Braunschweig. Das Psychiatriezentrum in Königslutter ist das größte seiner Art in Niedersachsen. Ein Schwerpunkt ist die Trauma-Therapie.

Die Grafik zeigt die Veränderung zwischen Fallzahlen und Verweildauer der Patienten im Psychiatriezentrum Königslutter seit 1990.
Die Grafik zeigt die Veränderung zwischen Fallzahlen und Verweildauer der Patienten im Psychiatriezentrum Königslutter seit 1990.

Seit 150 Jahren werden Menschen mit psychischen Erkrankungen im Braunschweiger Land medizinisch versorgt. Seit 2007 betreibt die Arbeiterwohlfahrt (Awo) das Fachkrankenhaus in Königslutter unweit des Kaiserdoms. Zuvor war die Einrichtung in der Hand des Landes. Mit über 740 Betten und etwa 7500 Patienten im Jahr ist sie das größte seiner Art in Niedersachsen. Armin Maus und Dirk Breyvogel sprachen mit dem Geschäftsführer Thomas Zauritz und dem Ärztlichen Direktor Dr. Mohammad-Zoalfikar Hasan über die Herausforderungen im Angesicht steigender Patientenzahlen.

Wenn ein Mensch unmittelbar mit einem schrecklichen Ereignis konfrontiert wurde. Eines, das ihn nicht mehr loslässt. Was kann er tun?

Thomas Zauritz: Das Team von Dr. Hasan betreibt in Zusammenarbeit mit dem Land Niedersachsen ein Pilotprojekt für traumatisierte Menschen. Das sogenannte Trauma-Netzwerk. Da geht es darum, Menschen über die gesetzlichen Möglichkeiten hinaus zu helfen. Das System ist sehr unbürokratisch und orientiert sich an den vorhandenen Ressourcen, die auf dem Feld der Trauma-Therapie bereits bestehen. Wir bieten Stützpunkte in verschiedenen Einrichtungen, in denen Beratung und Soforthilfe für Opfer von schweren Gewalttaten möglich sind. (Anmerkung d. Redaktion: Kontakte siehe Faktenkasten)

Was heißt in dem Zusammenhang schnelle Hilfe?

Dr. Mohammad-Zoalfikar Hasan: Es ist eine Hotline eingerichtet. Wenn also jemand Zeuge beispielsweise eines Banküberfalls oder Opfer einer Gewalttat wird und Hilfe braucht, können die Ersthelfer vor Ort uns kontaktieren. Innerhalb von spätestens 48 Stunden gibt es den Kontakt mit einem Fachmann. Wir organisieren das. Vielen Menschen helfen diese ersten Gespräche, denn nicht jeder traumatisierte Mensch bekommt auch eine posttraumatische Belastungsstörung. Das ist also eine präventive Maßnahme, um zu erkennen, ob der Mensch gefährdet ist, dauerhaft psychisch zu erkranken. Nur man muss es immer wieder kommunizieren, damit die Menschen wissen, an wen sie sich wenden müssen.

Das Gefühl, dass die Versorgung mit niedergelassenen Therapeuten in der Region besser sein könnte, besteht. Man hört von Wartezeiten von einem Jahr. Gerade bei psychischen Erkrankungen muss doch die Hilfe schnell erfolgen. Welche Erfahrungen machen Sie?

Dr. Hasan: Das Trauma-Netzwerk soll hier Abhilfe schaffen. Oft sind die Opfer wochenlangen Befragungen durch die Polizei oder anderen Behörden zum Tathergang ausgesetzt. Ein rechtskräftiges Urteil kann sich noch länger hinziehen. Deshalb muss mit der Verarbeitung eines möglichen Traumas schon früher begonnen werden. Die Menschen dürfen nicht ins Leere laufen. Ihnen muss schnell geholfen werden. Das ist man den Opfern schuldig.

Was erwartet Menschen, wenn sie ihre Einrichtung aufsuchen?

Zauritz: Wir haben sechs Fachkliniken. Die Klinik für Forensische Psychiatrie ist hier auch angesiedelt, unterliegt aufgrund einer besonderen Rechtslage der Vollzugsverantwortung des Niedersächsischen Sozialministeriums. Unsere Größe bedeutet zugleich einen hohen Grad an Spezialisierung, auch innerhalb der einzelnen Kliniken. Das kommt den Patienten zugute. Zudem betreiben wir Tageskliniken in Gifhorn, Peine, Wolfsburg, Wolfenbüttel und eine Tageklinik für Kinder und Jugendliche in Braunschweig. Wir haben zwar unseren Hauptsitz in Königslutter, sind aber für die ganze Region zuständig.

Was unterscheidet die Tagesklinik von der stationären Aufnahme?

Zauritz: Die Behandlungsarten sind vergleichbar. Der große Unterschied ist, dass die Patienten so stabil sind, dass sie nicht über Nacht bleiben müssen. Sie werden also nicht gänzlich aus ihrem Umfeld herausgezogen. In der Regel ist es so, dass das Menschen sind, die erst hier behandelt wurden und dann in die Tageskliniken entlassen werden. Das trägt dazu bei, dass es weniger stationäre Behandlungstage gibt. Ein Punkt, der auch den Krankenkassen gefällt, weil eine teilstationäre Behandlung günstiger ist. Wir installieren übrigens an allen Tageskliniken in der Region auch Institutsambulanzen. Die arbeiten wie Arztpraxen – allerdings für Schwererkrankte, die von den niedergelassenen Ärzten nicht behandelt werden können.

Dr. Hasan: Davon abgesehen macht das auch aus ärztlicher Sicht Sinn. Die soziale Integration wird in diesen Einrichtungen gefördert, die Belastungsfähigkeit trainiert, Freundschaften und familiäre Kontakte können besser gepflegt werden. Die Tageskliniken führen zu kürzeren Verweildauern auf den Stationen. Früher war die Gefahr größer, dass ein Patient über Monate in der Psychiatrie geblieben ist. Das ist heute nicht mehr so.

In vielen Teilen der Welt herrscht Krieg. Oft wird das Beispiel des gut ausgebildeten Arztes aus Syrien genannt, um zu verdeutlichen, dass auch dieser den immer massiver werdenden Fachkräftemangel in Deutschland kompensieren kann. Stellt sich das Thema auch für Sie?

Zauritz: Die Ärzteknappheit geht an uns nicht vorbei, wobei wir noch relativ gut aufgestellt sind.

Wie ist das Prozedere in Deutschland?

Dr. Hasan: Die Ärztekammer erteilt eine befristete Berufserlaubnis und entscheidet später über die Approbation. Es muss eine Prüfung abgelegt werden. In Niedersachsen ist das Verfahren strenger als in südlichen Bundesländern wie in Bayern oder Thüringen.

Worauf achten Sie bei der Weiterbildung ausländischer Ärzte?

Dr. Hasan: Besonders wichtig ist, dass die Menschen die deutsche Sprache beherrschen. Patienten beschweren sich in der Regel nicht über fachliche Mängel, sondern nur darüber, dass man den Arzt nicht versteht. Daher legen wir bei der Sprachausbildung und in der klinischen Weiterbildung eine Messlatte an, die höher liegt als die, die in den Prüfungen gefordert wird.

Die Finanzierung der Krankenhäuser ist auch in unserer Region mitunter hochproblematisch. Kämpft ein Fachkrankenhaus mit den gleichen Problemen wie die klassischen „Allround“-Krankenhäuser in den Kreisen und Kommunen?

Zauritz: Auch wir müssen uns auf dem Markt behaupten und schwarze Zahlen schreiben. Noch haben wir eine Finanzierungsbasis, die fair und in Ordnung ist. Das ändert sich aber gerade. Zum 1. Januar 2017 wollen die Kassen das neue Vergütungssystem für Krankenhäuser „PEPP“ auch für die Psychiatrien einführen.

Erklären Sie bitte, welches Problem aus ihrer Sicht auf das Krankenhaus zukommt.

Zauritz: Das neue System mutet wie ein Bürokratiemonster an. Ich habe nichts gegen Transparenz, aber es wird schwer, die von den Krankenkassen geforderten Datenmengen zu bearbeiten. Wir haben ausgerechnet, dass wir dafür umgerechnet 45 Mitarbeiter abstellen müssten, die wir lieber für die Pflege einsetzen würden. Meine Meinung dazu ist: Die Erhebung der Datenflut hilft keinem Menschen. Ich verstehe die Kassen. Auch sie müssen auf ihre Kosten achten. Dabei hat sich bei uns schon die Verweildauer und damit die Kosten massiv reduziert. Wir haben uns aber darauf eingestellt, dass dieser Systemwechsel kommen wird. Uns fehlt aber schlicht die Einsicht, dass das irgendeinen Sinn macht.

Welche Auswirkungen könnte das neue System für Patienten haben?

Dr. Hasan: Aus medizinischer Sicht ist das ein Irrsinn. Sollen wir psychisch kranke Menschen nach dem Ablauf der berechneten Verweildauer nach Hause schicken, obwohl es aus medizinischer Sicht fragwürdig ist? Das Problem ist doch, dass man von der Diagnose die Länge der Behandlung nicht ableiten kann. Wenn sich der gewünschte Zustand bei dem einen schneller einstellt, muss das bei dem anderen Patienten nicht so sein. Diese individuelle Behandlungsmöglichkeit berücksichtigt das neue System weniger.

Spektakuläre Fälle, wie der herbeigeführte Absturz der Germanwings-Maschine durch einen psychisch kranken Co-Piloten, sensibilisieren die Öffentlichkeit. Hilft Ihnen das in Ihrer täglichen Arbeit?

DAS AWO-PSYCHIATRIEZENTRUM IN KÖNIGSLUTTER – DATEN UND FAKTEN

Das Fachkrankenhaus hat 740 Betten und mehr als 1000 Mitarbeiter, die im Jahr ca. 7500 Patienten betreuen. Insgesamt gibt es sechs Fachkliniken, dazu zählen: die Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie, die Klinik für

Abhängigkeitserkrankungen, die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, die

Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, die Klinik für Gerontopsychiatrie und die

Forensische Psychiatrie.

Tageskliniken für Erwachsene gibt es in Gifhorn, Peine, Wolfenbüttel und Wolfsburg; für Kinder und Jugendliche: in Braunschweig und Wolfsburg/Gifhorn

Institutsambulanzen in BS,

Gifhorn, Königslutter, Peine, Wolfenbüttel und Wolfsburg.

Soforthilfe und Beratung erhält man unter der Telefonnummer 05353/ 90-2000. Zudem gibt es Opferhilfebüros in weiteren Städten.

Informationen über Stützpunkte in der Nähe findet man unter: www.opferhilfe.niedersachsen.de