Braunschweig. Während Konsumenten sich um Pestizidrückstände in Lebensmitteln sorgen, warnen Experten vor allem vor gefährlichen Krankheitserregern.

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Unser Leser Bernhard Foitzik aus Denkte meint:

Man kann konventionell hergestellte Lebensmittel eigentlich gar nicht mehr essen.

Zum Thema recherchierte Johannes Kaufmann

Essen kann tödlich sein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass jedes Jahr etwa 420.000 Menschen weltweit durch belastete Lebensmittel sterben. Doch entscheidend ist, woraus diese Belastung besteht. Der Bezug unseres Lesers auf „konventionelle“ Herstellung legt eine Sorge vor zugesetzten Chemikalien nahe.

„Auch die Enzyme im Waschmittel werden gentechnisch hergestellt.“
„Auch die Enzyme im Waschmittel werden gentechnisch hergestellt.“ © Reinhard Hehl, Professor am Institut für Genetik der TU Braunschweig

Glyphosat, Dioxin, Hormone, Reste von Mineralöl – die Liste angeblicher und tatsächlicher Lebensmittelskandale ist lang. Laut einer aktuellen Erhebung der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) sehen Verbraucher die größten Risiken in Pestiziden, gentechnisch veränderten Organismen (GVO), Rückständen von Arzneimitteln und Zusatzstoffen.

Experten für Lebensmittelsicherheit hingegen sehen ganz andere Gefahren: An erste Stelle setzen sie pathogene Mikro-Organismen, also krankheitserregende Viren und Bakterien wie Salmonellen oder Campylobacter. An zweiter Stelle steht Fehl- und vor allem Überernährung, gefolgt von Pilzgiften und Allergenen.

Die Risiken entstehen also keinesfalls nur auf Seite der Produzenten, wie unser Leser andeutet, sondern auch bei den Verbrauchern. Küchenhygiene spielt eine große Rolle, ebenso wie Wissen über die konsumierten Nahrungsmittel. Denn die enthalten nicht selten natürliche Giftstoffe, die gefährlicher sind als alle von außen zugesetzte Substanzen. „Ein halbes Blatt Basilikum ist genauso gefährlich wie zwei Zigaretten“, sagte etwa der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) der Zeitung „Die Welt“. Denn das in der Pflanze enthaltene Estragol ist nicht nur gesundheitsschädlich, sondern vermutlich auch krebserregend.

„Lebensmittel waren noch nie so sicher wie heute“

Das zeigt: Wahrgenommene und tatsächliche Gefahren sind keinesfalls deckungsgleich. Es gibt keinen einzigen bestätigten Fall, dass ein Mensch durch ein genetisch verändertes Lebensmittel geschädigt wurde. Auf der anderen Seite ging der einzige Lebensmittelskandal der vergangenen fünf Jahre in Deutschland, bei dem eine gravierende Gesundheitsgefahr vorlag, höchstwahrscheinlich von Bio-Lebensmitteln aus. 53 Menschen starben 2011 an EHEC-Keimen auf Bio-Sprossen.

Grundsätzlich aber gilt: Lebensmittel in Deutschland waren noch nie so sicher wie heute. Das zumindest sagt der Präsident des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Braunschweig, Helmut Tschiersky. Wie also sind die Sorgen der Verbraucher und die Diskrepanz zwischen Experten- und Verbraucherwissen zu erklären? Versagen die Behörden bei der Kommunikation des Themas?

Professor Christel Müller-Goymann, Leiterin des Instituts für Pharmazeutische Technologie der TU Braunschweig und Vizepräsidentin der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft (BWG), spielt den Ball sogleich zurück: „Stehen nicht auch die Medien in der Verantwortung mit ihrer teils reißerischen und skandalisierenden Berichterstattung?“, fragte sie beim Bioethik-Symposium der BWG zum Thema Lebensmittelsicherheit im Braunschweiger Haus der Wissenschaft.

Tatsächlich bestätigt die Erhebung der AGES, dass Journalisten die Risiken bei Lebensmitteln ähnlich bewerten wie Verbraucher allgemein. Auch sie überschätzen nach Ansicht der Experten die Gefahren von Pestiziden und anderer zugesetzter Substanzen sowie die der Gentechnik. „Seriöse, informative Berichterstattung ist wichtig. Es muss deutlich werden, dass sich Klagen über Lebensmittel in Deutschland auf sehr hohem Niveau bewegen“, gab Müller-Goymann zu bedenken.

Auch Dr. Ulrich Nehring erklärte, dass in keinem anderen Land beim Lebensmittelrecht und bei der amtlichen Überwachung von Lebensmitteln ein so großer Aufwand betrieben werde wie in Deutschland. „Das Verbraucherschutzrecht ist das detaillierteste Rechtsgebiet überhaupt, detaillierter noch als das Steuerrecht“, sagte Nehring, der mit seinem Institut Nehring in Braunschweig als unabhängiger Dienstleister Lebensmittel prüft. Der Lebensmittelchemiker bestätigte aber das Kommunikationsproblem der Branche: „Die Hintergründe sind häufig zu komplex, um sie allgemeinverständlich zu erklären. Wie im Gesundheitssystem ist es aber wichtig, den Menschen unnötige Ängste zu nehmen.“

Auch ohne Gen-Mais – Gentechnik ist überall

Eine dieser Ängste bezieht sich auf die Gentechnik. Verbraucher in Deutschland lehnen sie in großer Mehrheit ab. Allerdings spricht sich bei Umfragen auch regelmäßig eine Mehrheit dafür aus, dass Gene in Lebensmitteln verpflichtend gekennzeichnet werden müssen – obwohl sämtliche Organismen Gene enthalten, nicht nur solche, die gentechnisch verändert wurden.

Deutschland gilt als Gentechnik-frei, weil hier keine GVO angebaut werden. Dass Gentechnik aber überall ist, erklärte Professor Reinhard Hehl vom Institut für Genetik der TU Braunschweig in seinem Vortrag. Ein Mitarbeiter seines Labors habe ihm einmal von der Aktion gentechnikfreies Helmstedt erzählt und im Spaß gefragt, ob im Helmstedter Rathaus nun Diabetiker kein von GVO produziertes Insulin mehr spritzen dürften. Seine Antwort: „Sie müssten auch nackt zur Arbeit kommen und dürfen nur mit Münzgeld bezahlen.“ Denn ein Großteil der Baumwolle weltweit, aus der Kleidung und auch Geldscheine hergestellt werden, ist gentechnisch verändert.

Gentechnik stecke auch in Nahrungsmitteln, die wir täglich konsumieren, führte Hehl aus. Nicht nur fressen Nutztiere GVO, auch viele der dem Futter zugesetzten Ergänzungsmittel werden gentechnisch erzeugt. Gentechnisch veränderte Hefe produziert Vitamine, andere GVO erzeugen Enzyme, die Fruchtsäfte klären oder Aspartam zum Süßen von zuckerfreien Getränken. „Lipasen und Proteasen im Waschmittel erlauben umweltschonendes Waschen bei niedrigen Temperaturen. Auch diese Enzyme werden gentechnisch hergestellt“, so Hehl.

All dies sei den Verbrauchern zumeist nicht bewusst, weil lediglich der Ursprung aus gentechnisch veränderten Pflanzen kennzeichnungspflichtig sei, nicht aber aus Mikro-Organismen – eine Unterscheidung, die der Genetiker als willkürlich bezeichnete. So müssten aus GV-Soja gewonnenes Lecithin oder Zucker aus einer GV-Zuckerrübe gekennzeichnet werden, nicht aber von GV-Mikroben produziertes Glutamat, Cystin und Cystein im Mehl zum Backen oder Lab-Enzym für die Käse-Herstellung. Das wurde ursprünglich mal aus Kalbsmagen gewonnen, aber „so viele Kälber können wir gar nicht schlachten, dass dadurch der Bedarf zu decken wäre“, erklärte Hehl.

Aufgrund neuer Technologien wie der „Gen-Chirurgie“ müssten Kennzeichnung und Regulation von Gentechnik ohnehin bald überdacht werden, führte Hehl aus. Dadurch lassen sich beispielsweise gezielt einzelne Gene ausschalten – eine Mutation, die jederzeit auch natürlich entstehen könnte. Entsprechend werden solche Pflanzen in den USA nicht als gentechnisch verändert und damit anders als klassische Züchtungen eingestuft. „Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA ziert sich noch bei der Einstufung“, so Hehl, aber eine Entscheidung müsse bald getroffen werden, da die günstige Technik die Entwicklung neuer Sorten befeuert.

Lebensmittelüberwachung vom Stall bis auf den Tisch

Dr. Nehring und Ursula Müller vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gingen in ihren Vorträgen auf die Praxis der Lebensmittelüberwachung in Deutschland ein. Das EU-Recht verfolge das Prinzip „vom Stall bis auf den Tisch“, erläuterte Müller. Die Lebensmittelunternehmen hätten die Verantwortung, in der gesamten Produktionskette mit Hilfe eigener Qualitäts- und Hygienesysteme, Kontrollen und externer Dienstleister wie dem Institut Nehring die Sicherheit ihrer Lebensmittel zu garantieren.

Dazu gebe es ein System amtlicher Kontrollen: „Wir sind sozusagen die Kontrolleure der Kontrolleure.“ In Niedersachsen besteht dieses System unter Leitung des Ministeriums aus dem Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) sowie 42 kommunalen Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsbehörden. Diese führten abhängig von einer Risikoeinschätzung des einzelnen Betriebes Kontrollen durch, für deren Kosten das Unternehmen aufkommt. „Einen Vertrauensvorschuss für Öko-Betriebe“, wie unser Leser andeutet, gebe es dabei nicht. „Nach meiner Erfahrung sind die nicht pauschal besser als andere“, so Müller.

Auch die Tierärztin kritisierte, dass die Medien „gefühlte Krisen“ erzeugten. Als Beispiel nannte sie die Berichterstattung über Pferdefleisch in Tiefkühl-Lasagne 2013: „Der Skandal war die Täuschung des Verbrauchers. Eine Gefahr bestand nicht. Man hätte die Lasagne nach Zahlung eines Bußgelds einfach umetikettieren können, dann wäre sie wieder verkehrsfähig gewesen. Stattdessen wurden am Ende massenhaft Lebensmittel vernichtet.“

Professor Petra Mischnik vom Institut für Lebensmittelchemie der TU Braunschweig führte aus, wie Forschung zur Lebensmittelsicherheit beiträgt. So sei die Entstehung des womöglich krebserregenden Acrylamids durch starkes Erhitzen stärkehaltiger Lebensmittel mittlerweile aufgeklärt. Dadurch könnten unnötige Belastungen nun vermieden werden.

Das Beispiel Acrylamid verdeutlicht aber auch, dass manche Risiken sich nur vermeiden ließen, wenn man auf einige Lebensmittel ganz verzichtete. „Acrylamid entsteht beim Rösten. Wenn man Kaffee nicht röstet, kann man ihn aber auch nicht trinken“, so Nehring. Ob die Vermeidung eines potenziellen Risikos bei gleichzeitig vermuteten positiven gesundheitlichen Auswirkungen von Kaffeekonsum diesen Verzicht wert ist?