Havanna. Kubas „Máximo Líder“ Fidel Castro war die letzte große Figur des Kalten Kriegs. Der langjährige Diktator starb im Alter von 90 Jahren.

Irgendwann während seines langen Lebens sagte Fidel Castro einmal diesen Satz: „Ich habe ein echtes Problem. Wenn ich eines Tages tot bin, wird es mir niemand glauben.“ Vermutlich ist kein anderer Mensch so oft für tot erklärt worden wie der kubanische Revolutionsführer. 638 Attentatspläne und Mordversuche gegen ihn habe es im Laufe seiner 48 Jahre an der Macht gegeben, behauptet die offizielle kubanische Zählung. Der US-Geheimdienst CIA, die Exil-Kubaner oder die Mafia haben Fidel mit explodierenden Zigarren, mit Giftpfeilen und Dolchen, mit Handgranaten, Feuerwaffen, vergifteten Kugelschreibern oder mit bezahlten Geliebten zur Strecke zu bringen versucht.

Am Ende aber starb Fidel Alejandro Castro Ruz, der „historische Führer“, wie er in den vergangenen Jahren genannt wurde, eines natürlichen Todes – am Freitag um 22.29 Uhr (Ortszeit). Dies teilte sein Bruder Raúl Castro in einer Nachricht im Staatsfernsehen mit. Fidel Castro wurde 90 Jahre alt. Die Staatsführung rief eine neuntägige Staatstrauer aus.

Auch wenn er schon lange keine politisch tragende Rolle mehr spielte, ist es trotzdem ungewohnt, dass Fidel Castro nicht mehr da ist. Der starrköpfige Mann begleitete so viele Generationen, dass man sich die Welt tatsächlich ohne ihn nur schwer vorstellen kann. Er hat seinen festen Platz im kollektiven Gedächtnis.

Als der 32-jährige Castro mit seinen bärtigen Guerilleros Anfang Januar 1959 in Havanna einmarschiert, regiert in Deutschland noch Konrad Adenauer. Und in Lateinamerika sind fast überall die Eliten an der Macht und scheren sich nicht um die großen sozialen Ungleichheiten.

Fidel Castro hat Generationen von jungen Leuten geprägt, war ihnen Vorbild oder abschreckendes Beispiel. Der ruppige und robuste Revolutionär war eine der dominierenden, faszinierendsten und umstrittensten politischen Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts.

Die letzte große Figur des Kalten Kriegs, Legende zu Lebzeiten. Angebeteter, Ziel des Hasses Hunderttausender, Volks- und Frauenheld. Ein begnadeter Redner mit Aussehen und Ausstrahlung, der Freund und Feind in seinen Bann ziehen konnte: „Wenn er dir die Hand auf die Schulter legt, sagt du nach zehn Minuten Ja zu allem“, hat mal ein Mitkämpfer berichtet.

Seit seinem erzwungenen Rückzug wegen einer Darmerkrankung vor gut zehn Jahren war aus dem Revolutionsführer ein Revolutionswächter geworden – eine Art moralische Instanz, die aus dem Hintergrund darüber wachte, dass der nur um fünf Jahre jüngere Bruder Raúl die Kubaner nicht zu radikal auf Kapitalismus trimmte. Aber seine Interventionen, Auftritte und Artikel in der kommunistischen Parteipresse wurden immer seltener.

Mitte April tauchte Fidel auf dem Parteikongress der kubanischen KP auf. In Adidas-Trainingsjacke und mit Karo-Hemd trat er noch mal ans Rednerpult: Körperlich schwach, aber im Kopf noch wach, kokettierte er vor 1000 Delegierten und 280 Gästen mit seinem möglichen Ableben: „Ich werde bald 90, was ich nie für möglich gehalten hätte. Es war eine Laune der Natur“, sagte er: „Aber jeder ist mal dran. Doch die kubanischen Ideen bestehen fort.“ Die historische Annäherung zwischen Kuba und den USA, die Bruder Raúl einfädelte, und den Besuch von US-Präsident Barack Obama auf der Insel im März hat Fidel skeptisch gesehen.

Fidel und Raúl, Castro I. und Castro II., hielten bis zuletzt gemeinsam das Schicksal Kubas fest, jeder wichtige Faden endete in den Händen der Brüder. Eine Familienherrschaft von linken Veränderern, die mal antraten, das kubanische Volk vom Joch eines brutalen und korrupten Bösewichts wie Fulgencio Batista zu befreien. Was 1959 mit viel Hoffnung begann, endete in einer autokratischen Herrschaft eines Einzelnen. Fidel Castro war der Übervater der kubanischen Revolution, der Chef, der alle Einzelheiten kannte, der nicht delegieren konnte und noch die Anschaffung von Babywindeln und chinesischen Dampfkochtöpfen selbst reglementieren musste. Fidel war 48 Jahre der gestrenge Vater, bis er am 31. Juli 2006 über Nacht die Macht abgab, weil ihn eine bis heute mysteriöse Darmerkrankung fast das Leben kostete. Diese Mischung aus Bewunderung und Furcht für und vor Fidel hat zu einem großen Teil dazu beigetragen, dass das System Kuba, das immer ein System Castro war, nicht aus dem Leim gegangen ist.

Irgendwie waren Castro und Tod zwei Begriffe, die nicht zusammenpassen wollten. Je härter die Umstände sind, desto stärker ist Castro. 1953 greift er mit 112 schlecht trainierten und einfach bewaffneten Rebellen die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba an – der offizielle Beginn der kubanischen Revolution. Der Überfall scheitert. Drei Jahre später, als er mit der „Granma“ aus Mexiko kommend mit 81 Genossen an Land geht, verliert er in den ersten Tagen drei Viertel seiner Kämpfer. Mit nur 20 Mitstreitern, unter ihnen Che Guevara, nimmt er in den Wäldern den Kampf gegen die Armee von Diktator Batista auf, der zwei Jahre später kapituliert und in der Neujahrsnacht 1959 aus Havanna flieht.

Nach dem Sieg der Revolution schert sich Castro anfangs nicht viel um kommunistische Lehrsätze. Erst Umstände wie die US-Wirtschaftsblockade, die Invasion in der Schweinebucht 1961 und Druck aus seinem Umfeld, vor allem durch Bruder Raúl, bringen ihn dazu, sich der Sowjetunion zuzuwenden. Aber immer propagiert Fidel seine eigene Form des Sozialismus: Eine Mischung aus Marx, Lenin, dem kubanischen Freiheitshelden José Martí – und eben Castro selbst. Heraus kam der Fidelismus, ein System, in dem der Staatschef und sein Charisma eine größere Rolle spielen als politische Doktrinen.

Durchsetzungsfähigkeit und Starrsinn waren Castros hervorstechenden Eigenschaften. Als 15-Jähriger beweist er den Mitschülern auf dem Jesuitenkolleg in Havanna, dass er vor nichts zurückscheut, und fährt auf einem Fahrrad – Kopf voraus – mit Geschwindigkeit gegen eine Wand. Der Lohn sind eine Gehirnerschütterung und der Respekt der Mitschüler.

Schon früh erwacht in Castro das Gefühl sozialer Gerechtigkeit und Rebellion. Mit 13 Jahren versucht er, die Zuckerrohrarbeiter auf der Finca seines Vaters zum Streik anzustiften. Fidel wirft dem Vater Ausbeutung vor. Ángel Castro, ein galizischer Einwanderer, hat es in Kuba vom mittellosen Arbeiter zu einem wohlhabenden Landbesitzer und Zuckerrohrfarmer gebracht. Ihm gehören 800 Hektar eigenes und 10 000 gepachtetes Land in Birán im Osten der Insel. Dort wird Fidel am 13. August 1926 als drittes von sieben Kindern geboren, die der Vater mit seiner Haushälterin Lina Ruz zeugt. Nach dem Sieg der Revolution ist die elterliche Farm eine der ersten, die der neue Herr über Kuba verstaatlicht.

Fidel ist stets von messianischem Eifer beseelt. Er exportiert seine Revolution. Erst mit Worten und Waffen, später vor allem mit Ärzten und Lehrern. Rund 15 Jahre lang schickt er Truppen ins afrikanische Angola und nach Äthiopien. In Lateinamerika unterstützt er Freiheitsbewegungen in Bolivien, Nicaragua, El Salvador und Guatemala. 1979 erhalten 35 Staaten aus Kuba militärische oder zivile Hilfe. Allen voran Venezuela.

Daheim opfert er die politischen Freiheiten auf dem Altar sozialer Errungenschaften. Für ein vorbildliches Bildungs- und Gesundheitssystem müssen die Kubaner die Entbehrungen der Planwirtschaft und die Überwachung durch den Staat in Kauf nehmen. Andersdenkende landen im Gefängnis oder gehen. Mehr als zwei Millionen Menschen haben die Insel seit der Revolution in Richtung Miami, Madrid und Mexiko verlassen, weil sie freie Meinung, freie Berufsausübung und freien Zugang zum Internet den Parolen von „Sozialismus oder Tod“ und zwölf bis 60 Euro Staatslohn vorziehen.

Das System Castro hat erstaunliches Überlebenstalent bewiesen. Castro II. hat reibungslos das Vermächtnis von Castro I. übernommen. Die Arbeitsteilung funktionierte. Aber der Wandel auf dem letzten kommunistischen Posten der westlichen Welt hat mit Fidel im Hintergrund nur sehr langsam eingesetzt. Erst 2010 nahm er wirklich an Fahrt auf, weil die wirtschaftliche Krise die Führung in Havanna dazu zwang. Ohne Veränderung, steht Kuba schlicht vor der Pleite. Und nur die Hilfe der Verbündeten in Venezuela, China und Iran halten die Insel ökonomisch einigermaßen auf Kurs. Künftig sollen das nun auch die USA wieder tun.

Raúl Castro will den Kommunismus retten, indem er dem Kapitalismus in homöopathischen Dosen die Türen öffnet. So soll das Erbe des Bruders überleben. Ein bisschen zumindest.