Braunschweig. Seit Jahren erzielt allein das deutsche Automobil-Tuning-Geschäft Umsätze in Milliardenhöhe. Doch nicht jedes Zubehör ist legal.

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Unser Leser Ulrich Koch (47) aus Braunschweig sagt:

Wenn ich abends meine Ruhe haben möchte, schrecke ich häufig auf. Denn über den Hagenring in Braunschweig fahren getunte Autos.

Zum Thema recherchierte Stefan Lienert

Das Automobil-Tuning ist ein Milliardengeschäft. Nach Angaben des Verbandes der Automobil Tuner (VDAT) hat allein die deutsche Zubehörindustrie im vergangenen Jahr weltweit 4,6 Milliarden Euro umgesetzt, davon 1,6 Milliarden in Deutschland. Die Zahlen sind in den vergangenen Jahren konstant. Bei uns gibt es außerhalb der USA den umsatzstärksten Tuning-Markt weltweit. Doch warum ist er so angesagt, und warum hat er gleichzeitig so viele Gegner – wie beispielsweise unseren Leser?

„Häufig haben Tuner Defizite in ihrem Leben und versuchen diese durch das Hobby auszugleichen.“
„Häufig haben Tuner Defizite in ihrem Leben und versuchen diese durch das Hobby auszugleichen.“ © Dirk-Antonio Harms, Verkehrspsychologe aus Braunschweig

Beginnen wir mit einer Erhebung der Kölner Beratungsgesellschaft BBE Automotive, die herausgefunden hat, dass vier von fünf Deutschen eher einen Monat auf ihr Smartphone als auf ihr Auto verzichten würden.

Noch genauer wollte es das Marktforschungsinstitut Puls wissen: Es fand heraus, dass knapp jedem dritten Autokäufer ein individualisiertes Fahrzeug wichtig ist, das sich von den Serienfahrzeugen abhebt. Bei den Neuwagenkäufern unter 30 sind es sogar fast die Hälfte.

„Manche Tuner haben Lichterketten am Auto. Da kann man schnell denken, dass einem ein Weihnachtsbaum entgegen kommt.“
„Manche Tuner haben Lichterketten am Auto. Da kann man schnell denken, dass einem ein Weihnachtsbaum entgegen kommt.“ © Wolfgang Klages, Sprecher der Polizeiinspektion Braunschweig

Bei vielen von ihnen stellt die Demonstration der baulichen Veränderungen am Auto in den Innenstadtstraßen den Gipfel der Faszination dar, für andere ist sie schlicht Belästigung.

Auch in unserer Region ist Tuning längst angekommen. Als „infernalischen Lärm“ bezeichnet Leser Ulrich Koch das, was er regelmäßig freitag- und samstagabends ertragen muss. Fahrer von aufgemotzten Autos lassen die Motoren aufheulen. Er vermutet: „An anderen Tagen lohnt sich die Schau nicht, da sind zu wenige Leute auf den Straßen unterwegs.“

Aus Salzgitter erreicht uns der Hinweis, es gebe am Salzgittersee einen Treffpunkt der Tuning-Begeisterten. „Man hat das Gefühl, dass die Polizei ziemlich machtlos ist. Jeden Tag sind diese PS-Protze zu hören. Auch in der Stadt röhren sie. Aber man hat nicht den Eindruck, dass sich da etwas ändert“, teilt der Leser mit, der Gast auf unseren Internetseiten ist.

Die Polizei in der Region bestätigt die Fälle. Ein Polizeibeamter, dessen Name nicht genannt werden möchte, ist Mitglied der Polizeiinspektion Gifhorn und gehört gleichzeitig zu einer überregionalen Gruppe der Polizeidirektion Braunschweig, die sich auf die Kontrolle der getunten Fahrzeuge spezialisiert hat. „Wir haben das Wissen durch zusätzliche Seminare erworben, denn das ist kein Teil der regulären Polizeiausbildung“, sagt uns der Polizist, der selbst privat gerne an Autos herumschraubt. „Die Zusatzausbildung in dem Bereich ist notwendig. Denn es ist oft schwer herauszufinden, welche Technik erlaubt ist und welche nicht“, meint Wolfgang Klages, Sprecher der Polizeiinspektion Braunschweig.

„Wenn Zubehör verbaut ist, das keine Abnahme durch den Tüv hat, werden Strafen fällig. Sie liegen zwischen 15 und 135 Euro und einem Punkt. Wer es vorsätzlich macht, muss das Doppelte bezahlen“, sagt ein Gifhorner Tuning-Experte der Polizei.

Häufig sei das Unrechtsbewusstsein nicht da, meint Klages. „Viele sagen, ich wollte doch nur mein Auto etwas schöner machen. Daher ist es schwer, Vorsatz zu beweisen.“ 135 Euro Bußgeld sind aus seiner Sicht im Vergleich zu anderen Delikten, etwa Abstandsverstößen, zu wenig.

Es gibt Tuning-Verstöße verschiedener Größenordnungen. Kleinere Delikte beispielsweise sind fehlerhafte Blinker, deren Licht dauerleuchtet. Unerlaubt sind oft auch Xenon-Frontscheinwerfer. „Die sind meist 100 Mal heller als normales Licht und gefährden damit die übrigen Verkehrsteilnehmer“, heißt es von einem Polizeibeamten der Polizei Gifhorn.

Der Tüv Nord teilt auf Anfrage mit, dass „Lichterketten, die man auf Fahrzeugen in den USA bewundern kann, hierzulande verboten sind“. Klages: „Wenn einem doch ein solcher Wagen entgegenkommt, denkt man fast, man sieht einen Weihnachtsbaum.“

Aber auch an Auspuffanlagen kann manipuliert werden. Schalldämpfer könnten entfernt werden. Bei den Anlagen mit zwei Endrohren sind zudem Klappen eingebaut, die sich durch einen elektronischen Schalter steuern lassen. Sind die Klappen offen, wächst die Dezibelzahl oft ins Dreistellige an. „Diese Anlagen müssen allerdings durch ein Geräuschgutachten kommen“, heißt es weiter.

Zu den Klassikern bei den Tuning-Verstößen zählen laut Polizei die Autos, die dermaßen tiefer gelegt sind, dass der Unterboden abgefahren ist. „Die Tuner wollen vor allem auffallen“, erläutert ein Polizeibeamter.

Der Braunschweiger Verkehrspsychologe Dirk-Antonio Harms erklärt: „Fast ausschließlich machen das junge Männer, meist bis Mitte 20, die sich über ihr Fahrzeug definieren. Viele haben Defizite in anderen Lebensbereichen und versuchen ihr Leben durch das Tuning aufzuwerten.“ Häufig hätten sie keinen Sinn für das Risiko, das sie verursachen können. „Mit dieser Leidenschaft wollen sie ihre Ausbildung, vielleicht die vergebene berufliche Chance kompensieren und vor allem auch die Frauen beeindrucken“, erklärt Harms.

In Einzelgesprächen wird das aufgearbeitet. „Häufig ist zunächst gar nicht so klar, was beim Patienten los ist. Es geht in den Sitzungen darum, das Gefahrenbewusstsein zu verbessern und Erfolgserlebnisse in anderen Lebensbereichen, etwa im Sport, zu schaffen und dort Anerkennung über Leistung zu erreichen.“

Viele Tuning-Basteleien passieren in dunklen Hinterhöfen, sagt Klages. Häufig würden die Bauteile zunächst durch die Ortsteile gefahren, bevor sie auf die große Bühne kommen. „Wer etwas merkt, soll sich nicht scheuen, die 110 zu rufen“, rät Klages. Auch wegen der Gesundheit.

Denn laut Umweltbundesamt ist Lärm ein Stressfaktor. Wer ihm kurzfristig ausgesetzt ist, merkt schnell eine erhöhte Herzfrequenz und einen erhöhten Blutdruck. Wer chronisch vom Lärm belastet wird, kann von Langzeitfolgen wie Gehörschaden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und auch Herzinfarkten geschadet werden, teilt die Behörde mit.

Sascha Rolof ist seit Jahren begeisterter Tuner. Keine zehn Sekunden braucht es, bis sich die Karosserie seines VW Golf II um zehn Zentimeter gesenkt hat. Das Luftfahrwerk, das in dem Auto des 25-jährigen KFZ-Mechanikers aus Braunschweig eingebaut ist, sorgt dafür, dass es in Windeseile tiefergelegt ist. „Bei Tuningtreffen sind diese Autos sehr angesagt. Da scharen sich die meisten Zuschauer drumherum. Aber fahren kann man in dem Zustand natürlich nicht“, erzählt Rolof. „Es ist einfach toll, wenn man sein Auto individuell verändern kann.“

Kaum etwas in seinem Wagen hat noch den Auslieferungszustand. Das Armaturenbrett ist neu, genauso wie die Mittelkonsole. Am Motor wurde nachgeholfen, ebenso an den Bremsen. Eine Rücksitzbank gibt es nicht mehr, stattdessen ist dort ein Käfig eingebaut, der das Auto noch stabiler und belastbarer machen soll. Im Kofferraum des 170-PS-Wagens liegt die Autobatterie.

Rolof geht behutsam mit seinem Golf II um. „Im Alltag bin ich nicht mit dem Wagen unterwegs. Nur am Wochenende kommt er zum Einsatz.“ Und: Sämtliche Umbauten sind im Fahrzeugschein eingetragen. Der Tüv hat sie zugelassen.