Braunschweig. Laut Europäischer Umweltagentur lag die Zahl 2012 noch bei 72 000. Solche Hochrechnungen sind allerdings umstritten.

Unser Leser Herbert Grevecke fragt:

Wie kann festgestellt werden, ob ein Mensch an Luftverschmutzung und nicht an anderen Erkrankungen verstorben ist?

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Diese Zahl lässt in Zeiten des Abgas-Skandals aufhorchen: Die Europäische Umweltagentur schätzt, dass 2013 etwa 550 000 Menschen in Europa und davon 86 500 Menschen in Deutschland aufgrund von Luftverschmutzung vorzeitig gestorben sind. Noch 2012 lag diese Zahl demnach bei 72 000.

Feinstaubpartikel, Stickstoffdioxid und Ozon können laut dem Bericht, der am Mittwoch erschienen ist, Herz-Kreislauferkrankungen, Asthma und Lungenkrebs verursachen oder verschlimmern. In Großstädten sei die Belastung wegen des Straßenverkehrs besonders hoch, heißt im Bericht, der unserer Zeitung vorliegt. Er stützt sich auf Messungen von 2014 in gut 400 Städten in 41 europäischen Ländern.

Unser Leser fragt zurecht nach Ursache und Wirkung und bezieht sich in seiner Frage auf die Daten der Umweltagentur. Doch die Zahlen stammen nicht von irgendwem. Die Europäische Umweltagentur ist eine Einrichtung der EU, dient als wichtige Informationsquelle für Mitgliedsländer und Behörden.

Auf Anfrage erklärte eine Sprecherin der Umweltagentur, dass sich die Einrichtung auf eine von der Weltgesundheitsorganisation WHO entwickelten Methode stütze. „Dieses Prognoseinstrument ermöglicht es, die verschiedenen Gesundheitsauswirkungen durch Schadstoffbelastungen zu bestimmen“, sagte sie. Dabei werde die Schadstoffdosis, die in einer Stadt oder Region gemessen worden sei, auf die Bevölkerungszahl angerechnet. Weitere Umweltfaktoren, besonders häufig auftretende Krankheiten und der Altersschnitt der Bevölkerung würden mit einbezogen. Es kann sich dabei natürlich nur um eine grobe Schätzung handeln.

Die niedersächsische Landesregierung beruft sich daher bewusst nicht auf solche Schätzungen. Die Meinungen gehen auseinander. Auf eine Anfrage der FDP-Fraktion mit Blick auf die Abgas-Affäre bei VW antwortete das Umweltministerium erst gestern: „Da die Wirkungen aber nicht unmittelbar und zeitnah direkt am Menschen messbar sind, gibt es prinzipielle methodische Einschränkungen bei der Abschätzung gesundheitlicher Risiken durch Luftverunreinigungen.“ Einen Zusammenhang erkennt das Ministerium aber sehr wohl. Es schreibt: „Auch eine Zunahme der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und der Sterblichkeit kann beobachtet werden.“ Nur auf Todesfälle beziffern ließe es sich nicht.

Unterdessen hat ein Lungenarzt aus Leverkusen den VW-Konzern wegen des Abgas-Skandals verklagt. Er hat Strafanzeige gestellt, wie die „Rheinische Post“ berichtete. Der Arzt will in seiner Praxis eine zunehmende Zahl von Atemwegserkrankungen beobachtet haben, die nicht auf Nikotin zurückzuführen seien, sondern auf Feinstaub und Stickoxid. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig bestätigte den Eingang der Klage.