Braunschweig. Der Chefredakteur der Sächsischen Zeitung, Uwe Vetterick, zeichnet ein differenziertes Bild des Landes.

In Dresden wurde Pegida gegründet, in Heidenau randalierte ein rechtsextremer Mob. In Clausnitz blockierten selbst ernannte Wutbürger die Ankunft eines Busses mit Flüchtlingen, in Bautzen brannte ein Haus, in das Asylbewerber ziehen sollten – und Bürger applaudierten. Was haben diese Städte gemeinsam? Sie liegen alle in Sachsen. Was macht die Situation in diesem Bundesland so besonders? Darüber sprach Dirk Breyvogel mit dem Chefredakteur der Sächsischen Zeitung, Uwe Vetterick.

Herr Vetterick, seit mehr als einem Jahr läuft die islamfeindliche Pegida-Bewegung montags durch Dresden. Wie hat sich das Leben in der Stadt seitdem verändert?

Pegida emotionalisiert jeden in der Stadt. Daran haben auch die seit Monaten stagnierenden Teilnehmerzahlen nichts geändert. Gegenwärtig ziehen am Montagabend bis zu 5000 Menschen durch die Straßen der Innenstadt. Darunter sehr viele, die nicht aus Dresden kommen. Es hat sich so etwas wie ein negativer Erlebnistourismus entwickelt.

Wie hat sich das Zeitungsmachen verändert? Ich gehe davon aus, dass der Montag weiter ein besonderer Tag mit besonderen Herausforderungen für Ihre Redaktion ist.

Das ist er. In vielerlei Hinsicht. Waren wir bislang Berichterstatter, die über Konflikte geschrieben haben, so sind wir jetzt selbst Konfliktpartei. Wir gehören für Pegida zu jenem System, das es zu bekämpfen gilt. Das Feindbild Medien hat für Pegida eine wichtige, einende Funktion. Nicht umsonst ziehen sie immer wieder an unseren Redaktionen vorbei.

Was passiert dann?

20 Minuten lang gibt es Lügenpresse-Sprechchöre oder wahlweise „Schämt Euch, schämt Euch.“ Wir schämen uns natürlich nicht – und Pegida zieht dann weiter. Oft Richtung Landtag. Dort gibt es dann die obligatorischen „Volksverräter“-Rufe. So viele Sprüche haben die ja nicht.

Hat sich der Leser entfremdet?

Seit es Pegida gibt, haben wir zu diesem Thema etwa 2000 Mails bekommen, nicht alle, aber sehr viele in einer traurigen Tonalität. Das ist das eine. Das andere ist: Wir haben durch Pegida keinen signifikanten Auflageneinbruch erlebt, wie die aggressive Rückmeldung aus Teilen des Publikums vielleicht nahelegt. Im Gegenteil: Die Dienstagsausgabe, also die nach den Demos, ist am Kiosk überraschend gefragt. Und am Montagabend selbst wurde unser Onlineportal mit der Liveberichterstattung von Pegida phasenweise so stark besucht wie sonst nur bei elementaren Naturkatastrophen wie der großen Elbflut. Also, man kann Haltung bewahren, ohne Leser zu verlieren, ohne Geschäft zu verlieren.

Journalisten werden auch Opfer von Angriffen. Was machen Sie als Chefredakteur, um Ihre Kollegen zu schützen?

Verbale Attacken gab es von Anfang an. Dazu gehört beispielsweise das Nennen von Namen missliebiger Journalisten auf den Kundgebungen. In den vergangenen Monaten kamen am Rande von Antiasyl-Demos auch immer wieder kleinere Tätlichkeiten hinzu.

Müssen Sie Personenschützer abstellen?

Nein. Ich denke, dass diese Übergriffe nicht geplant erfolgen, sondern aus einer spontanen Aggressivität heraus. Wobei die hetzerischen Reden auf diesen Demos sicher das ihre dazutun. Wir haben uns deshalb entschieden, wenn möglich solche Demos mit mehreren Kollegen zu besetzen, um etwaige Übergriffe später wenigstens klar bezeugen zu können. Prinzipiell gilt zudem: Niemand muss raus zu Pegida. Viele unserer Reporter sind aber mit einer großen Leidenschaft für ihren Beruf gesegnet. Die wollen raus, recherchieren, schreiben.

Auch die Vorfälle von Heidenau oder Clausnitz haben nicht dazu beigetragen, dass über Sachsen positiv gesprochen wird. Hat das Land ein Imageproblem?

Natürlich. Man muss aber wissen, Imageprobleme sind für viele Sachsen nichts Neues. Sachsen hatten es noch nie leicht in Deutschland. Das fängt schon bei so etwas Banalem wie der Mundart an.

Da gibt es aber noch andere Regionen, die aufgrund ihres Dialekts mit Vorurteilen zu kämpfen haben.

Klar. In Sachsen kommt jedoch noch etwas anderes hinzu. Wer wie ich zugezogen ist, dem fällt hier schnell auf: Die Sachsen sind sehr selbstbezogen. Das ist erstmal eine große Stärke. Man macht sein Ding, erfindungsreich und tüchtig, egal was der Rest in Deutschland denkt. So sind die Sachsen mit ihrem besonderen Schulsystem dauerhaft Pisatest-Sieger, oder haben mit ihrer Leuchtturm-Politik die dynamischsten Städte im Osten aufgebaut: Dresden und Leipzig.

Das klingt doch sehr positiv.

Ist es auch. Nur führt diese Selbstbezogenheit leider auch dazu, Tatsachen auszublenden, die alle anderen sehen, nur man selbst nicht. Der Rechtsradikalismus in Sachsen ist so eine Tatsache.

Resultieren daraus die Probleme, die es offensichtlich in Sachsen mit fremdenfeindlichen Bewegungen gibt?

In Teilen ja. Wobei man auch hier differenzieren muss. Sachsen ist nicht gleich Sachsen.

Können Sie vielleicht ein Beispiel nennen?

Nehmen wir Leipzig und Dresden. In Leipzig hat der Pegida-Ableger Legida nie Tritt gefasst. Dort gab es sofort Widerstand. Die Leute sind auf die Straße. Ihre Botschaft war: Wir lassen uns unser Leipzig nicht von Rechtspopulisten wegnehmen. Leipzig ist seit Jahrhunderten Messe- und Handelsstadt, dort gibt es ein hohes bürgerschaftliches Engagement. Anders als in Dresden. Seit Jahrhunderten Residenzstadt; hier ist eine Mentalität gewachsen, nach der der Hof die Dinge regelt. Doch Pegida ist kein Fall für den Staat. Pegida ist ein Fall für das vielbeschriebene Dresdner Bildungsbürgertum. Nur das schafft es leider einfach nicht heraus aus seinen alten, schönen Häusern am Elbhang hinunter auf die Straßen der Stadt, um zu zeigen, welcher Geist Dresden wirklich ausmacht.

Gibt es noch etwas, was die Sachsen so besonders macht?

ZUR PERSON

Uwe Vetterick, geb. 1967, begann seine Karriere beim Greifswalder Tageblatt.

Von 1993 an bei der „Bild“-Zeitung in Berlin tätig, u.a. stellvertretender Chefredakteur. 2006 wechselte er zum Tagesanzeiger nach Zürich.

Seit Februar 2007 Chefredakteur der Sächsischen Zeitung.

2015 gewann Vetterick die Wahl zum Chefredakteur des Jahres (regional).