Berlin. Im neuen Schultest erreicht Deutschland ein durchschnittliches Ergebnis. In den Naturwissenschaften sackt es leicht ab.

Ein Leser, der sich „Timetable“ nennt, bemerkt auf unseren Internet-Seiten:

Die Veränderungen sind derart minimal, dass sie vermutlich im Rahmen der Schwankungsbreite bei der Bestimmungsgenauigkeit liegen.

Zum Thema recherchierten Julia Emmrich, Christian Kerl und Johannes Kaufmann

15 Jahre nach dem als „Pisa-Schock“ bezeichneten Ergebnis der ersten Pisa-Studie von 2001 gab die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am Dienstag erneut bekannt, wie die Schüler aus 72 verschiedenen Ländern in ihrer Schulleistungsstudie abgeschnitten haben.

Und wie haben die deutschen Schüler sich diesmal geschlagen? „Besser als der Durchschnitt“, heißt es auf der Internetseite der Tagesschau. „Rückschlag für Deutschland“, titelt hingegen die „FAZ“ online, während es beim „Spiegel“ nüchtern heißt: „Platz 16 von 72“.

Schon diese sehr unterschiedlichen Interpretationen desselben Ergebnisses zeigen, dass die Zahlen anders als 2001 keine klare Deutung vorgeben. Wie unser Leser feststellt, sind die Unterschiede zum Abschneiden in früheren Studien minimal.

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Im Vergleich zur letzten Runde (2012) sind die Leistungen in den Naturwissenschaften von 524 auf 509 Punkte etwas und in Mathematik von 514 auf 506 Punkte leicht gesunken. Verglichen mit 2006, als bei der Studie wie in der aktuellen Runde ein Schwerpunkt auf diesen Fächern lag, ist die Abweichung aber noch kleiner: -7 Punkte bei den Naturwissenschaften und +2 bei Mathe. Mit unserem Leser lässt sich somit feststellen: Die Schwankungen sind minimal und damit nicht sehr aussagekräftig.

Unumstritten sind die Probleme, die im Ergebnis der Studie zum Ausdruck kommen. Die nächste Klassenarbeit in Chemie, die Hausaufgabe in Bio? Für jedes fünfte Mädchen des letzten Pisa-Jahrgangs sind das unüberwindbare Hürden: 20 Prozent der 15-jährigen Schülerinnen scheiterten an den einfachsten naturwissenschaftlichen Aufgaben, die Jungen schnitten etwas besser ab. Bei den Spitzenschülern zeigte sich der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen noch deutlicher: Während in der letzten Pisa-Runde jeder achte Schüler die höchste Leistungsstufe erreichte, war es bei den Schülerinnen nur jede Zwölfte. Deutschland liegt damit im internationalen Vergleich unter dem Durchschnitt – andere Länder sind in der Mädchenförderung bei den Naturwissenschaften besser.

„Es gibt keine Rute, aber auch wenig Grund zum Feiern“, sagte Heino von Meyer, Leiter des Berliner OECD-Centers, bei der Vorstellung der Ergebnisse am Dienstag in Berlin. Zum Nikolaustag bekam Deutschland damit ein „befriedigend“. Die Jahre des Aufstiegs im internationalen Leistungsranking sind vorbei. Es herrscht Stillstand.

Dabei liegt Deutschland auch nach der Testrunde von 2015 wieder über dem Durchschnitt der teilnehmenden OECD-Länder. Das Lesevermögen der 15-Jährigen hat sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten deutlich verbessert. In Mathematik dagegen sind die Schüler in den vergangenen zehn Jahren im Großen und Ganzen stabil geblieben. In den Naturwissenschaften halten sie ihr gutes Ergebnis, doch auch hier hat es seit 2006 keine Verbesserungen mehr gegeben.

Bessere Chancen für Schüler aus benachteiligten Familien

Und, was manchen Bildungsforscher besorgt, ist: Deutsche Jugendliche schneiden beim Fachwissen besser ab als bei der Frage, wie Forschung funktioniert und wie neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Für ein Land, das von Innovationen lebt, könnte das auf Dauer ein Nachteil sein.

Die alte Kritik der OECD, dass der Schulerfolg in Deutschland stark vom Elternhaus abhängt, gilt weiterhin, allerdings gibt es Verbesserungen: Das deutsche Bildungssystem bietet den Schülern zwar noch immer weniger Chancengerechtigkeit als im OECD-Durchschnitt, doch der Einfluss des Einkommens auf den Schulerfolg ist leicht zurückgegangen.

Als Erfolg heben die OECD-Experten hervor, dass es heute jedem dritten Schüler aus sozial benachteiligten Familien gelingt, trotz schlechterer Startbedingungen zu den leistungsstärksten des Jahrgangs zu gehören. Vor zehn Jahren schaffte das nur jeder Vierte.

Nach wie vor erzielen Schüler aus Zuwandererfamilien im Schnitt deutlich weniger Pisa-Punkte als ihre Altersgenossen. Der Leistungsunterschied macht im Schnitt ein ganzes Schuljahr aus.

Deutschland ist damit weiterhin kein Einserkandidat, hält insgesamt aber Kurs. Auch für seinen Listenplatz im oberen Mittelfeld muss sich das Land nicht schämen: Auf den Plätzen vor Deutschland liegen zwar mit Großbritannien, Estland oder Finnland auch andere europäische Länder – mit Pisa-Sieger Singapur, Japan, Korea und China aber auch Nationen, die ein ganz anderes Lern- und Leistungssystem praktizieren.

Das durchwachsene Zeugnis der OECD nahmen Bildungsexperten recht gelassen auf: Angesichts der Herausforderungen durch die Integration von Flüchtlingskindern, die Inklusion an Regelschulen sowie massiven Lehrermangel sei es gar nicht zu erwarten gewesen, „dass sich der Aufwärtstrend nicht in gleichem Maße und in allen Bereichen fortsetzen würde, wie er bei den letzten vier Pisa-Studien zu beobachten war“, sagte Hans-Peter Meidinger vom Deutschen Philologenverband.

An der jüngsten Pisa-Studie hatten im Frühjahr 2015 rund eine halbe Million 15-jährige Schüler aus 72 Ländern teilgenommen. In Deutschland waren 6500 Schüler an 245 Schulen beteiligt. Zum ersten Mal mussten sie die Fragen nicht auf Papier, sondern am Computer beantworten.