden. Grundsätzlich ist Altholz recht günstig zu bekommen. Außerdem würden wir mit so einer Anlage weniger Kohlendioxid erzeugen. Der Vorteil ist auch, dass man keine Flächen beansprucht, die für den Anbau von Nahrungsmitteln gebraucht werden.

Und die vierte Option?

Wir prüfen, ob es möglich ist, die Abwärme aus dem Stahlwerk in Salzgitter in unser Fernwärmenetz einzuspeisen. Die Abwärme wird zurzeit ungenutzt in die Luft gepustet. Wir könnten damit ungefähr die Hälfte des Wärmebedarfs in Braunschweig decken. Das Tolle daran: Diese Wärme würde kein zusätzliches Kohlendioxid produzieren.

Wie soll die Wärme nach Braunschweig kommen?

Man müsste dafür eine mehr als 20 Kilometer lange Rohrleitung nach Braunschweig verlegen.

Wo würde die Trasse verlaufen – auch über das mögliche Industriegebiet Salzgitter-Braunschweig?

Dazu gibt es noch keine konkreten Überlegungen. Wir reden hier zunächst über eines von fünf möglichen Szenarien und sind mit dem Vorstand der Salzgitter AG noch in Gesprächen. Wenn diese Option umgesetzt werden sollte, dann auf jeden Fall mit so wenig Belastung für die Bevölkerung wie möglich. Die Rohre würden zum Beispiel unterirdisch verlegt werden. Die Einspeisung ins Fernwärmenetz würde dann wahrscheinlich im Westen Braunschweigs erfolgen.

Auch diese Option birgt eine große Abhängigkeit: Sie setzt das wirtschaftliche Wohlergehen des Stahlkonzerns voraus.

Ja, das ist seit Beginn der Gespräche ein zentrales Thema. Wir müssten das Ganze gut absichern.

Wie hoch wäre die Investitionssumme für diese Option?

Dazu können wir noch keine Zahlen nennen.

Sie sagten, dass die Abwärme aus Salzgitter die Hälfte des Wärmebedarfs in Braunschweig decken würde. Was wird mit dem Rest?

Zum einen haben wir ja auch weiterhin unsere Gas- und Dampfturbinenanlage, die seit 2011 in Betrieb ist. Damit erzeugen wir Wärme und Strom. Zum anderen könnte man die Abwärme kombinieren: Im vierten Szenario prüfen wir, zusätzlich noch eine Gasanlage zu bauen. Und Option Nummer 5: Wir könnten die Abwärme mit einer Altholz-Biomasse-Anlage kombinieren. Dann wären wir sehr grün. Mit Blick auf den Kohlendioxidausstoß wäre das die optimale Lösung.

Was heißt das alles für die Arbeitsplätze speziell im Kohlekraftwerk?

Wir haben aktuell einen Beschäftigungssicherungsvertrag, der bis Ende 2018 läuft. Die nächsten Jahre sind also abgesichert. Je nach Szenario reden wir über 30 bis 40 Arbeitsplätze im Bereich der Kohleanlage, die dann dort nicht mehr erforderlich wären. Was aber nicht heißt, dass man diese Mitarbeiter nicht mehr braucht: Auch eine Biomasse-Anlage oder die Abwärme-Technik muss betrieben werden.

Wir werden alles tun, damit dieses Thema sozialverträglich läuft. In den nächsten Jahren gehen auch etliche Mitarbeiter in den Ruhestand, einiges ließe sich außerdem über Altersteilzeit-Regelungen abfedern. Wir setzen natürlich auch auf die Flexibilität unserer Leute und die Bereitschaft, sich umschulen zu lassen.

Apropos Flexibilität: Wie verlässlich sind denn Ihre jetzigen Berechnungen für die einzelnen Szenarien? Im Moment ist doch auch bei der Gesetzgebung im Energiebereich unglaublich viel in Bewegung.

Das stimmt. Der regulatorische Handlungsrahmen für die Energiewirtschaft ist eine Katastrophe. Jeder, der langfristige Entscheidungen treffen muss, muss mutig sein.

Wir spüren die Probleme ja ganz aktuell bei unserer Gas- und Dampfturbinenanlage, die in jedem Fall Herzstück der künftigen Erzeugung bleibt. Damit können wir eigentlich sehr effizient und umweltfreundlich Wärme und Strom erzeugen. Das Problem ist nur, dass es sich aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht immer rechnet. Das heißt: Wir müssen die Anlage auch immer wieder ausschalten, weil es mitunter günstiger ist, mit unserem Kohlekraftwerk Wärme zu produzieren oder Strom an der Börse zu kaufen. Das ist die Krux.

2020 endet der Konzessionsvertrag der Stadt mit BS-Energy, der das Unternehmen berechtigt, die öffentliche Versorgung mit Wasser, Elektrizität, Gas und Fernwärme zu betreiben. Bis Ende 2018 muss der Netzbetrieb europaweit neu ausgeschrieben werden. Inwiefern beeinflusst das Ihre Überlegungen?

Wir werden uns auf jeden Fall auf die Konzessionen bewerben – unabhängig davon, wie die Entscheidung zum Erzeugungskonzept ausfällt und für welches Szenarium man sich schließlich entscheidet.