Wolfsburg. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh fordert die Einstellung neuer IT-Experten und eine bessere Kommunikation.

Bernd Osterloh ist in Zeiten des Abgas-Skandals nicht nur oberster Arbeitnehmervertreter im VW-Konzern, sondern auch vielgefragter Krisenmanager. Mit Armin Maus, Andreas Schweiger, Christoph Knoop und Kerstin Loehr sprach Osterloh über Herausforderungen und Perspektiven beim Autobauer.

Herr Osterloh, nach Informationen unserer Zeitung ist die niedersächsische Landesregierung unzufrieden mit der Informationspolitik des VW-Managements. Bahnt sich ein weiterer Konflikt an?

Ich kann mir schon vorstellen, dass es nicht gut ankommt, wenn die Landesregierung aus der Zeitung erfährt, dass Arbeitsplätze bei Volkswagen gefährdet sind. Es geht doch darum, was wir als Betriebsrat auch fordern: Man muss miteinander sprechen. Das ist ganz wichtig. Und mit dem Markenvorstand um Herrn Dr. Diess funktioniert das nicht so richtig. Belegschaft wie Betriebsrat stehen auch in dieser schwierigen Zeit hinter Volkswagen. Aber wir müssen einen gemeinsamen Weg aus der Krise suchen – so wie wir es mit VW-Chef Matthias Müller auf der Konzernebene tun.

Sind denn 3000 Arbeitsplätze gefährdet?

Es gab im Markenvorstand Vorstellungen, die Sachgemeinkosten, aber auch die Personalkosten in den nächsten zwei Jahren um 10 Prozent zu senken. Wir als Betriebsrat sind der Meinung, dass es nicht um einen pauschalen Abbau von Arbeitsplätzen gehen darf. Wir müssen den Wandel der Arbeit gestalten.

Was bedeutet das?

Wir müssen genau analysieren, wo wir in den nächsten Jahren durch neue Technologien Personalüberhänge bekommen – und wo wir schon heute wissen, dass wir für Zukunftsaufgaben neues Personal brauchen.

Wo könnte das sein?

Wir benötigen unbedingt IT-Experten. Es ist eine zentrale Aufgabe, dass wir das ganze Thema Digitalisierung offensiv angehen und gestalten. Wir müssen uns zu einem Mobilitätsdienstleister entwickeln. Ich bin zutiefst überzeugt: Wenn wir diese Herausforderung nicht angehen, dann stellt sich die Frage, ob es dieses Unternehmen in 30 Jahren noch so gibt. Deshalb benötigen wir neue Köpfe – und wir müssen Kolleginnen und Kollegen schon jetzt die Möglichkeit zur Weiterqualifizierung bieten.

Müssten dafür an anderer Stelle Mitarbeiter gehen?

Ich sprach schon von einem Wandel. Sie können aber sicher sein, dass wir einem Abbau von Arbeitsplätzen nur zustimmen, wenn nachgewiesen wird, dass die Stelle tatsächlich nicht mehr erforderlich ist. Außerdem darf es nicht zu einer weiteren Arbeitsverdichtung kommen. Es würde auch niemand über Nacht seinen Arbeitsplatz verlieren. Der Abbau würde über die natürliche Fluktuation und zum Beispiel über Altersteilzeit vollzogen.

Betroffen wäre aber nur der indirekte Bereich, also die Arbeitsplätze, die nicht direkt in die Produktion eingebunden sind?

Das ist so. Aber noch einmal: Wir haben eine Betriebsvereinbarung, die Volkswagen-Weg heißt. Die sieht vor, dass zunächst analysiert und nachgewiesen werden muss, dass Tätigkeiten auch tatsächlich entfallen, bevor ein Arbeitsplatz nicht wiederbesetzt wird. Zudem wollen wir in Elektromobilität, in die Digitalisierung und damit verbundene neue Mobilitätsgeschäftsfelder investieren.

Wie sieht diese neue digitale Welt aus?

Wenn Sie in einigen Jahren mit Ihrem Volkswagen, auf dem noch Sommerreifen aufgezogen sind, unterwegs sind und es beginnt zu schneien, dann wird das Ihr Auto erkennen und Ihnen auf dem Display anzeigen, wo die nächste VW-Werkstatt ist und was dort die Winterreifen kosten. Um bei dieser Entwicklung ganz vorne dabei zu sein, brauchen wir sofort mindestens 250 Software-Entwickler. Eher 1000.

Ist Wolfsburg attraktiv genug, um diese Spezialisten anzulocken?

Wolfsburg ist attraktiv. Das bestätigen sogar unsere jungen Data-Scientisten aus unserem Lab in München. Aber sie müssen auch nicht alle hierherkommen. Wer in einer Metropole wie Berlin bleiben möchte, soll dies tun können. Wichtig ist, dass wir junge Experten gewinnen, die für uns die notwendigen Programme schreiben.

Hat Volkswagen in der aktuellen Situation überhaupt das Geld, um in neue Geschäftsfelder zu investieren? Zudem heißt es, die Marke VW verdient kein Geld mehr.

Es stimmt nicht, dass die Marke kein Geld mehr verdient. Unsicherheit besteht aber aufgrund drohender Strafen und Klagen in den USA. Deshalb sind wir als Betriebsrat uns auch mit unserem Finanzvorstand Frank Witter einig, dass wir mehr denn je auf jeden Euro achten müssen.

Wo lässt sich sparen?

Das ist ein Thema, mit dem sich der Betriebsrat fortlaufend beschäftigt. Die jüngsten Vorschläge aus der Belegschaft, die wir in einem Effizienzordner zusammengefasst haben, werden nachhaltig Einsparungen von zwei Milliarden Euro bringen. Ich sehe aber noch mehr Potenzial. Der Betriebsrat ist eben sehr wohl dafür, dass Volkswagen immer effizienter wird. Denn sonst wissen wir genau, dass unsere Arbeitsplätze irgendwann bedroht sind. Wir wollen eigentlich nur, dass die Balance von Wirtschaftlichkeit und Beschäftigung auch weiterhin Grundsatz von Volkswagen bleibt – nicht nur im Konzern, sondern auch in der Marke.

Der VW-Markenvorstand hat einen 12-Punkte-Plan zur Entwicklung der Marke Volkswagen vorgestellt. Unterstützen Sie diesen Plan?

Grundsätzlich unterstützen wir viele der im 12-Punkte-Plan enthaltenen Punkte. Viele davon haben wir schon lange gefordert und sie sind Bestandteil des Belegschaftsordners. Aber der 12-Punkte-Plan ist eben nur ein Sofortprogramm für die nächsten sechs bis zwölf Monate. Was wir brauchen ist eine langfristige Strategie. Wir müssen ganz genau wissen, wo wir mit der Marke Volkswagen hinwollen. Sonst kann sich weder das Management noch die Belegschaft an irgendetwas ausrichten.

Wann wird sich VW in den USA mit den Behörden einigen?

Über die Gespräche haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart. Deshalb kann ich Ihnen dazu nicht viel sagen. Ich persönlich verstehe die Verärgerung der US-Behörden. Und ich sehe es als positiven Schritt, dass sie trotzdem konstruktiv mit unseren Leuten sprechen. Aber ich schaue natürlich trotzdem mit Sorge auf den weiteren Vorgang, weil die finanziellen Belastungen im Worst-Case auch Auswirkungen auf Arbeitsplätze haben können.

Könnte dann der Verkauf einzelner Konzernmarken Thema werden?

Das halte ich für Blödsinn.

Wünschen Sie sich, dass sich die deutsche Politik stärker für Volkswagen einsetzt?

Ich war gerade diese Woche bei der SPD-Bundestagsfraktion und habe mit Abgeordneten diskutiert. Diesel-Gate wollen sie genau wie wir aufgeklärt haben, und wir sind uns alle einig, dass ein solcher Vorgang nicht toleriert werden darf. Trotzdem ist da auch ein großer Rückhalt – gerade für die Beschäftigten von Volkswagen. Wir hatten – auch mit CDU-Vertretern – gute Gespräche über die Zukunft der Mobilität. Und da spielt Volkswagen gerade in Europa und Deutschland eine Schlüsselrolle.

Bleiben wir in den USA. Dort entwickelt der Internet-Konzern Google ein selbstfahrendes Auto. Wie ernst nehmen Sie diesen Wettbewerb mit Google?

Sehr ernst, weil die Digitalisierung die gesamte Automobilbranche komplett umkrempelt. Wir müssen den Fokus darauf richten, dass wir die Technik selbst entwickeln, dass wir zum Mobilitätsdienstleister werden. Dafür müssen wir neue Dienstleistungen samt Apps entwickeln. Wir brauchen ein Komplettangebot, ein Vollsortiment, das die Kunden überzeugt. Sonst wird es so kommen, dass Google irgendwann ein Mobilitäts-Betriebssystem anbietet und der Kunde sich für dieses Betriebssystem die Hardware – also das Auto – aussuchen kann. So wie das heute bei Smartphones schon der Fall ist, es sei denn, man macht es wie Apple. Wir oder andere Autobauer würden dann nur noch Karosserie und Antrieb liefern. Wenn wir jetzt nicht aufpassen und handeln, stellt sich die Frage, wo und was Volkswagen in 30 Jahren ist. Deshalb sind die Initiativen von Matthias Müller auf der Konzernebene genau richtig.

Angeblich wechselt die Entwicklung der Brennstoffzelle von VW zu Audi. Ist das ein Vertrauensentzug?

So weit sind wir doch noch gar nicht. Viel zu viele Fragen zur Brennstoffzelle sind noch nicht beantwortet. Ich bin aber überzeugt, dass es eine Arbeitsteilung geben wird. Grundsätzlich geht es uns als Betriebsrat um die nachhaltige Auslastung der Standorte. Deshalb haben wir zum Beispiel dafür gesorgt, dass die Batteriesysteme für unsere Elektro-Modelle in Braunschweig gefertigt werden. Es geht darum, wie wir den Wandel der Werke gestalten und dass sie sich gegenseitig ergänzen.

Müsste der Staat die Elektro-Mobilität stärker fördern, zum Beispiel mit einer Kaufprämie?

Ohne Unterstützung des Staates werden wir in Deutschland nicht großartig vorankommen. Dafür sind die Elektro-Modelle in den Herstellkosten derzeit einfach noch zu teuer. Dort, wo es Förderung gibt, verkaufen wir diese Autos sehr gut. Wenn wir alle miteinander wollen, dass Deutschland auch ein E-Mobilitäts-Markt wird, dann brauchen wir intelligente Kaufanreize für Privat- und Firmenkunden. Wir müssen aber auch über den Ausbau der Infrastruktur sprechen.

Und über die Fertigung der Batteriezellen. Experten warnen vor einer großen Abhängigkeit vor allem von asiatischen Herstellern. Wann kommt die eigene Batteriefabrik?

Dass wir sie fordern, ist kein Geheimnis. Allerdings kostet solch eine Fabrik zwei Milliarden Euro. Trotzdem sind wir davon überzeugt, dass wir sie brauchen werden. Denn heute gibt es die Kapazität, die wir künftig brauchen werden, am Markt gar nicht.