Braunschweig. Für Erwachsene könne pflanzliche Ernährung aber gesundheitliche Vorteile bringen, meint Magen-Darm-Spezialist Max Reinshagen.

Veganer gehen einen Schritt weiter als Vegetarier: Sie verzichten auf alle tierischen Produkte, essen also weder Fleisch noch Eier oder Honig. Auch Milch kommt ihnen nicht auf den Tisch. Über den Trend zum Veganismus diskutieren heute Experten im Rahmen der NDR-Info-Sendung „Logo – Wissenschaft aus Braunschweig“ im Braunschweiger Haus der Wissenschaft. Johannes Kaufmann sprach mit Professor Max Reinshagen, Chefarzt der Klinik für Magen- und Darmerkrankungen am Städtischen Klinikum Braunschweig, über die gesundheitlichen Aspekte dieser Ernährungsweise.

Unsere Leserin Elke Klug aus Schöningen hält vegane Ernährung für ungeeignet für Kinder. Ist rein pflanzliche Kost ungesund?

„Dass wir auch als Erwachsene Milch vertragen, verdanken wird einem Gendefekt.“
„Dass wir auch als Erwachsene Milch vertragen, verdanken wird einem Gendefekt.“ © Max Reinshagen, Facharzt für Innere Medizin.

Als Erwachsener kann man sich auch ohne Fleisch, Eier und Milch im Prinzip gut ernähren. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass eine solche Ernährung das Risiko für manche Zivilisationskrankheiten senkt. Wer keine tierischen Proteine zu sich nimmt, hat weniger Probleme mit koronaren Herzkrankheiten, Diabetes und vor allem Übergewicht. Die einzige Einschränkung sehe ich bei Schwangeren und bei Kindern, die sich im Wachstum befinden. Bei diesen Gruppen ist nach aktuellem Stand des Wissens eine vegane Ernährung nicht zu empfehlen.

Woran liegt das?

Diese Gruppen brauchen bestimmte Nährstoffe und Spurenelemente in größerem Maße – die Mutter, weil sie diese Stoffe ans Kind weitergibt, Kinder, weil sie das für das Wachstum benötigen.

An welchen Nährstoffen mangelt es der veganen Ernährung, und welche Folgen hat das?

Zum Beispiel Spurenelemente wie Zink und einige Vitamine wie Vitamin B12. Bei Kindern kann außerdem durch Kalzium-Mangel das Knochenwachstum eingeschränkt werden. Aktuelle Studien legen nahe, dass vegane Ernährung nicht grundsätzlich zu niedrigerer Knochendichte führt, aber ein wachsendes Kind braucht eben besonders viel Kalzium. Daher ist in diesem Fall eine vegane Ernährung nicht sinnvoll.

Welche Funktion erfüllt Vitamin B12?

Das wird zur Blutbildung benötigt. Bei Mangel kann es zu einer schleichenden Blutarmut kommen, was wiederum zu einer Sauerstoff-Unterversorgung führen kann. Das äußert sich in Müdigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit. Frauen, die sich auch in der Schwangerschaft vegan ernähren wollen, sollten das mit ihrem Frauenarzt besprechen und klären, wie sie fehlende Nährstoffe sinnvoll ergänzen können.

Was ist mit Menschen, die nicht gerne Pillen schlucken? Gibt es auch bestimmte vegane Lebensmittel, über die sich der Mangel ausgleichen lässt?

Im Englischen nennt man solche Produkte „fortified“, also befestigt oder verstärkt. Das sind Lebensmittel, denen bestimmte Nährstoffe nachträglich hinzugefügt wurden. In den USA enthält Milch beispielsweise zusätzliches Vitamin D, weswegen dort Vitamin-D-Mangel seltener ist als bei uns. Nun trinken Veganer keine Milch, aber es gibt das auch bei veganen Produkten. Außerdem kann man natürlich Obst- und Gemüsesorten gezielt nach ihren Nährstoffgehalten auswählen. Bei Vitamin B12 ist dem aber eine Grenze gesetzt, da das in pflanzlicher Nahrung kaum vorkommt.

Heißt das, wer sich vegan ernährt, muss Buch führen über seinen Nährstoffhaushalt?

So schlimm ist es nicht, aber man muss etwas bewusster mit seiner Ernährung umgehen. Deswegen werden viele Veganer zu Ernährungsexperten. Das sehe ich auch bei einigen meiner Patienten.

Manche Veganer halten es für unnatürlich, die Muttermilch anderer Tiere zu trinken. Was sagen Sie als Mediziner dazu?

Eigentlich geht die Fähigkeit, Milch zu verdauen, im jungen Erwachsenenalter verloren, weil man dann nicht mehr auf Muttermilch angewiesen ist. Im Dünndarm wird dann keine Laktase mehr produziert, die Milchzucker spalten kann. Das ist bei den allermeisten Asiaten und Afrikanern der Fall. Wir Kaukasier aber können aufgrund eines Gendefekts lebenslang Laktose verarbeiten. Deswegen gibt es bei uns eine Milch- und Käsekultur. Die finden Sie in Asien nicht. Dass Milch aber sogar schlecht sei, wie manche Veganer behaupten, halte ich für übertrieben. Offenbar bot die Mutation einen evolutionären Vorteil: Kinder wachsen dadurch schneller und haben bessere Knochen, weil Milch eine ausreichende Kalzium-Versorgung sichert.

Wie groß ist überhaupt der Einfluss der Diät auf Gesundheit und Wohlbefinden?

Der kann schon groß sein. Diabetiker müssen sich anders ernähren, um keine gesundheitlichen Nachteile zu haben. Aber es ist sehr schwierig, eine Diät einzuhalten, die man nicht gewöhnt ist. Das schafft fast niemand. Denn die Art und Weise, wie wir essen, wird in der Kindheit festgelegt.

Glauben Sie, aus dem Trend zum Veganismus wird ein Massenphänomen?

Das kann ich nicht einschätzen. Aber ich denke schon, dass die Jugendlichen heute über dieses Thema mehr nachdenken als früher. Und sich Gedanken zu machen und bewusster zu ernähren, halte ich nicht für schlecht. Unser immenser Fleischkonsum bringt immerhin eine Menge Probleme mit sich, gesundheitlich wie ökologisch. Auf der anderen Seite ist das bei uns natürlich auch eine Luxusdiskussion, die in Entwicklungsländern niemanden interessiert. Da geht es schlicht darum, die Menschen zu ernähren.