Braunschweig. In Salzgitter sinkt die Gewerbesteuer um zwei Drittel. Die Kommunen fordern eine grundsätzlich neue Verteilung der Steuereinnahmen.

Unser Leser Michael Wald fragt auf unseren Facebook-Seiten:

Geben denn diese Kommunen auch etwas ab, wenn es bei ihnen und VW gut läuft?

Die Antwort recherchierten Christina Lohner, Christoph Knoop und unsere Lokalredaktionen

„Die Auswirkungen sind selbst für eine Stadt wie Wolfenbüttel beträchtlich.“
„Die Auswirkungen sind selbst für eine Stadt wie Wolfenbüttel beträchtlich.“ © Knut Foraita, Erster Stadtrat von Wolfenbüttel

Steigende Gebühren für Kita, Parken oder Friedhof, weniger Investitionen, Projekte, die auf Eis liegen – nachdem die Kommunen jahrelang von den VW-Werken profitiert haben, zwingt die Abgas-Krise auch sie zum Sparen. Der Städte- und Gemeindebund fordert nun zusätzliche Finanzhilfen für die VW-Städte. Die betroffenen Städte in unserer Region regen hingegen an, die Finanzierung der Gemeinden grundsätzlich neu zu regeln.

Die Stadt Salzgitter beschränkt sich nach eigenen Angaben ohnehin seit zehn Jahren auf ihre kommunalen Pflichtaufgaben. Schwankende Gewerbesteuereinnahmen muss die Stadt mit Krediten zwischenfinanzieren. Während die Gewerbesteuer der Industriestadt 2014 noch gut 82 Millionen Euro in die Kasse spülte, rechnet die Verwaltung in diesem Jahr nur noch mit 25 Millionen Euro. Der Rückgang lässt sich nicht nur dem Gewinneinbruch bei Volkswagen zurechnen. Fakt ist aber, dass er die Stadt „erheblich“ trifft, wie das Büro von Oberbürgermeisters (OB) Frank Klingebiel (CDU) auf Anfrage mitteilt. „Einen derart hohen Gewerbesteuerausfall – und dazu quasi über Nacht – kann man nicht durch kurzfristige Einsparmaßnahmen auch nur annähernd auffangen.“

Die Bundesländer müssten überlegen, diese Kommunen über den kommunalen Finanzausgleich hinaus zusätzlich zu unterstützen, sagte deshalb der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Uwe Zimmermann, der Deutschen Presse-Agentur. Solange es bei VW gut lief, gab Wolfsburg über den Finanzausgleich des Landes Niedersachsen etwas von den sprudelnden Einnahmen ab, wie unser Leser es formuliert. In der Krise sinkt dieser Anteil entsprechend, während andere Städte wie Braunschweig mehr Geld bekommen als zuvor.

Die Stadt, die vielleicht am stärksten von der VW-Krise betroffen ist, hält von den Änderungswünschen wenig. „Der Finanzausgleich in der derzeitigen Form ist ein gerechtes Instrument, um finanzschwache Kommunen zu unterstützen“, heißt es aus dem Wolfsburger Rathaus. Salzgitter, Wolfenbüttel und Braunschweig hingegen plädieren für eine generelle Neuordnung der Gemeindefinanzen. „Viel wichtiger ist es doch, eine auskömmliche Finanzausstattung aller Kommunen durch Bund und Land zu erkämpfen“, finden die Salzgitteraner. Viele Kommunen seien strukturell unterfinanziert und an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit geraten. „Die Schere zwischen reichen und armen Kommunen geht immer weiter auseinander.“

Auch aus Sicht des Ersten Stadtrats von Wolfenbüttel, Knut Foraita, wäre das wirkungsvollste Mittel, dass sämtliche Kommunen mehr von den Landessteuereinnahmen erhalten – auch vor dem Hintergrund, dass die Schulden von Bund und Ländern jüngst gesunken sind, während die der Kommunen weiter steigen.

Braunschweigs Finanzdezernent Christian Geiger verweist auf die starken Schwankungen der wichtigen Gewerbesteuereinnahmen: „Das ist ein grundsätzliches Problem für viele Städte, das seit langer Zeit bekannt ist.“ Trotz Rücklagen sei die Stadt gezwungen gewesen, ein Konsolidierungspaket zu schnüren. „Dass es vor diesem Hintergrund aktuelle Diskussionen darüber gibt, wie Kommunen finanziell besser abgesichert werden können, finde ich richtig und begrüßenswert.“

Die mittelbaren negativen Auswirkungen der VW-Krise seien selbst für eine scheinbar kaum betroffene Stadt wie Wolfenbüttel beträchtlich, erläutert Foraita. Der spanische Auto- und Nutzfahrzeug-Zulieferer Ficosa hat dort einen Standort. Insgesamt beziffert Foraita die Summe aller direkten und indirekten finanziellen Einbußen infolge des Abgas-Skandals auf mehr als zwei Millionen Euro von 2016 bis 2019.

Gifhorns Kämmerer Rainer Trotzek rechnet für das laufende Jahr mit einem Minus bei den Gewerbesteuern von mehreren Hunderttausend Euro. Die Gründe vermutet er durchaus in der VW-Krise, „wenn wir uns die getroffenen Branchen ansehen. Da gibt es einen Zusammenhang“. In den vergangenen Monaten hatten in dem Arbeitsagentur-Bezirk Firmen aus dem Ingenieurs- und Industriebereich Kurzarbeit angemeldet.

Am Konzernsitz ist man andere Zahlen gewöhnt. Rund 309 Millionen Euro Gewerbesteuer flossen 2014 noch auf das Konto der Wolfsburger Kämmerei, 2015 waren es nur noch rund 170 Millionen Euro. Welcher Anteil davon auf Volkswagen zurückgeht, darüber schweigt die Verwaltung. Hinter den Kulissen ist aber oft von 60 bis 70 Prozent zu hören.

Die Volkswagen-Konjunktur gehörte schon immer zur DNA von Wolfsburg. Mal abwärts, dann wieder aufwärts – man ist daher optimistisch, dass der Konzern in einigen Jahren wieder die Gewerbesteuer sprudeln lassen wird. Bis dahin allerdings stehen die Zeichen auf Sparen. Kurz nach Bekanntwerden der Abgas-Affäre zog Oberbürgermeister Klaus Mohrs (SPD) die Notbremse: Haushaltssperre, dazu Einstellungsstopp für die Verwaltung. Dass künftig gespart werden müsse, darin sind sich auch alle im Rat der Stadt vertretende Fraktionen weitgehend einig.

Im Haushalt 2016 allerdings fand sich von diesem Sparwillen nur wenig wieder. Wolfsburg eilte in den VW-Boomjahren seit 2012 von Rekordhaushalt zu Rekordhaushalt. Und auch 2016 trieb man die Ausgaben im Vor-Krisen-Jahr 2015 noch einmal um 17 Millionen auf 448 Millionen Euro hoch. Geringe Abstriche gab es nur beim Investitionsprogramm. Prestigeprojekte wie das neue Bildungshaus liegen derzeit auf Eis.

2017 dürften zu den bisher eher kleineren Maßnahmen wie der Erhöhung der Hundesteuer und der Kitagebühren einige Sparmaßnahmen dazukommen. „Dazu finden derzeit verwaltungsinterne Gespräche statt“, heißt es aus dem Rathaus.

In Braunschweig wurde bereits die Grundsteuer B um rund 10 Prozent angehoben. Außerdem wurden einige Gebühren erhöht, zum Beispiel fürs Parken, für Friedhof, Musikschule und Stadtbibliothek. Alle Fachbereiche reduzieren ihre Ausgaben, auch die städtischen Gesellschaften müssen etwas kürzer treten. Die automatische Erhöhung der Zuschüsse im Sozial-, Jugend- und Kulturbereich wurden ausgesetzt, einige Bauprojekte und Sanierungen verschoben. Im Ergebnishaushalt 2016 ergibt sich trotzdem noch ein Verlust von 15 Millionen Euro – er wird durch Rücklagen ausgeglichen. Während 2014 noch 161 Millionen Euro an Gewerbesteuer flossen, brachen sie im vergangenen Jahr auf 139 Millionen ein. Für dieses Jahr erwartet die Stadt derzeit 135 Millionen Euro.

Salzgitters OB Klingebiel verhängte im April 2016 ebenfalls eine Haushaltssperre – als klar wurde, dass statt der kalkulierten 65 nur 25 Millionen Euro an Gewerbesteuer eingenommen würden. Wegen ihrer starken Abhängigkeit von der Einnahmequelle fährt die Stadt seit Jahren einen restriktiven Haushaltskurs.

Selbst im kaum betroffenen Gifhorn wird der Rotstift angesetzt. Der Haushalt wird vorerst besonders eng nach Plan geführt, bei der für 2017 geplanten Modernisierung des Bahnhofs gegebenenfalls abgespeckt.

Ein Sprecher des Innenministeriums, das für den Finanzausgleich zuständig ist, wollte die Forderung des Städte- und Gemeindebundes zunächst nicht bewerten. „Solange keine verlässlichen Zahlen vorliegen, lässt sich das schwer einschätzen.“ Die Gewerbesteuer unterliegt dem Steuergeheimnis. Es komme auch darauf an, wie viele Kommunen unterstützt werden sollten.

Peine und Helmstedt zählen nicht dazu. Klaus Westphal, Bürgermeister von Lehre im Kreis Helmstedt, wo der Zulieferer Delphi sitzt, erwartet trotz der angespannten Situation bei VW derzeit keine Einbußen bei der Gewerbesteuer. In Wendeburg im Kreis Peine spielt das 2015 eröffnete VW-Logistikzentrum noch keine Rolle bei den Gewerbesteuern: „VW wird noch nicht veranlagt“, heißt es von der Gemeinde.