Braunschweig. Nicht nur Schüler sollten in Medienkompetenz geschult werden, sagt Schulberater Jürgen Schuppe. Auch Lehrer sollten angeleitet werden.

Unser Leser Marc Stelzer schreibt auf unserer Facebook-Seite::

Die Jugend hat doch keinen Respekt mehr. Wir haben früher unsere Lehrer auch veräppelt, aber das geht einen Schritt zu weit.

Zum Thema recherchierte Eva Hieber

Wer in der digital vernetzten Welt groß geworden ist, für den gehören sie ganz selbstverständlich zum Leben dazu: Die Sozialen Medien. Online ist jeder, der etwas zu sagen hat, der mit Freunden schreiben will, der sich den Frust von der Seele schreiben will. Facebook und Co. beeinflussen praktisch jeden Lebensbereich ihrer Nutzer – also auch den Schulalltag.

Das zeigt auch der Fall der 14-Jährigen aus Düsseldorf. Sie schoss in einem unbeobachteten Moment ein Foto von ihrem Lehrer im Unterricht. Später stellte sie es bei Facebook ein – versehen mit einem beleidigenden Kommentar. Der Pädagoge zeigte seine Schülerin an: Gestern wurde sie zu 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Wegen Beleidigung und der Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte. Zu Recht, meint unser Leser.

Wie häufig sind solche Fälle von öffentlicher Beleidigung?

Das sei schwer einzuschätzen, komme aber durchaus vor, sagt Jürgen Schuppe. Als medienpädagogischer Berater des Medienzentrums Braunschweig besucht er im Auftrag des Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung Schulen, um eine bessere Medienkompetenz zu vermitteln. Seiner Einschätzung nach werden Fälle von Beleidigungen im Internet meistens von den Schulen klein gehalten. „Das ist auch richtig so. Schließlich bringt es keinem etwas, solche Vorkommnisse an die große Glocke zu hängen. Für der Lehrer ist es unangenehm, weil die Beleidigung so noch weitere Kreise zieht. Und für den Schüler ist es unangenehm, weil er öffentlich an den Pranger gestellt wird.“ Daher entschieden sich Schulen in solchen Fällen meistens, den Konflikt intern zu klären.

Haben die Schüler von heute keinen Respekt mehr?

Das zumindest ist der Eindruck unseres Lesers. Jürgen Schuppe sieht das anders: „Kinder sind halt Kinder! Das war früher nicht anders. Damals hat man aber politische Plakate an die Tür des Hausmeisters geklebt oder Zettelchen geschrieben. Heute sind die Möglichkeiten ganz andere.“ Weil es so einfach sei, mit ein paar Klicks eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, machen daher Schülerstreiche heute ein größeres Aufsehen als zuvor. „Aber dass Schüler sich von Autoritäten abgrenzen wollen, dass sie ihren Frust ablassen und auch ihre Grenzen austesten wollen: Das war schon immer so.“ Und das könne man auch nicht ändern, sagt Schuppe.

Welche Strafen sind möglich?

Wer wie die Düsseldorfer Schülerin das 14. Lebensjahr vollendet hat, ist strafmündig und fällt damit zunächst in den Bereich des Jugendstrafrechts. Dafür ist der Braunschweiger Rechtsanwalt Heinz Eggeling Experte. Er sagt: „Das Jugendrecht ist kein Strafrecht. Das Ziel ist also nicht die Bestrafung des Täters, sondern die Erziehung. Durch die Ermittlungen und im Zweifelsfall durch das Gerichtsverfahren soll eruiert werden, durch welche Maßnahme ein erzieherisches Defizit ausgeglichen werden kann.“ Das heißt: Es muss gar nicht zur Verhandlung kommen wie im Fall der jungen Düsseldorferin, das Verfahren könnte gegen eine Auflage eingestellt werden. „Denkbar sind etwa Sozialstunden, die auf Anregung der Staatsanwaltschaft von der Jugendgerichtshilfe vermittelt werden“, sagt Eggeling. Kommt es zu einem Gerichtsverfahren, weicht das Urteil nicht wesentlich von einer solchen Auflage ab: Hier sei aber auch beispielsweise ein Aufsatz möglich. Dies sei vom Einzelfall abhängig und liege im Befinden des jeweiligen Richters. Um eine richtige Bestrafung gehe es dabei nicht. Wichtig sei für das Ergebnis des Verfahrens, ob der Schüler bereits auffällig geworden ist, wie er sich zu den Anschuldigen äußert und ob er sich einsichtig zeigt. Im Falle der Düsseldorferin dürfte für sie gesprochen haben, dass sie die Tat vor Gericht einräumte und bedauerte. Eggeling: „Ich halte es für denkbar, dass die Entscheidung in diesem Fall eine Signalwirkung haben kann. So könnten andere Schüler abgeschreckt werden, ähnlich zu handeln wie die 14-Jährige.“

Hat der Lehrer richtig gehandelt?

Ja, sagt Richard Lauenstein vom Landesverband der GEW in Niedersachsen. „In Schulen wird immer wieder thematisiert, dass Persönlichkeitsrechte auch im Internet respektiert werden müssen. Wenn jemand sich auf diese Weise strafbar macht, muss er sich darüber auch im Klaren sein.“ Die Landesschülervertretung ist derweil anderer Meinung – die Anzeige zeuge von einem bedauerlichen konfrontativen Umgang mit Konflikten, hieß es gestern. Der 64-Jährige habe zuvor kein Gespräch mit der Schülerin gesucht.

Wie ein Lehrer mit einer Situation wie dieser umgehen sollte, sei unterschiedlich, so Lauenstein. „Da gibt es kein Patentrezept. Natürlich ist der beste Weg, schon vorher Erziehungsmaßnahmen zu ergreifen, um den Schülern zu zeigen, was geht, und was nicht. Natürlich gibt es auch einige Schüler, denen das egal ist.“

Medienkompetenz zu vermitteln, ist das Spezialgebiet von Jürgen Schuppe – doch er hat auch Empfehlungen für Lehrer und Schule, wenn die Tat bereits begangen wurde: „Es braucht ein gemeinsames Medienkonzept mit einer transparenten Vorgehensweise. Es sollte ein Schul-Gremium geben, das mit Personalrat und Schulleitung zusammen arbeitet und an das sich der betroffene Lehrer wenden kann. So können solche Konflikte vielleicht besser geklärt werden, bevor sie an die Öffentlichkeit gehen: Und so ist der Lehrer nicht allein und bekommt Rückendeckung.“ Denn nicht zu vernachlässigen, so Schuppe, sei die Angst, die viele Lehrer vor der Waffe der Schüler haben: den Sozialen Netzwerken.

Welche Alternative hätte der Lehrer zu einer Anzeige gehabt?

Zunächst einmal hätte ihm vor der Tat eine wirkungsvolle Präventivmaßnahme offen gestanden: Handys im Unterricht zu verbieten. „Wenn sich ein Schüler daneben benimmt, gibt es verschiedene, festgelegte Eskalationsstufen“, erklärt Jürgen Schuppe, „an erster Stelle steht da natürlich das Gespräch. Mit dem Schüler, mit den Eltern, der Schulleitung, schließlich kann es eine Klassen- oder Schulkonferenz geben. In diesem speziellen Fall ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, weil die Tat der 14-Jährigen öffentlich gemacht wurde. Da helfen auch keine Konferenzen mehr“. Wichtig sei es nun, mit den anderen Schülern – und Lehrern – offen über die Ereignisse zu sprechen und sie über die Konsequenzen des allzu sorglosen Umgangs mit sozialen Medien aufzuklären. „Beide Seiten machen Fehler dabei: Lehrer und Schüler“, sagt Schuppe. „Deshalb ist Wegsehen immer der falsche Weg“, so Schuppe. Für Lehrer wäre es sinnvoll, sie Umgang mit Facebook & Co. anzuleiten. Schülern zu verbieten, auf Sozialen Netzwerken über ihre Schule zu schreiben, bringe dagegen überhaupt nichts, meint Schuppe: „Sie werden den Schülern ihre Neigung zur Auflehnung niemals austreiben können“.