Braunschweig. Bei der Sendung „Logo“ diskutieren Experten aus Medizin, Praxisarbeit und Sozialpsychologie über digitale Medien in der Schule.

Unsere Leserin Anja Nikitaidis aus Salzgitter fragt:

Ist es sinnvoll, Tablets bereits für Grundschüler anzuschaffen?

Die Antwort recherchierte Michael Schnatz

„Ab etwa acht Jahren können Kinder Fiktion und Realität unterscheiden. “
„Ab etwa acht Jahren können Kinder Fiktion und Realität unterscheiden. “ © Bert te Wildt, Leiter der Medienambulanz der Universitätsklinik Bochum

Smartphones, Tablets – oder allgemeiner – digitale Endgeräte sind für die meisten Menschen im Alltag unverzichtbar. Der moderne Mensch ist ständig erreichbar, ständig auf dem neusten Stand, vernetzt mit der ganzen Welt. Das macht auch vor den Jüngsten nicht Halt. Nach dem Wunsch einiger Pädagogen sollen Schüler frühzeitig den Umgang mit digitalen Medien und Endgeräten lernen. Andere Experten warnen davor und sehen die Grundfertigkeiten der Schüler in Gefahr – zumindest, wenn zu früh damit begonnen wird. Für das „Wann“ interessiert sich auch unsere Leserin.

Bei der Sendung „Logo – Wissenschaft aus Braunschweig“, die NDR Info gemeinsam mit unserer Zeitung und dem Haus der Wissenschaft veranstaltet, diskutierten am Mittwochabend Experten über das Thema. Mit dabei: Mediziner Bert te Wildt, Sozialpsychologin Catarina Katzer, Jürgen Schuppe, medienpädagogischer Berater des Landes Niedersachsen und Moderatorin Verena Gonsch.

Tablets oder Smartphones für Grundschüler? „Ja, selbstverständlich“, meint Pädagoge Schuppe. Die altbekannte schulische Infrastruktur – mit meist einem Computer-Raum – müsse erweitert werden. Aber er relativiert auch: „Die Fähigkeiten der Schüler dürfen dadurch nicht verdeckt werden.“ Daher müsse man die Kinder langsam an die Geräte heranführen. Und diese nach Maß einsetzen – in bestimmten Situationen, für wenige Minuten.

Nach Maß und langsam – da stimmt auch Mediziner te Wildt zu. Aber bitte nicht zu früh. Kinder müssten vorerst die Grundfertigkeiten Rechnen, Lesen und Schreiben beherrschen – im Kopf und mit der Hand. „Das muss geschehen, bevor die sehr viel einfacheren, schnelleren und lauteren Tablets zu früh zu vieles zu einfach machen“, sagt te Wildt.

Darüber, ab welchem Alter der Einsatz digitaler Endgeräte sinnvoll ist, lässt sich streiten. Ein guter Zeitpunkt, um vorsichtig anzufangen, könnte das dritte Schuljahr sein, glaubt te Wildt. „Ab etwa acht Jahren können Kinder Fiktion und Realität unterscheiden“, erklärt der Experte. „Früher würde ich das nicht machen.“

Das könne man nicht sagen, wirft Sozialpsychologin Katzer ein. „Die meisten Kinder kennen die digitalen Medien bereits im Kindergarten und können problemlos ein Tablet bedienen.“ Wichtiger sei hierbei die richtige Balance. Also Grundfähigkeiten und das „Neue“ gleichzeitig zu vermitteln – ohne Letzteres zu verteufeln und nicht zu nutzen. „Wir dürfen googeln, aber wir sollten nicht nur googeln“, sagt Katzer. Nur so könne das Gehirn und das Langzeitgedächtnis trainiert werden.

Überzeugt ist te Wildt dennoch nicht. „Wir müssen uns fragen, was der Mehrwert ist“, sagt er. Es gäbe bereits Kindertagesstätten, die Tablets einsetzen – wenn die Kinder teilweise noch nicht richtig sprechen und laufen können. „Ich frage mich, ob es hier nicht um andere Aufgaben gehen sollte – entwicklungspsychologische und körperliche Aufgaben“, gibt der Experte zu bedenken. Beispielsweise müsse in diesem Alter vielmehr der Gleichgewichts-, Tast- und Hörsinn trainiert werden. „Ich weiß nicht, was in der Grundschule der Mehrwert sein soll – außer, dass man individualisierter arbeiten kann“, sagt te Wildt.

Sollten sich Smartphones und Tablets in der Grundschule durchsetzen, müsse sich auch die Lehrerausbildung ändern, meint Katzer. „Sie sind sehr optimistisch“, sagt sie an Schuppe gerichtet. Sie kenne keinen Grundschullehrer, der seinen Schülern die Mediennutzung so beibringen könnte, wie es gemacht werden müsste. „Hier fehlt die medienpädagogische Ausbildung“, sagt die Sozialpsychologin.

„Widerspruch“, entfährt es da Jürgen Schuppe. „Ich traue es den Kollegen zu, zu entscheiden, wann diese Geräte eingesetzt werden können.“ So sei der Einsatz bei audiovisuellen Inhalten sinnvoll. Mehr müsse es gar nicht sein. Lehrer müssten auch nicht die Tablet-Benutzung unterrichten. „Wir müssen die Kinder nur vor bestimmten Gefahren schützen. Deswegen müssen die Geräte schon in der Grundschule benutzt werden – aber natürlich sehr genau überlegt“, sagt Schuppe.

Dabei stellt sich eine Frage, die unsere Leserin Manuela Irtel von Brenndorff vor der Sendung an unsere Redaktion richtete: „Wie ist sichergestellt, dass die Schüler sich nur auf den Seiten bewegen, auf denen gerade Unterricht stattfindet?“

„Indem die Lehrer ihnen ein klares Ziel vorgeben“, antwortet Schuppe auf die in der Sendung vorgetragene Frage. Das heißt: In einer bestimmten Zeit müsse eine Aufgabe gelöst werden. Am Ende sehe man, ob der Schüler das erledigt hat. Und wenn sich dabei ein Schüler anderweitig beschäftigt? Dann sei er so klug, dass er in der restlichen Zeit die Aufgabe erledigen konnte, meint Schuppe. Hier müsse man sich von dem „Kontrollwahn“ lösen und den Schülern vertrauen.

Ein Wunschkonzert sei Schule aber dennoch nicht. „Natürlich kann nicht jeder machen, was er will“, sagt der Pädagoge. „Unser Ziel ist es, die Schüler intrinsisch zu motivieren – also von innen heraus“. Den Schülern sollte ein Ziel gesetzt werden. „So kommen wir zu eigenverantwortlichem Lernen“. Und dazu brauche man bestimmte Medien und Mittel. Das solle künftig in die Kultur des Lernens Einzug erhalten.