Berlin. Die niedersächsische Forschungsministerin Gabriele Heinen-Kljajic fehlt beim Parlamentarischen Abend.

Unser Leser Otto Schedler sagt:

Für viele ist das Selbstfahren ja ein Ausdruck für Freiheit. Frage mich, ob der Kunde von morgen, bereit sein wird, darauf zu verzichten.

Zu diesem Thema recherchierte Stefan Lienert

Sofern das automatisierte Fahren bald serienreif wird, prognostiziert Thomas Schmall einen „dramatischen Einfluss auf unser Leben“. Beim Parlamentarischen Abend, den die Regionalentwicklungsgesellschaft Allianz für die Region gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern Braunschweig sowie Lüneburg-Wolfsburg im Tipi zwischen Bundeskanzleramt und dem Haus der Kulturen der Welt veranstaltet hat, sagte der Komponentenvorstand von Volkswagen: „In diesem Fall gäbe keine Unfälle mehr, und blinde Leute könnten Autofahren.“ Schmall steht den Entwicklungen rund um den fahrerlosen Transport positiv gegenüber. Ob diese Fortbewegungsart, so wie unser Leser es andeutet, aber unentbehrlich wird, ist derzeit noch unklar.

Seit etwa 15 Jahren läuft am Braunschweiger Standort des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Forschung zu diesem Thema, sagt Professor Karsten Lemmer, Leiter des Instituts für Verkehrssystemtechnik. 2010 rollte der Forschungswagen „Leonie“, den das DLR gemeinsam mit der TU Braunschweig konzipierte, unfallfrei über den Braunschweiger Stadtring. Ein automatisch fahrendes Autos im fließenden Verkehr – das war zu diesem Zeitpunkt weltweit einmalig.

Seit 2014 ist der Stadtring ein festes Testfeld für den Verkehr durch die Anwendungsplattform Intelligente Mobilität (AIM). Bis zum Ende dieses Jahres wird laut Lemmer seitens des DLR ein Konzept für die Versuchsstrecke auf Abschnitten der Autobahnen 2, 7 und 39 erstellt. Im kommenden Jahr soll die Infrastruktur wie Sendemasten oder Radargeräte fertig aufgebaut sein. Dieses Projekt wird aus Mitteln des Landes Niedersachsen und des DLR gefördert. Jan Timo Wendler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Regelungstechnik der TU, stellte vor dem Tipi ein Fahrzeug vor, das mit einem Sensor auf dem Dach durch Braunschweigs Straßen fährt.

Vielleicht bekommt Braunschweig noch den Zuschlag für ein drittes Projekt – und darum kämpften die Diskutanten in der Schlussrunde. Das Bundesverkehrsministerium hat neben der Löwenstadt noch München, Hamburg, Ingolstadt, Düsseldorf und Dresden als Teststädte für autonomes Fahren auserwählt. Für dieses vierjährige Projekt stünden laut Lemmer insgesamt 80 Millionen Euro zur Verfügung. Das Bundesverkehrsministerium teilte auf Anfrage dazu gestern mit, dass es noch keine Förderentscheidung für die verschiedenen eingereichten Projekte gibt.

Die Teilnehmer auf dem Podium forderten, dass Braunschweig hier berücksichtigt wird. „Wir sind die Mobilitätsregion Nummer eins und wollen das auch bleiben“, sagte der Landesbeauftragte für regionale Landesentwicklung Braunschweig, Matthias Wunderling-Weilbier. TU-Präsident Professor Jürgen Hesselbach wünschte sich, dass der bayerische Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt nicht nur Projekte in „seinem“ Bundesland, sondern etwa auch in Südostniedersachsen unterstützt. Zum Hintergrund: Dobrindt hatte im September 2015 ein Testfeld auf der A 9 bewilligt, obwohl es auch in Niedersachsen Interesse daran gab. Der Chef der IHK Braunschweig, Helmut Streiff, sagte, dass in diesem Zusammenhang eine Batteriefabrik, wie sie etwa für Salzgitter im Gespräch ist, ein großer zusätzlicher Schritt sei.

In unserer Region wird so verschieden, vielfältig und erfolgreich geforscht, wie nur in wenigen anderen in Europa. Um zu verstehen warum, ist vermutlich ein Sprung zurück ins Jahr 2007 nötig. Damals wurde Braunschweig zur Stadt der Wissenschaft auserkoren. „Die Forschungspower in der Stadt war da schon spürbar und ein bisschen auch die in der Region. Dass dieses Programm wohl den Aufstieg des Clusters begründete, war aber noch nicht abzusehen“, sagte Nina Ruge.

Sie führte durch die Podiumsdiskussion beim dritten Parlamentarischen Abend, an dem knapp 400 Gäste, darunter etwa 50 Mandatsträger aus Bund, Land und Region teilnahmen. 25 Bundestagsabgeordnete hatten zugesagt. Die niedersächsische Forschungsministerin Gabriele Heinen-Kljajic sagte ihre Teilnahme ab. Sie hatte bereits einem Termin im Wendland zugesagt und wollte an einer internationalen Konferenz eines Komitees mitwirken, das sich mit Denkmalpflege befasst. Doch dort musste sie sich laut ihrer Büroleitung kurzfristig vertreten lassen – aufgrund von tagesaktuellen Geschäften. Heinen-Kljajic selbst sprach von einem „wichtigen Termin“. Welcher das war, wollte sie auf Nachfrage nicht sagen.

Vier Hochschulen, an denen zusammen fast 40.000 Studierende immatrikuliert sind, fast 600 Professoren und 47.000 Beschäftigte im Forschungs- und Entwicklungssektor der hiesigen Forschungseinrichtungen und Unternehmen sorgen für eine recht hohe Wissenschaftsdichte. Vier Prozent aller Beschäftigten in der Region arbeiten in der Wissenschaft und Forschung. Das hob Bundesforschungsministerin Professorin Johanna Wanka beim Parlamentarischen Abend lobend hervor. „Dazu gibt es viele Politiker aus der Region, die dafür sorgen, dass in Berlin ein ganz großes Augenmerk auf Südostniedersachsen gelegt wird“, sagte die Ministerin.

Auch immer mehr Menschen, die nicht in der Forschung arbeiten, würden sich bewusst machen und dafür interessieren, was im Wissenschaftssektor vor ihrer Haustür los ist, sagte Hesselbach.

Dazu gebe es viele ausländische Studierende, die diese Region als Botschafter im Ausland vertreten, etwa an der TU Clausthal. Jeder dritte Student ist hier ein Chinese. Auch der aktuelle chinesische Wissenschaftsminister Wan Gang war Mitte der 1980er Jahre Alumnus der Harzer Hochschule. Von den Chinesen könnten sich die Deutschen in puncto Schlagkraft noch etwas abgucken, berichtete Thomas Schmall, Komponentenvorstand von Volkswagen, der kürzlich erst aus Asien zurückkehrte. „Das ist schon beeindruckend, wie auch mit Hilfe der Regierung im Wissenschaftssektor Erfolge erzielt werden.“

Laut der Diskutanten ist die Region also nach außen hin recht gut aufgestellt, doch auch intern funktionieren die Kooperationen recht gut. „Es ist in der Bundesrepublik nicht normal, dass Hochschulen solch unterschiedlicher Typen so gut zusammenarbeiten“, sagte Wanka.

Aktuelles Leuchtturmprojekt der Region ist die soeben eröffnete Open-Hybrid-Lab-Factory in Wolfsburg, an der derzeit 26 Firmen und Forschungseinrichtungen beteiligt sind. „Und das Interesse für noch mehr ist da“, sagte Hesselbach.

Das interdisziplinäre Potenzial, das unsere Region hat, hob auch Professor Joachim Block, Leiter der norddeutschen Standorte des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, hervor. Wunderling-Weilbier ergänzte: „Das Europa der Zukunft ist ein Europa der Regionen.“ Und Julius von Ingelheim, Geschäftsführer der Allianz für die Region, sprach von einer „Marke“, die in Zukunft aufgebaut werden soll.