Braunschweig. In vielen Regionen in Deutschland werden die Nitrat-Grenzwerte im Grundwasser überschritten. Eine neue Düngeverordnung soll Abhilfe schaffen.

Unser Leser Gustav Stegmann aus Braunschweig bittet:

Ich wünsche mir, dass Sie auf das Thema Nitrat-Belastung des Grundwassers eingehen. Das Thema macht mir Sorgen – auch und gerade im Agrarland Niedersachsen.

Zum Thema recherchierte Johannes Kaufmann

Mit seinen Sorgen ist unser Leser nicht allein. In seltener Einigkeit werden sie nicht nur von Umweltverbänden und -behörden, sondern auch von Wissenschaftlern und Landwirten geteilt. Obwohl die Behebung des Problems Anlass zum Streit bietet, ist man sich zumindest einig, dass es ein Problem gibt.

Dieses zeigt sich vor allem im Grundwasser: In einigen Regionen Deutschlands ist es stark mit Nitraten belastet, Stickstoff-haltigen Salzen, die zu großen Teilen aus der Landwirtschaft stammen. Pflanzen brauchen Stickstoff für die Bildung von Eiweiß. Um Erträge und Qualität von Feldfrüchten zu optimieren, düngen Landwirte daher ihre Felder mit mineralischem oder mit organischem Dünger wie Gülle. Beides enthält Stickstoff, und ein Teil davon landet über verschiedene Wege im Grundwasser.

Die EU-Wasserrahmenrichtlinie gibt einen Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter vor. Doch an vielen Messstellen in Deutschland wird dieser Wert seit Jahren überschritten. Zuletzt hat der Anteil stark belasteter Grundwasserkörper nach einem leicht abnehmenden Trend in den Vorjahren sogar zugenommen. Das geht aus der Antwort des Bundesumweltministeriums (BMUB) auf eine Frage der Bundestagsabgeordneten Bärbel Höhn (Grüne) hervor. Demnach wurde im vergangenen Jahr der Grenzwert an 18,1 Prozent der Messstellen überschritten. 2011 war dies an 15,4 Prozent der Messstellen der Fall gewesen. Da eine einzelne Messstelle mit überhöhten Werten für die Einschätzung eines Grundwasserkörpers mit mehreren Messstellen als belastet ausreicht, stuft das BMUB mittlerweile ein Drittel aller Flächen in Deutschland als belastet ein. In Niedersachsen sind es sogar 60 Prozent.

Die EU-Kommission hat daher bereits im vergangenen April beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen Deutschland eingereicht und nun außerdem ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Denn obwohl Nitrate selbst nicht gesundheitsgefährdend sind, können bei der Verdauung in Nitrit umgewandelt werden. „Bei hoher Nitrat- bzw. Nitritaufnahme ist für Säuglinge in den ersten Lebensmonaten ein akutes gesundheitliches Risiko denkbar“, schreibt dazu das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf seiner Internetseite. Denn das Nitrit stört den Sauerstofftransport im Blut. Darüber hinaus könne Nitrit im Körper mit Aminen zu möglicherweise krebserregenden N-Nitroso-Verbindungen reagieren. Das Fazit: „Das BfR sieht daher eine langfristige Aufnahme von größeren Mengen an Nitrat bzw. Nitrit als problematisch an.“

Im streng kontrollierten deutschen Trinkwasser werden die Grenzwerte nicht überschritten. Allerdings müssen die Wasserversorger dafür an manchen Orten belastetes Grundwasser mit unbelastetem Wasser verdünnen oder das Nitrat technisch entfernen, was die Kosten für die Wasseraufbereitung und damit den Wasserpreis erhöht.

Auch ökologisch hat der Nährstoffüberschuss Folgen. „Der Stickstoff landet am Ende im Meer, wo es dadurch an den Küsten zu Algenblüten kommen kann“, erklärt Bernhard Osterburg vom Thünen-Institut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei in Braunschweig. Und er schade der Biodiversität: „Ein Nährstoffüberangebot begünstigt Gräser und Brennnesseln, die andere Wildpflanzen verdrängen.“

„Die Massentierhaltung versaut uns das Grundwasser“, bewertet Bärbel Höhn im NDR und WDR das Problem. Die grüne Umweltpolitikerin fordert einen „Neustart der Landwirtschaft“.

„Das ist an Plattheit und Verallgemeinerung nicht zu übertreffen“, kommentiert der Vorsitzende des Braunschweiger Landvolks, Ulrich Löhr, solche Aussagen. Dabei leugnen die Landwirte das Problem nicht. „Wir haben ein Problem mit der Verteilung der Nährstoffe aus der Tierhaltung“, fasst Löhr zusammen. Westlich der Weser gebe es in Folge der intensiven Schweine- und Hühnerzucht einen erheblichen Überschuss an organischem Dünger. „Wir produzieren in Niedersachsen bis zu 80 000 Tonnen zu viel Stickstoff. Das ist ein unbestreitbarer Fakt“, räumt Löhr ein. Im Osten und Südosten hingegen, also auch in unserer Region, würden weniger Tiere gehalten. „Trotzdem tragen wir auch zum Problem bei. Unsere Wintergerste landet zu 90 Prozent im Futtertrog. Die Tierzüchter sind unsere Kunden“, sagt Löhr.

Dennoch stellt er sich eine Lösung des Problems weniger radikal vor als Höhn: „Wir brauchen keinen Neustart. Wir müssen umsteuern“, sagt der Landwirt. Nährstoffe dürften nicht auf den Äckern entsorgt, sie müssten von Überschuss-Regionen dorthin gebracht werden, wo sie gebraucht werden. Zwar müssten einige Tierbestände wohl reduziert werden, doch sei es keine Lösung, die Tierwirtschaft flächendeckend auf Kleinbetriebe umzustellen.

Das bestätigt auch Bernhard Osterburg vom Thünen-Institut: „Entscheidend ist nicht die Zahl der Tiere, sondern die Konzentration auf der Fläche.“ So gebe es in Ostdeutschland durchaus sehr große Tiermastbetriebe, die die dort anfallenden organischen Nährstoffe aber über eine große Fläche verteilen könnten. In Bayern hingegen herrschten zwar häufig kleinere Betriebe vor, davon aber so viele auf so kleiner Fläche, dass es zu einem hohen Nitratüberschuss komme. „Die Tierbestände müssten also insgesamt nicht unbedingt abgebaut, sondern besser verteilt werden“, fasst der Agraringenieur zusammen.

Die Verschlechterung des Grundwasserzustands nach einem zuletzt eigentlich positiven Trend sieht Osterburg unter anderem darin begründet, dass seit einigen Jahren wieder weniger Flächen stillgelegt werden. Auch der Boom beim Biogas verschärfe das Problem: „Die Biogasanlage ist wie eine stählerne Kuh“, verdeutlicht Osterburg. Sie vergärt Biomasse, nicht nur tierischer, sondern auch pflanzlicher Herkunft. Die dabei anfallenden Gärreste dienen als Stickstoff-haltiger Dünger, der aber derzeit nicht in die 170 Kilogramm Stickstoff eingerechnet wird, die ein Landwirt pro Hektar ausbringen darf.

Das soll eine neue Düngeverordnung ändern, um die seit Jahren gerungen wird. Niedersachsens Umweltminister fordert nun Tempo bei der Umsetzung: „Wenn über die Hälfte der Landesfläche Niedersachsens in Bezug auf den Nitratgehalt im Grundwasser als in einem schlechten Zustand befindlich eingestuft wird, dann besteht akuter Handlungsbedarf“, sagt Wenzel. Sein Parteifreund, Landwirtschaftsminister Christian Meyer stößt ins gleiche Horn und wirft Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) „Nichtstun“ vor.

Auch Ulrich Löhr vom Landvolk kritisiert, dass man bereits seit Jahren „auf der Zielgeraden“ sei. „Für Ackerbauregionen wie unsere wird es bei den vorgesehenen Düngermengen schwer, die Erträge bei gleichbleibend hoher Qualität zu halten“, meint Löhr. Trotzdem begrüße er die neue Verordnung, die unter anderem strengere Kontrollen und einen verpflichtenden Abgleich der Nährstoffbilanzen aller Betriebe vorsieht. „Das ist ok, wenn im Gegenzug Betriebe, die keine Probleme haben, seltener überprüft werden“, so der Landwirt.

Auch Bernhard Osterburg hält eine solche Regelung für sinnvoll. „Bisher müssen Landwirte ihre Nährstoffbilanzen nur bei Kontrollen vorlegen. Das macht das ganze System zufällig und willkürlich“, kritisiert er. Eine Meldepflicht mit automatischer Datenauswertung würde es ermöglichen, gezielt Betriebe zu kontrollieren, die einen großen Nährstoffüberschuss aufweisen, also mehr Stickstoff in Form von Dünger einführen, als sie über ihre Produkte ausführen. Für solche Betriebe sieht die neue Düngeverordnung eine verpflichtende Beratung vor – auf Kosten des Landwirts.

Auch neue Techniken sollen den Nährstoffverlust minimieren. So soll eine bodennahe Ausbringung von Dünger über sogenannte Schleppschläuche und Schleppschuhe verhindern, dass Stickstoff als Ammoniak aus der Gülle ausgast und später in Flüssen und Seen landet. Die damit verbundene geringere Geruchsentwicklung dürfte auch Anwohner freuen. Ulrich Löhr weist darüber hinaus auch auf Systeme hin, mit denen Gülle direkt in den Boden eingearbeitet wird.

Ganz vermeiden lassen, werden sich Stickstoffüberschüsse nach Ansicht von Bernhard Osterburg aber nicht. „Landwirtschaft ist ein offenes System und Stickstoff ein wichtiges Produktionsmittel“, erklärt der Agraringenieur. Faktoren wie das Wetter oder die Beschaffenheit des Bodens machten die Prognose des Nährstoffbedarfs sehr komplex. Mit gutem Management lasse die Überdüngung sich aber reduzieren.

Bis das sich im Grundwasser abzeichnet, dürfte aber noch lange Zeit vergehen. Die Sickerzeit von der Oberfläche ins Grundwasser kann Jahre oder sogar Jahrzehnte betragen.