Braunschweig. Die Daten ändern sich fast täglich. Oberbürgermeister und Landräte aus der Region fordern: Der Zuzug muss begrenzt werden.

Unser Leser Sigbert Goebel aus Helmstedt merkt an: Die Hilfsbereitschaft in Deutschland war überwältigend groß und für jedermann sichtbar. Nun kippt dieStimmung...

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

Warm, satt, trocken. Das galt in den vergangenen Monaten für die Unterbringung der Flüchtlinge zuerst. Die Kommunen in der Region hatten alle Hände voll zu tun, für Unterkünfte zu sorgen. Immer wieder kamen Busse mit neuen Flüchtlingen an. Das Land bat die Landkreise und Städte um Amtshilfe, um die überfüllten Erstaufnahme-Einrichtungen wie in Braunschweig-Kralenriede zu entlasten.

Trotz der Dynamik in der Flüchtlingsbewegung ist es nun an der Zeit, einmal genau hinzuschauen. Unsere Zeitung hat eine Bestandsaufnahme erstellt. Wie viele Flüchtlinge lebten im Januar zwischen Harz und Heide? Wer ist zu uns gekommen? Der Kreis Goslar und die Stadt Braunschweig hatten die meisten Flüchtlinge, die Kreise Osterode und Helmstedt die wenigsten. Der Anteil der Frauen betrug weniger als ein Drittel, ebenso der Anteil der Kinder und Jugendlichen.

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Auffällig ist, dass die Staaten, aus denen die Flüchtlinge kommen, sehr zahlreich sind. Zwar zählen Staaten wie Syrien, Irak und Sudan – wie schon vermutet – zu den wichtigsten Herkunftsländern. Die neun häufigsten Nationalitäten decken aber gerade mal die Hälfte der Gesamtzahl von 17 507 Flüchtlingen ab.

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Die Oberbürgermeister und die Landräte aus unserer Region tragen die politische und organisatorische Hauptlast, wenn es um die Bewältigung des Flüchtlingsstroms geht. Ein von unserer Zeitung erhobenes Stimmungsbild unter den Verwaltungs-Chefs ergibt: Viele fordern eine wirksame Zuzugsbegrenzung für weitere Asylbewerber. Die Kommunen stehen hart an der Belastungsgrenze, so der einhellige Tenor.

Wolfenbüttels Landrätin Christiana Steinbrügge (SPD) fordert: „Wir benötigen eine deutliche Reduzierung der Zugangszahlen, wenn wir unserer humanitären Verantwortung weiter gerecht werden, die Menschen gut aufnehmen und eine Überforderung vermeiden wollen.“ Vom Bund und der EU fordert die Landrätin beschleunigte Verfahren, Rückführungen und die Verbesserung der Situation in den Flüchtlingslagern in Syrien und der Türkei. Auch im Landkreis gebe es große Herausforderungen. „Wir benötigen dringend weiteren Wohnraum.“ Steinbrügge berichtet von 40 Sprach- und Integrationskursen im Kreis. Das sei auch ein finanzieller Kraftakt.

Von einem „Krisenmodus“ in der Verwaltung spricht Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth (SPD). Wie viele Flüchtlinge in den kommenden Monaten überhaupt zu uns kommen werden, sei nicht absehbar. Er befürchtet, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung zu schwinden drohe, wenn die Bundesregierung das Problem der fehlenden Registrierung nicht löst. „Wenn die Menschen den Eindruck gewinnen, der Staat habe die Lage nicht mehr im Griff, entsteht eine gefährliche Situation“, sagt Markurth. Es müsse eine Kontingentierung der Flüchtlinge in Europa geben. „Auch über eine Residenzpflicht muss diskutiert werden.“

Osterodes Erster Kreisrat Gero Geißlreiter (CDU) beziffert den Grad der Belastung bei den Mitarbeitern in den Kommunen und den ehrenamtlichen Helfern auf „nahezu 100 Prozent“. Er schätzt, dass die Kapazitäten an leerstehenden Wohnungen im Lauf des Jahres nahezu ausgeschöpft seien. Auch Geißlreiter fordert eine Zuzugsbegrenzung. „Weiterhin müsste eine konsequente Rückführung abgelehnter Asylbewerber auch umgesetzt werden.“

Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs (SPD) bezeichnet die Flüchtlingsfrage als „größte Herausforderung“, der sich die Stadt stellen müsse. Das sagt er trotz der VW-Krise. Dabei gelte es, „Zuwanderern unsere Sprache und unsere Werte zu vermitteln und ihnen so die Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen“. Worte wie Überforderung nimmt der Oberbürgermeister dabei nicht in den Mund. Gleichwohl fordert er eine bessere Steuerung der Flüchtlinge. „Hier muss Europa helfen und Deutschland unterstützen“, sagt Mohrs.

Helmstedts Erster Kreisrat Hans Werner Schlichting (SPD) überträgt die schwierigen Bedingungen für die Unterkünfte auch auf die Betreuung der Flüchtlinge: „Der Markt an Sozialarbeitern und Sozialpädagogen ist nahezu leergefegt.“ Unmissverständlich sagt Schlichting für den Landkreis Helmstedt: „Weitere Zuweisungen sind schlicht nicht mehr verkraftbar.“ Landkreis, Gemeinden und Wohlfahrtsverbände versuchten vor Ort mit eigenen Strukturen das Mögliche weitgehend zu realisieren. „Dies wäre ohne das hervorragende Engagement der Ehrenamtlichen nicht denkbar.“

Goslars Landrat Thomas Brych (SPD) ist stolz darauf, dass der Landkreis trotz der hohen Flüchtlingszahlen noch keine Sammelunterkunft einrichten musste. Die Unterbringung erfolgt dezentral. Anfang Februar errichtete der Landkreis ein sogenanntes Integrationszentrum. „Gleichzeitig kommen natürlich auch Gegenstimmen, Ängste und Nöte der Bevölkerung bei mir an und diese nehme ich auch sehr ernst“, sagt Brych. Daher kommt er zu dem Schluss: „Meiner Einschätzung nach sind die aktuellen Zahlen der Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl suchen, auf Dauer nicht mehr zu bewältigen.“ Es gelte dringend, die Situation in den Flüchtlings-Herkunftsländern zu verbessern.

Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) fordert schon seit Monaten, dass es eine europäische Lösung mit klaren Kontingenten geben müsse. Klingebiel, der Präsident des Niedersächsischen Städtetags ist, sagt: „Es ist klar, dass ein weiterhin unbegrenzter Zustrom von Flüchtlingen nicht zu bewältigen sein wird.“ Er fordert: „Die Krisenregionen müssen endlich befriedet werden.“ Die Integration der Flüchtlinge, die dauerhaft in Deutschland bleiben, beschreibt Klingebiel als größte gesellschaftspolitische Herausforderung seit der Wiedervereinigung. Parallelgesellschaften müssten vermieden werden. Das bedeute: „Investitionen in Sprachförderung, Krippe, Kindertagesstätten, Schulen und Ausbildung.“

Peines Landrat Franz Einhaus (SPD) erklärt: „Unsere staatliche Pflicht, Flüchtlinge unter menschenwürdigen Bedingungen aufzunehmen, gerät dann an ihre Grenzen, wenn die Kommunen über keinen eigenen Wohnungsbestand mehr verfügen.“ Deshalb sei die Absicht der Bundesregierung richtig, über den sozialen Wohnungsbau Unterkünfte für Flüchtlinge bereitzustellen. Einhaus befürwortet es, dass auch Menschen von Maßnahmen in Deutschland profitieren sollten, die später wieder in ihre Heimat zurückkehren. „Dort könnten sie mit den erworbenen Kenntnissen einen wichtigen Beitrag zum Aufbau leisten.“ Aber auch Peines Landrat sagt glasklar: „Die Integration der Flüchtlinge kann nur gelingen, wenn deutlich weniger Personen als bisher in Deutschland aufgenommen werden.“

Gifhorns Erste Kreisrätin Evelin Wißmann erklärt, dass die Unterbringung der Flüchtlinge den Kreis zunehmend vor große Probleme stelle. Dabei müsse der Kreis bis Ende März noch etwa 1900 weitere Flüchtlinge unterbringen. „Bei uns war und ist die dezentrale Unterbringung das Mittel der Wahl“, sagt Wißmann. Dies habe sich für alle Beteiligten als sehr sozialverträglich und spannungsfrei erwiesen. Da der Wohnungsmarkt aber weitgehend erschöpft sei, müsse auch der Landkreis nun auf eine leerstehende Schule zurückgreifen. Auch die Belegung von Turnhallen könne nicht mehr ausgeschlossen werden. Wißmanns Kritik richtet sich vor allem an die BAMF-Behörde: „Die unendlich langsame Bearbeitung der Asylanträge führt nicht nur zu Frust bei den Asylbewerbern, sondern es wird auch wertvolle Zeit vertan, in der schon eine konzentrierte berufliche Integration begonnen werden könnte.“ Derweil rette sich der Kreis mit dem einen oder anderen Sprachkursus über die Runden, sagt Wißmann. Sie begrüßt die Asylpakete des Bundes, auch wenn dies im Einzelfall für Härten bei den betroffenen Familien sorgen wird.

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