Braunschweig. Der „Pubertier“-Autor Jan Weiler erzählt, warum er nicht Schauspieler geworden ist, sondern lustige Bücher über Erziehung schreibt.

Als Spezialist für launige Themen und geistreiche Formulierungen hat Jan Weiler seit Jahren die Schar seiner Leser vergrößert. Neuestes Beispiel: Der Erfolg seines etwas anderen Familienbuches „Das Pubertier.“ Darauf bezieht sich auch gleich die erste Frage in unserem Leser-Interview.

Sven Hönig: Was halten Deine Kinder davon, dass Du über ihre Pubertät schreibst? Redet ihr darüber?

Ich erzähle nichts, was ihre Persönlichkeitsrechte verletzten würde. Mal angenommen, ein Kind hätte Neurodermitis – so ein individuelles Schicksal würde ich nie thematisieren. Aber wenn der Junge plötzlich ein Porno-Abo auf dem Handy abgeschlossen hat, ist das ein großartiges Thema, weil es vielen so geht. 20 000 Abos im Monat werden von Kindern abgeschlossen. Da kann man über die Diskussion erzählen. Der Sohn glaubt, es wäre ein Virus und er hätte in der Pause zu nah am Telefon seines Kumpels gestanden. Daher kam es wohl. Und man einigt sich auf diese Version.

Die Kolumne bietet dann auch Lebenshilfe: schnell das Abo ohne Anwaltsschreiben beenden, weil die Kinder mit 13 noch nicht geschäftsfähig sind. Solche Storys fiktionalisiere ich aber von meinem Sohn und meiner Tochter weg. Die Kinder in der Kolumne heißen anders und sind auch anders. Die Texte bekommen meine Kinder vorher zu lesen. Sie haben noch nie gesagt: Das wollen wir nicht.

Clara Neumann: Verwenden Sie auch Erlebnisse aus Ihrer eigenen Jugend?

Ja, das ist ebenso beklemmend wie schön. Da kommt viel zurück. Etwa das Gefühl von Unzulänglichkeit: Ich kann irgendwie nichts, kapiere Mathe nicht, und es klappt nichts... Ich bin in der Schule sitzengeblieben, hatte wahnsinnig Pickel und das Gefühl, ich bin ein Monster. Wenn jetzt die eigenen Kinder hier und da eine Unglückswurm-Phase haben, kann man besser damit umgehen, wenn man sich daran erinnert.

Das wird durch die Kolumnen unheimlich gefördert. Ich glaube, durch die Beschäftigung mit Pubertät bin ich ein besserer Vater geworden, zum Beispiel bei der Diskussionskultur. Mir fiel auf, wie schrecklich ich es empfunden habe, wenn meine Eltern sagten, wir müssen mal miteinander reden. Denn geredet haben ja dann immer nur die. Es ist besser, man bringt die Kinder zum Reden, als riesige Vorträge zu halten. Das ist auch deshalb relativ unnötig, weil Kinder sowieso den Wertekanon der Eltern übernehmen. So wie die Eltern miteinander sind und mit den Kindern umgehen, so werden die Kinder auch.

Sven Hönig: Hattest Du auch wie ich beim ersten Kind das Gefühl: Eigentlich bin ich noch nicht so weit, Vater zu sein und die Verantwortung übernehmen zu wollen? Manchmal kommt man sich in Diskussionen so alt und moralisch vor...

Ja, Eltern zu sein, ist halt Learning by Doing. Es klappt nicht immer. Ich finde, man kann in Diskussionen ruhig mit Begründungen hart bleiben. Man muss aber auch die guten Argumente der Kinder würdigen. Bei uns ging es mal um Nerf-Pistolen. Das sind diese riesigen orangenen Plastikwummen mit Schaumstoffpfeilen. Ich fand die zu martialisch. Mein Sohn war neun und argumentierte unglaublich clever: Es ist eigentlich nur eine Parodie auf Kriegsspielzeug, eine quatschige Überhöhung. Dann hat er eine bekommen. Solche Dinge haben ja eh eine kurze Halbwertszeit.

Es funktioniert nicht gut, wenn man sagt: Was machst du für einen Scheiß? Mein Sohn hat mir zum Beispiel mal das Spiel Minecraft gezeigt. Ich kann verstehen, dass er das gerne macht. Letzte Woche war ich mit ihm beim Konzert der 257ers. Das ist ein Teenie-Programm, aber wahnsinnig professionell gemacht. Mein Kleiner ist steil gegangen wie verrückt, stand da in der ersten Reihe, hat eine Riesenbierdusche abbekommen. Ich stand hinten und fand es phasenweise wirklich grenzwertig. Und nach dem Konzert kam dieser erhitzte Kerl mit seinem Sweatshirt und dem Cap, und der war so glücklich. Da kann ich ja nicht sagen: Hör mal, die Hälfte der Show ist bei Deichkind geklaut und die andere ist DJ-Ötzi-Quatsch. Wenn man möchte, dass die Kinder einem etwas erzählen oder mit einem sind, darf man das, was sie mögen, nicht entwerten. Zu meiner Erziehung kann ich sagen: Wie man Grenzen zieht und das formuliert, da schlingert das Boot am meisten.

Vanessa Maertens: Hast Du durch die starke Thematisierung der Jugend das Gefühl, Du bleibst selbst länger jung?

Ja, ich muss schon mithören, was gerade die Themen sind. Dann beschäftigt man sich auch stärker damit und versucht, hinter das Geheimnis von irgendwelchen Phänomenen zu kommen. Aber ich finde deswegen nicht alles gut. Die meisten Youtuber finde ich zum Beispiel echt schlecht. Generell ist es wichtig, dass Kinder und Eltern begreifen, dass sie nicht miteinander befreundet sind. Manchmal kiffen ja Eltern zusammen mit ihren Kindern. Oder die Mütter und Töchter teilen sich die Klamotten. Das halte ich für fatal. Die Kinder sind damit überfordert. Wenn ich an einem Tag sage, wir sind total auf Augenhöhe, dann kann ich am nächsten Tag nicht sagen, hänge bitte deine Jacke auf. Solange die Eltern noch die Verantwortung tragen, kann es diese Augenhöhe nicht geben.

Clara Neumann: Was haben Sie von Ihren Kindern gelernt?

Ein Beispiel: Wir hatten früher mal die Angewohnheit, die Kinder beim Essen zu fragen, wie es in der Schule war. Das ist denen unglaublich auf den Keks gegangen. Es mündete immer in eigentlich negativ konnotierte Gespräche. Nach dem Motto: Englisch schon zurückbekommen? Was für Geschichte getan? Auf diese Weise wurde das Essen für die eine Tribunalsituation. Irgendwann sagte meine Tochter: Wenn du möchtest, dass ich nicht gern esse, müssen wir uns nur weiter ständig über Schule unterhalten. Das stimmt total. Die Kinder fragen mich ja auch nicht: Papa, hast du eigentlich schon deine Kolumne fertig? Das war wirklich ein Lerneffekt. Essen ist jetzt ein schulfreier Raum.

Vanessa Maertens: Man hat den Eindruck, Du bist ein großer Familienmensch. Wie schaffst Du den Spagat zwischen Familie und oft 80 bis 100 Lesungen im Jahr?

Das ist schwer, weil man natürlich irre viel versäumt. Man ist bei vielen Entscheidungen schlicht und einfach nicht da. Heute ist es allerdings einfacher, weil die Kinder schon relativ groß sind, 14 und 18 Jahre alt. Wenn ich nicht reise, bin ich aber da. Kommen sie um viertel nach vier aus der Ganztagsschule, bin ich verfügbar. Zu Hause arbeite ich in der Regel bis 18 Uhr. Ein normaler Achtstundentag. Manch einer sagt ja, ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht, aber das Schreiben ist natürlich ein wirklicher Beruf. Da gibt es auch Existenzangst und eine qualitative Angst: Ist das, was ich mache, für mich selbst gut genug? Habe ich mich entwickelt oder wiederhole ich nur Dinge? Das sind ernsthafte Fragen, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Davon abgesehen hat man Kinder, deren Ausbildung man finanzieren möchte.

Vanessa Maertens: Wann war Dir klar, dass Du dein Einkommen mit Schreiben verdienen möchtest?

Ganz früh, mit zwölf Jahren. Ich habe mich dann nach dem Abi an der Journalistenschule beworben, bin aber erst beim vierten Mal genommen worden. Ich habe nie etwas anderes ernsthaft ins Auge gefasst. Das war ein bisschen schade. Im Rückblick denke ich, Architekt oder Schauspieler zu sein, hätte mir auch gefallen. Mit 18 war ich in einer Theater-AG. Dann war ich mit einer Freundin im Düsseldorfer Schauspielhaus. Da gab es die „Perser“. In der Inszenierung rannten alle Schauspieler nackt über die Bühne, schrien herum und bewarfen sich mit Farbe. Das war eine Phase, in der ich gern Schauspieler werden wollte. Aber danach bin ich total frustriert mit der Freundin nach Hause gefahren und habe gesagt: Das wird nichts. Das kann ich nicht. Die Grenze überschreite ich nicht. Ich kann nicht nackt ’rumrennen und antike Verse brüllen. Das ist mir einfach nicht gegeben. Das hat mich irrsinnig frustriert.

Clara Neumann: Wie ist es mit den Zukunftsträumen Deiner Kinder? Lenkst Du das ein bisschen? Oder lässt Du dem komplett freien Lauf?

Nee, da wird nichts gelenkt. Mein Sohn möchte gern Snowboardprofi werden und eigene Snowboards entwerfen. Das mache ich ihm nicht mies. Er ist 14, er soll seine Erfahrungen sammeln. Meine Tochter möchte Journalistin werden. Sie ist mit 18 hundertmal besser, als ich es in dem Alter war. Wenn ich jetzt sage, im Journalismus gehen gerade so langsam die Lichter aus, es ist alles schwierig, du wirst ausgebeutet bis zum Letzten, mach das bloß nicht – dann verbaue ich ihr vielleicht die Chance, eine richtig gute Autorin zu werden. Ich bin doch nicht verrückt.

Sven Hönig: Du warst im letzten Jahr bei Kultur im Zelt. Was gibt es am 11. Dezember Neues bei deiner Lesung im Staatstheater?

Gegenüber 2016 hat sich vieles weiterentwickelt: Nick kommt jetzt in die Geruchsperiode, ein stark den Familienfrieden gefährdendes Phänomen. Carla pflegt plötzlich Erwachsenenrituale, muss in die Fahrschule und lernt dort Dinge, von denen sie nie gedacht hätte, dass es sie gibt. Es gibt auch neue Freizeitbetätigungen der Eltern. Das Programm ist keine klassische Lesung. Zur Hälfte ist es ein Comedyprogramm. Hinterher heißt es oft: Das ist wie bei uns, aber in lustig. Erziehung und Familienleben ist ja häufig doch recht anstrengend.