Braunschweig. Klimaforscher Latif ist sicher: Die Wetterextreme nehmen zu, auch mehr Starkniederschläge wird es geben. Schuld ist der Mensch.

Die Zahlen belegen: Seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1880 hat sich die Durchschnittstemperatur bis 2014 im Mittel um etwa 1,5 Grad erhöht.
Die Zahlen belegen: Seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1880 hat sich die Durchschnittstemperatur bis 2014 im Mittel um etwa 1,5 Grad erhöht.

Professor Mojib Latif warnt seit langem vor den Risiken eines menschengemachten Klimawandels. Er erforscht die Einflüsse auf das Klimasystem und sagt voraus, dass die Temperatur in Deutschland weiter steigen wird. Das hat Folgen: Hitzewellen, Dürren, aber auch Starkniederschläge nähmen zu. Der Anstieg des Meeresspiegels bedrohe immer mehr Länder. Das sei kein Alarmismus, sondern in 20, 30 Jahren bereits Realität.

„Die Anfänge erleben wir jetzt, in 20, 30 Jahren werden wir mehr wissen.“
„Die Anfänge erleben wir jetzt, in 20, 30 Jahren werden wir mehr wissen.“ © Mojib Latif, Klimaforscher vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Am Freitag ist Latif, einer der profiliertesten deutschen Klimaforscher, Hauptredner beim Energietag in unserer Region. Er findet statt von 12 bis 15 Uhr in der Gebläsehalle in Ilsede, Kreis Peine. Es gibt noch freie Plätze. Interessierte können sich unter Telefon 0531/1218-166 informieren. Mit Latif sprach Andre Dolle.

In einigen Gegenden in Deutschland ist im Sommer so wenig Regen gefallen wie seit 50 Jahren nicht mehr. Woher kommt diese Dürre?

Als einzelnes Ereignis ist das eine Laune der Natur. In Süddeutschland herrschten über viele Wochen extrem heiße Temperaturen. Im Norden war es eher normal. Man muss zwischen Wetter und Klima unterscheiden. Langfristig sehen wir eindeutige Trends bei der Temperatur. Seit 1880 hat die Durchschnittstemperatur im Jahresmittel um 1,5 Grad zugenommen.

Wie sicher ist es, dass es sich hier tatsächlich um einen Teil des Klimawandels handelt?

Zu über 90 Prozent Wahrscheinlichkeit geht der globale Temperaturanstieg während der letzten Jahrzehnte hauptsächlich auf den Menschen zurück. Ursache ist der durch uns verursachte Anstieg der Treibhausgase in der Luft. Bei den Wetterextremen ist das unsicherer. Die Modelle sagen für die Zukunft mehr Hitzewellen, Dürren und Starkniederschläge vorher, sollte der Gehalt an Treibhausgasen weiter steigen. Die Anfänge erleben wir jetzt, in 20, 30 Jahren werden wir mehr wissen.

Man darf demnach also nicht die Dürre im Süden zur Grundlage machen und sagen: Seht her, das ist der Klimawandel!

Denken Sie an den auf die Sechs gezinkten Würfel. Man kann nicht eine Sechs herauspicken und diese auf das Zinken zurückführen. Und so ist es auch mit einer Dürre.

Worauf müssen wir uns in den kommenden Jahrzehnten einstellen?

Vor allem im Osten wird es mehr Trockenheit geben, Starkniederschläge zum Beispiel aber können ganz Deutschland treffen.

Ab welchem Punkt wird der Klimawandel zum Problem für die Landwirtschaft?

Das beste Beispiel ist der Weinanbau. Inzwischen werden Qualitätsweine in Gegenden in Deutschland angebaut, in denen das früher undenkbar war.

Das ist ja nicht unbedingt schlecht.

Wenn es um Dürren und Starkniederschläge geht, wird das für Landwirte aber zu einem Problem. Spätestens ab 2030, 2040 wird man das deutlich merken.

In welchen Bereichen wird sich der Klimawandel noch bemerkbar machen?

Für den Braunschweiger Raum unmerklich, steigt der Meeresspiegel stetig an. An der Nordsee sind das 20 Zentimeter seit 1900. Globale Parameter zeigen: Es ist sonnenklar, dass sich das Klima wandelt. Je detaillierter man die Regionen in den Blick nimmt, wird es durch natürliche Wetterschwankungen aber immer schwieriger, den Klimawandel schon jetzt nachzuweisen.

Unser Leser Uwe Dahms aus Salzgitter will wissen: Haben sich die Herren Klimaforscher, die ständig ein Angstszenario aufbauen und der Politik Argumente für höhere Belastungen der Bürger bieten, schon einmal mit amerikanischen Forschungsberichten über die Sonneneruptionen beschäftigt, durch die schon seit langem Klimaveränderungen hervorgerufen werden?

Die Solarstrahlung hatte zwischen 1950 und 1960 ein Maximum erreicht, seitdem geht sie zurück. Die größte Erwärmung hatten wir allerdings in den vergangenen Jahrzehnten, als die Sonne schwächer geworden ist.

Leser Bernd Mundlos aus Braunschweig fragt: Hand auf’s Herz, Herr Latif, jeder Forscher muss Mittel für seine Forschungen einwerben. Das ist verständlich und richtig. Aber ist es nicht auch so, dass man besonders laut „trommeln“ muss, um gehört zu werden?

Ich bin Beamter, mein Geld kommt sowieso. Das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel ist ein riesiger Forschungs-Apparat. Auch hier gibt es einen festen Etat. Jedes Zentrum wird nach harten wissenschaftlichen Kriterien evaluiert. Zu unterstellen, ich treffe alarmistische Vorhersagen, die auf eine größtmögliche Öffentlichkeit abzielen, um Drittmittel einzuwerben, zieht nicht.

In unserer Region kümmert sich der Zweckverband Großraum Braunschweig um den Ausbau von Wind- und Solarenergie. Der Verband hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 den Bedarf an Energie in der Region zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken. Ist das der richtige Ansatz?

Auf jeden Fall. Wir sind umgeben von sauberer Energie und nutzen sie nicht genug. Dieses Ziel ist aber gar nicht so außergewöhnlich. Die Bundesregierung hat die Vorgabe gemacht, deutschlandweit den Strom bis 2050 zu 80% aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Es gibt aber immer Regionen, die Vorbild sein müssen. Das ist auch international so. Deutschland ist ein Vorreiter mit enormer Sogwirkung. Das wird oft belächelt, dabei haben Ingenieure aus Deutschland erneuerbare Energien erst bezahlbar gemacht. Wer hätte vor ein paar Jahren schon gedacht, dass Frankreich eine Energiewende ausruft?

In unserer Region gibt es hartnäckige Windkraftgegner, weil in unmittelbarer Nachbarschaft Windräder mit 200 Metern Höhe entstehen sollen. Was sagen Sie denen?

Ich verstehe deren Zorn. Es ist wichtig, dass man von Anfang an die Bürger mitnimmt. Gegen sie kann und soll man nichts machen. Die Bürger müssen sich mit solchen Vorhaben identifizieren.

In den 15 Jahren bis 2013 verlief der Temperaturanstieg nur halb so schnell wie der langfristige Klimatrend von 0,16 Grad pro Jahrzehnt. Ist vielleicht doch alles nicht so schlimm?

Das sind natürliche Schwankungen. Übrigens mein Steckenpferd. Wenn man sich aber viele Jahrzehnte anschaut, kann man die Erderwärmung nicht abstreiten.

Noch mal naiv gefragt: Was ist so schlimm am wärmeren Klima?

Das Problem sind nicht die Temperaturen selbst, sondern die Extreme. Wenn die Temperaturen um zwei Grad ansteigen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen mit Temperaturen von bis zu 40 Grad und einer außergewöhnlichen Trockenheit. Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht viele Länder.

Lässt sich der Trend noch stoppen?

Ganz nicht, das System ist träge. Das ist wie bei einem Auto: Wenn Sie die Höchstgeschwindigkeit erreicht haben, ist der Bremsweg lang. Selbst wenn wir heute keine Treibhausgase mehr ausstoßen würden, würde die Klimaerwärmung noch Jahrzehnte andauern.

STUDIE: HITZEWELLEN FORDERN MEHR TOTE

Hohe Temperaturen, Hitzewellen und starke Temperaturschwankungen innerhalb kurzer Zeit gefährden zunehmend die Gesundheit der Deutschen. Das geht aus einer Studie des Deutschen Wetterdienstes (DWD) im Auftrag des Umweltbundesamtes hervor.

Die Sterblichkeit aufgrund von Herzkrankheiten während der Hitzewellen stieg demnach in den Jahren 2000 bis 2010 um bis zu 15 Prozent. Der DWD erwartet bei fortschreitendem Klimawandel noch mehr, längere und intensivere Hitzewellen in Deutschland. Das könnte zu einer Vervielfachung der hitzebedingten Sterblichkeit aufgrund von Herzkrankheiten führen, schreibt der DWD. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung, viel Bewegung, wenig Alkohol und der Verzicht auf das Rauchen können im Vorfeld von Hitzewellen helfen, das eigene Gesundheitsrisiko zu mindern.

Der vergangene Sommer war laut DWD ein Sommer der Extreme. Es war der drittwärmste Sommer seit 1880, brachte in vielen Landesteilen sonniges Badewetter mit sengender Hitze, aber auch außergewöhnliche Trockenheit. ad