Braunschweig. Die E-Mobilität stellt Hersteller vor Herausforderungen. Darüber sprachen unsere Leser unter anderem mit dem VW-Digitalisierungschef.

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Unser Leser Jens Haschenz aus Braunschweig bemerkt:

Ich glaube nicht, dass uns durch Digitalisierung und Industrie 4.0 rosige Zeiten bevorstehen. Viele Menschen werden ihre Arbeit verlieren. Wir haben es bei der Landwirtschaft gesehen. Und ein Jobabbau droht auch in der Autoindustrie, wenn auf E-Fahrzeuge umgestellt wird.

Dazu recherchierte Katharina Lohse

Hürden gilt es auf dem Weg zur Elektro-Mobilität so einige zu nehmen. Man stelle sich nur mal vor, dass jeder, der sein Auto aufladen will, eine Kabeltrommel durchs Fenster auf die Straße wirft, scherzte Uwe Fritsch, Betriebsratsvorsitzender im Volkswagen-Werk Braunschweig und VW-Aufsichtsrat, am Mittwochabend im Haus der Wissenschaft. Was für ein Durcheinander. Welch Stolpergefahr. Beim Leserforum der Braunschweiger Zeitung, des VW-Betriebsrats Braunschweig und der Technischen Universität Braunschweig ging es jedoch nicht allen voran um die unzureichende E-Ladeinfrastruktur in Deutschland sowie weitere technische Notwendigkeiten auf dem Weg zum digitalisierten Autos. Im Mittelpunkt stand der Mensch und was diese Entwicklung für ihn bedeutet.

„Wenn wir auf die Infrastruktur warten, wird es nichts mit der neuen Mobilität.“
„Wenn wir auf die Infrastruktur warten, wird es nichts mit der neuen Mobilität.“ © Johann Jungwirth leitet die Digitalisierungsstrategie von Volkswagen

Unser Leser Jens Haschenz sprach bei der Podiumsdiskussion, die von Armin Maus, Chefredakteur unserer Zeitung, moderiert wurde, eine zentrale Herausforderung an, die durch die Digitalisierung auf die Arbeitswelt zukommt. Wenn ein Auto elektrisch angetrieben wird, braucht es beispielsweise auch keinen Motor mehr. Wenn sich ein Fahrzeug selbst steuert, könnte gar das Lenkrad überflüssig werden. Und demzufolge werden auch keine Mitarbeiter mehr benötigt, die Motoren oder Lenkräder fertigen und einbauen.

Doch die Entwicklung hin zur E-Mobilität und zum autonomen Fahren aus Angst um Arbeitsplatzverlust zu stoppen, ist keine Option. Da waren sich die Podiumsteilnehmer einig. Christian Krentel, Vorstandsvorsitzender des Braunschweiger IT-Dienstleisters CKC, sagte, dass Veränderungen zwar Unsicherheiten mit sich brächten. Er appellierte jedoch an die rund 200 Zuhörer, sich konstruktiv kritisch mit diesem Wandel auseinanderzusetzen. „Denn was der Mensch kann, setzt er auch durch“, so Krentel. Auch Jungwirth betonte: „Die Autoindustrie befindet sich mitten im größten Wandel ihrer Geschichte.“ Damit es VW nicht so gehe wie Kodak, die zwar einer der Vorreiter der Digitalfotografie waren, den Trend aber dennoch verschlafen haben, müsse der Konzern handeln. „Wir kämpfen dafür, für die E-Mobilität Lösungen zu finden und Arbeitsplätze zu sichern.“ In dem knappen Jahr, in dem er im Konzern arbeitet, habe sich viel getan. So gebe es beispielsweise bei jeder Konzernmarke einen Verantwortlichen für digitale Themen.

„Das selbstfahrende Auto demokratisiert die Mobilität“

VW-Betriebsrat Fritsch bemängelte, dass ihm die Transformation im Konzern nicht schnell genug gehe. Wenn das Unternehmen zu langsam sei, werde das Auswirkungen auf die Beschäftigung haben. „Wie muss die Wertschöpfung der Zukunft aussehen, um die 8600 Menschen, die im VW-Werk Braunschweig arbeiten, – da bin ich skeptisch – aber einen Großteil der Menschen, die hier arbeiten, in der Entwicklung mitzunehmen?“ Das Zauberwort heißt Qualifizierung. Neue Komponenten bedeuteten neue Herausforderungen für die Mitarbeiter. „Wer 20 Jahre nicht gelernt hat, muss erst einmal wieder ans Lernen herangeführt werden.“ Und die Bereitschaft dazu sei entscheidend. Denn: „Es wird in Zukunft nicht mehr so laufen, dass wir die Achsen-Produktion bekommen und das dann zehn Jahre lang machen.“ Wenn die hydraulische Bremse wegfalle, müssen über die Elektro-Bremse nachgedacht werden und so fort. Bislang werden im Werk Braunschweig unter anderem elektrische Lenkungen und Achsen produziert sowie Batteriesysteme für VW-Elektromodelle.

In immer kürzeren Abständen veränderten Innovationen die Branche, sagte Jungwirth. Ein Wettlauf um Marktanteile. „Es ist aber wichtig, dass wir Dinge nicht nur umsetzen, weil sie technisch möglich sind, sondern weil sie für den Menschen wichtig sind.“ Er zeigte drei Trends auf, die VW als Handlungsfelder aufgreife: Elektrifizierung statt Benzin- und Diesel-Antrieb, Fahrzeuge teilen statt besitzen – beispielsweise über das sogenannte Carsharing – sowie selbstfahrende Autos statt Menschen hinterm Steuer. „Das Herausfordernde ist, dass diese drei Achsen des Wandels gleichzeitig stattfinden“, sagte Jungwirth.

Der Wandel hin zum E-Antrieb sei da noch der einfachste. Der größte sei der Wechsel zu selbstfahrenden Autos – technisch und ethisch. Er sagt durch diese Technologie die Demokratisierung der Mobilität voraus. 38.000 Stunden, sagte Jungwirth, verbringe der Mensch in seinem Leben durchschnittlich im Auto. Das seien 4,3 Jahre, die er stattdessen mit Arbeit, Gesprächen, Lesen verbringen könne.

Ein weiterer Vorteil des autonomen Fahrens: Blinden, Alten und Kranken könnte ein individuelle Mobilität ermöglicht werden. Und das, so Jungwirth, auf eine sichere Art und Weise: „91 Prozent der Verkehrsunfälle werden durch den Menschen verursacht.“ Mehr als 80 Prozent könnten durch selbstfahrende Autos verhindert werden. „Denn das Auto überfährt keine roten Ampeln, es trinkt keinen Alkohol und verfällt nicht in Sekundenschlaf.“

„E-Auto-Batterien halten nicht, was sie versprechen“

Doch bei all den möglichen Vorteilen: Die Autobranche muss noch viele Probleme lösen, damit sich der Kunde auch für einen elektrischen Antrieb entscheidet. Trotz Prämie in Höhe von

1,2 Milliarden Euro, die der Bund und die Hersteller für den Kauf eines E-Fahrzeugs oder Plug-in-Hybrids seit diesem Jahr ausgeloben, ziehen die Verkäufe von E-Autos nicht nennenswert an. Ursächlich dafür dürften neben den hohen Preisen die geringen Reichweiten und die unzureichende Ladeinfrastruktur sein.

Ulrich Reimers, Vize-Präsident der TU Braunschweig, berichtete im Haus der Wissenschaft von seinem neuen Passat GTE, einem Plug-in-Hybrid, der einen Elektro- mit einem konventionellen Antrieb kombiniert. Die Batterie habe 50 Kilometer Reichweite versprochen. Vollgeladen habe sie nur 43 Kilometer angezeigt, nach dem Arbeitsweg hin und zurück von 24 Kilometern seien noch

8 Kilometer übrig geblieben. „Ich bin also 24 Kilometer gefahren, habe aber 42 gebraucht.“ Das E-Carsharing-Projekt von „iTUBS“, der Innovationsgesellschaft der TU, sei genau wegen Probleme dieser Art gescheitert.

60 Prozent der Fahrzeuge seien nicht fahrbereit gewesen. „Ich habe große Bedenken, wenn ich höre, dass wir alle nur noch elektrisch fahren sollen.“ Jungwirth räumt ein, dass der Konzern über Jahrzehnte nicht viel Geld in die Batterieforschung gesteckt habe, dass sich jetzt aber einiges tue. Anfang Oktober hatte VW beim Pariser Autosalon sein Fahrzeug „I.D.“ vorgestellt, das eine Reichweite von 600 Kilometern haben soll.

Ein Knackpunkt ist auch die Infrastruktur. Ralf Sygusch, Leiter des Referats Stadtplanung, Stadtentwicklung und Statistik der Stadt Wolfsburg, beschreibt das Dilemma aus Stadt-Sicht: „Infrastrukturprojekte sind auf viele Jahre ausgelegt. Wenn beispielsweise ein Ausbau der Heinrich-Nordhoff-Straße in Wolfsburg fertig wäre, könnte er schon nicht mehr zeitgemäß sein.“ Denn möglicherweise könnte sich das Carsharing oder das autonome Fahren bereits stärker durchgesetzt haben – das Verkehrsaufkommen könnte dann geringer sein als es jetzt ist. Ähnliches gelte für die E-Ladeinfrastruktur. Sygusch: „Wir können nicht in vorauseilendem Gehorsam eine Infrastruktur aufbauen und müssen uns dann am Ende vorwerfen lassen, dass wir falsch investiert haben.“ Dann, wenn sich beispielsweise eine andere Ladetechnik durchsetzen würde.

In Bezug aufs autonome Fahren und schnelle Internetanbindungen sagte Jungwirth: „Wir werden nicht auf die Infrastruktur warten. Wir werden auch im Schwarzwald ohne Netz fahren.“ Google sei mit seinen selbstfahrenden Autos bereits zwei Millionen Testmeilen im realen Straßenbetrieb gefahren. Da sei einiges aufzuholen. „Wenn wir auf die Infrastruktur warten, wird es nichts.“