Braunschweig. Container, Betten und Kleidung: Flüchtlinge müssen versorgt werden. Kommunen aus der Region verschweigen, was sie zahlen müssen.

Unser Leser Helmut Hornburg sagt auf unseren Facebookseiten:

Es gibt immer Leute, die skrupellos genug sind, um aus der Not anderer Kapital zu schlagen! Traurig, aber wahr.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

Lächelnde Kinder stehen an der Essensausgabe in der auf Hochglanz polierten Kantine. Drei wahrscheinlich schwarzafrikanische Jugendliche posieren mit vier Europäern. Alles ist gut, alles ist schön. Zumindest auf den Internetseiten der Betreiber von Flüchtlingsunterkünften ist dies so. Mit der Realität stimmt das nicht immer überein. Oft sitzen Flüchtlinge den Großteil des Tages gelangweilt herum, statt in einem Sprachkurs Deutsch zu pauken.

Etwa eine Million Menschen sind im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen, um Schutz zu suchen. Einige Tausend Flüchtlinge befinden sich nun auch in unserer Region. Längst ist die Betreuung von Asylbewerbern und der Betrieb von Unterkünften zu einer lukrativen Einnahmequelle geworden.

Privatfirmen werden besonders beobachtet. Human-Care aus Bremen etwa betreibt Unterkünfte in Wolfsburg. European Homecare ist Marktführer in Deutschland. Das Unternehmen aus Essen mit seinen 1000 Mitarbeitern betreibt 100 Einrichtungen mit etwa 20 000 Flüchtlingen. Darunter sind Standorte in Gifhorn und Meinersen.

Über öffentliche Ausschreibungen für Flüchtlingsunterkünfte informiert das Onlineportal TED der EU. Und eine Analyse der Aufträge zeigt: Wer das billigste Angebot abgibt, erhält zumeist den Zuschlag. Bei den Behörden muss es dieser Tage rasch zugehen. Manchmal gibt es gar keine öffentliche Ausschreibung mehr. Da werden auch mal schnell einzelne Anbieter abtelefoniert.

Erstaufnahme, Sammelunterkünfte, kommunale Unterkünfte: Laura Müller vom Flüchtlingsrat Niedersachsen hat die Erfahrung gemacht, dass alles sehr intransparent abläuft. „Gerade die Kommunen lassen sich sehr ungern in die Karten schauen.“

Sie handeln unter Zeitdruck, das Steuergeld will dennoch möglichst sinnvoll eingesetzt werden. Wer will schon zugeben, über den Tisch gezogen worden zu sein.

Die Spannbreite bei den Kosten für den Betrieb einer Flüchtlings-Unterkunft ist groß. Bei European Homecare liegt sie bei 11 bis 20 Euro pro Asylbewerber und Tag. Das sagt Klaus Kocks, der Sprecher von European Homecare. „Wie viel die jeweilige Kommune zahlt, hängt davon ab, wie verhandelt wird.“ Also vom Zeitdruck und vom Verhandlungs-Geschick der Kommune.

Ob es sich um Skrupellosigkeit handelt, wie unser Leser behauptet, sei dahingestellt. „Da wollen Leute Geld mit den Flüchtlingen machen“, sagt Müller vom Flüchtlingsrat jedoch. Von einem Geschäft mit der Not will PR-Profi Kocks, einst VW-Kommunikationschef und Mitglied des Vorstands Volkswagen, nichts wissen. Nach Misshandlungsfällen durch einen privaten Wachdienst in Nordrhein-Westfalen hat European Homecare Kocks für das sensible Thema engagiert.

Die Städte Braunschweig und Wolfsburg wollen Details zu Kosten und Betreibern nicht nennen. In Braunschweig laufen die Verhandlungen noch, nachdem klar wurde, dass die Stadt neben der Erstaufnahme-Einrichtung des Landes im Stadtteil Kralenriede weitere Flüchtlinge aufnehmen muss. Mit Blick auf Wolfsburg sei jedoch verraten, dass Human-Care seit 2015 mehr als 300 000 Euro jährlich für die Betreuung einer einzelnen Containeranlage von Asylbewerbern kassiert. Eingegangen war lediglich ein weiteres Angebot.

Aktuelle Zahlen darüber, wie viel der Branchenführer European Homecare verdient, gibt es nicht. Bereits von 2012 auf 2013 machte der Gewinn des Unternehmens einen Sprung von 600 000 Euro auf mehr als 1,4 Millionen Euro. Das hört sich nicht gerade nach Unsummen an. Damals lagen die Flüchtlingszahlen aber bei einem Minimum von heute.

Kocks sagt selbstbewusst, dass European Homecare der „Aldi unter den Anbietern“ sei. „Bei uns geht es nicht um das kleine vermietete Zimmer“, sagt Kocks. European Homecare macht den Gewinn über die Masse. Während Kommunen für zehn Container und zwölf Hochbetten derzeit viel Geld zahlen müssen, drückt der Marktführer mit seiner Marktmacht den Preis. Aktuell sei der „Beschaffungsmarkt“ wie leergefegt. Damit meint er die dringend benötigten Container („In ganz Europa finden Sie keinen mehr.“) Das gelte aber vor allem für das Betreuungspersonal. „Von zehn Anfragen der Kommunen lehnen wir neun ab, weil wir sie derzeit gar nicht bearbeiten können“, sagt Kocks.

European Homecare und die anderen bieten für die Flüchtlinge Vollpension, Unterbringung, ärztliche Versorgung und den Sicherheitsdienst. Für Müller vom Flüchtlingsrat reicht „sauber, warm und satt“ aber nicht aus. Sie bemängelt die wenigen Sprachkurse in solchen Einrichtungen, die wenigen Versuche zur Integration der Flüchtlinge und die zum Teil mangelhaften Sprachkenntnisse der Mitarbeiter. Kocks selbst spricht von einem „industriellen Verfahren“ – und wählt erneut den Vergleich zu Aldi.

Auch für Makler und private Vermieter bietet die Flüchtlingskrise ungeahnte Möglichkeiten, Immobilien zu möglichst überteuerten Preisen an Kommunen zu vergeben.

Auch Hoteliers sind auf die Idee gekommen, mit der Unterbringung von Flüchtlingen Geld zu verdienen. Die Kommunen zahlen zwar nicht mehr als ein Hotelgast, dafür aber regelmäßig. Ein Beispiel ist das Ramada-Hotel in Goslar. Hier sind etwa

200 Flüchtlinge untergebracht.

Auch Zelthersteller und Anbieter von Kantinenkost verdienen derzeit kräftig. Der Kantinenkost-Hersteller Apetito hat sogar extra neue Rezepte ins Programm genommen, weil nicht jeder Flüchtling die typisch deutschen Gerichte verträgt. Es geht natürlich auch um das Fleisch. Die Betreiber achten darauf, dass die Gerichte kein Schweinefleisch enthalten. Die Flüchtlingsunterkünfte bescheren auch Dachdeckern, Sanitär-Betrieben oder Maurern zusätzliche Aufträge.