Braunschweig. Julius Reiter vertritt Geschädigte im Abgas-Skandal. Der Anwalt kritisiert das Krisenmanagement von VW und fordert mehr Rechte für Verbraucher.

null

Rechtsanwalt Julius Reiter vertritt Autobesitzer, die nach Bekanntwerden des Abgas-Skandals Schadensersatz von VW fordern. Zusammen mit seinem Partner, dem Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), kooperiert er mit einer gemeinnützigen niederländischen Stiftung. Bereits 100 000 europäische VW-Kunden haben sich registriert. Was er vom Verbraucherschutz in Deutschland hält, erklärte Reiter Andre Dolle am Telefon.

Nach Bekanntwerden des Abgas-Skandals bei VW hatte die Bundesregierung versprochen, per Gesetz so etwas wie Musterklagen auf den Weg zu bringen, um die Rechte der Verbraucher gegen Konzerne zu stärken. Passiert ist nichts. Am Montag kündigte die Bundesregierung an, dass sie Gesetzes-Pläne noch dieses Jahr auf den Weg bringen wird. Glauben Sie daran?

Das ist nur eine weitere Absichtserklärung. Ich gehe davon aus, dass es in dieser Legislaturperiode nicht mehr zum Gesetz kommen wird. Das ist für uns nicht ansatzweise nachvollziehbar. Der Abgas-Skandal hätte die Politik wachrütteln und Tatsachen schaffen müssen. Gerade im Vergleich zum bestehenden Musterverfahren für Anleger vor dem Oberlandesgericht Braunschweig zeigt sich, dass eine sinnvolle Durchsetzung von Ansprüchen nur gebündelt erfolgen kann. Dieses Musterverfahren gilt aber nur für Aktionäre, nicht für Autokäufer. Unzählige Betroffene werden vor einem langwierigen und kostspieligen Gerichtsverfahren zurückschrecken, obgleich Landgerichte Schadensersatzansprüche durchaus anerkannt haben.

Die Grünen kritisieren eine Blockade der Bundesregierung, werten dies als Einknicken vor der Autoindustrie. Würden Sie das auch so formulieren?

„Der Abgas-Skandal hätte die Politik nachhaltig wachrütteln müssen.“
„Der Abgas-Skandal hätte die Politik nachhaltig wachrütteln müssen.“ © Julius Reiter, Anwalt, der VW-Autobesitzer und Aktionäre vertritt

Ja, das kann man durchaus so sehen. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, dass man diesen fundamentalen Schritt nicht gehen will.

Wie steht es denn um den Verbraucherschutz in Deutschland?

Es hat in den vergangenen Jahren Verbesserungen gegeben. Gerade aber im Bereich der Massenschäden gibt es nur unzureichende Prozessmöglichkeiten, so dass sich die Verbraucher nur eingeschränkt wehren können.

Andererseits fürchtet mancher schon eine „Klage-Industrie“ wie in den USA, wo Großkanzleien vor allem den eigenen Profit im Auge haben. Ihre Kanzlei geht einen moderateren Weg. Worin besteht dieser?

Das Ziel eines deutschen Verbraucher-Musterverfahrens soll keine Kopie des amerikanischen Systems werden. Dennoch muss man sich an den Vorteilen des amerikanischen Rechtssystems orientieren. Gerade der Strafschadens-Ersatz in den USA führt dazu, dass die schwarzen Schafe wirksam sanktioniert werden. In Deutschland hingegen muss das Unternehmen, dass den Verbraucher schädigt, lediglich den Schaden ausgleichen. Am Ende geht es darum, dass der Verbraucher ein kostengünstiges wirksames Instrument in die Hand bekommt, um seinen Schaden im Sammelverfahren durchzusetzen.

Ihre Kanzlei kooperiert mit der gemeinnützigen niederländischen Stiftung „Car Claim“, auf Deutsch „Auto-Klage“. Bereits 100000 europäische Kunden haben sich registriert. Wie gehen Sie vor?

Wir wollen VW zu einer außergerichtlichen Vergleichs-Lösung bewegen. Wir wollen so verhindern, dass europäische Käufer im Vergleich zu US-Käufern als Kunden zweiter Klasse abgestempelt werden. Das niederländische Stiftungs-Recht hat sich für Sammelverfahren bewährt. Die Niederlande sind uns da einige Jahre voraus.

Wäre das niederländische Modell auf Deutschland übertragbar?

Ja, das Wesen des niederländischen Modells ist, dass nach erfolgreicher Einigung der Vergleich von einem niederländischen Gericht für verbindlich erklärt werden kann. Aus diesem Rechtsgrund kann derjenige, der sich an einem Vergleich rechtsverbindlich beteiligt hat, nicht mehr klagen.

Wie hoch sind die Kosten für die VW-Kunden, die sich an der Stiftung beteiligen?

Der Betroffene kann selbst nach dem ausgehandelten Vergleich entscheiden, ob er dem Vergleich beitritt oder ob er doch individuell klagt. Die Stiftung handelt im Erfolgsfall zusätzlich auf die Vergleichssumme 18 Prozent der vereinbarten Summe aus. Die würde VW on top zahlen, nicht der Kunde. Davon erhalten 7,5 Prozent die Anwälte der Stiftung, der Rest fließt an die Stiftung.

Sie haben bereits an anderer Stelle gesagt, dass Sie zu einer „vernünftigen Einigung“ mit VW kommen wollen. Was fordern Sie von VW?

Wir fordern von VW, dass die Kunden in Europa überall gleich behandelt werden. VW wäre generell gut beraten, den europäischen Kunden bei der Entschädigung stärker im Blick zu haben, schließlich braucht man sich nur die Zulassungszahlen anzuschauen, um zu erkennen, das der europäische Markt das Rückgrat des Konzerns bildet.

Wie ist der Stand der Verhandlungen mit dem Konzern?

Der VW-Konzern hat zwar Rechtsanwälte eingeschaltet. Ein konkretes Vergleichsangebot gibt es bisher aber noch nicht.

Inwiefern sehen Sie auch andere Hersteller vom Abgas-Skandal

betroffen?

Die VW-Abgasaffäre dürfte nur die Spitze des Eisberges gewesen sein. Dies hat zur Folge, dass die deutschen Behörden, unter anderem das Kraftfahrtbundesamt, „sensibilisiert“ sind, nunmehr genauer hinzusehen. So wurde bereits vor wenigen Wochen seitens des Bundesamts offengelegt, dass 22 weitere Modelle anderer Hersteller Abgas-Auffälligkeiten zeigten und überprüft werden. Wir brauchen jetzt eine lückenlose Aufklärung, um das wirkliche Schadensausmaß erkennen zu können.

Muss ich einer Umrüstung nachkommen, wenn ich von VW dazu aufgefordert werde?

Grundsätzlich besteht keine Verpflichtung, dieser Aufforderung zur Nachbesserung nachzukommen. Man weiß ja noch gar nicht, wie sich die Reparatur auf das Fahrzeug auswirken wird, ob es anschließend zum Beispiel mehr Sprit verbraucht. Um jedoch etwaige Ansprüche nicht zu verwirken, sollte man sein Auto umrüsten. Zudem besteht die Gefahr, dass die Fahrzeugzulassung vom Kraftfahrtbundesamt entzogen wird, wenn man sich als Kunde generell weigert.

Wie geht VW mit dem Skandal um?

Das Krisenmanagement von VW führt nach unserer Meinung nicht zu einem neuen Vertrauen in die Marke VW. Im Gegenteil: Kunden werden gleich doppelt bestraft. Erst durch die Manipulationen, sodann durch die Hinhaltetaktiken in der Nacherfüllungsphase.

Was fordern Sie von der Politik, von den Behörden? Brauchen wir andere Fahrzeug-Zulassungsmethoden, damit solch ein Betrug nicht wieder vorkommt?

Die weltweite Abgasmanipulation war jahrelang nur möglich, weil keine Prüfungen unter Realbedingungen auf den Straßen durchgeführt wurden, sondern im Labor. Erst amerikanische Forschungseinrichtungen haben aus eigener Initiative bereits 2013 Tests durchgeführt, um den realen Schadstoffausstoß von Dieselfahrzeugen in den USA zu überprüfen. Die Ergebnisse der Studie wurden bereits im Jahr 2014 veröffentlicht. Die späteren Ermittlungen der US-Umweltbehörden basieren auf dieser Studie. Solche Tests unter Realbedingungen müssen in Deutschland standardmäßig durchgeführt werden – und nicht erst im Verdachtsfalle.