Braunschweig. Ein Regionalverband soll sich um Institutionen wie Eulenspiegel und die Kaiserpfalz kümmern – und nicht bei der Kultur stehen bleiben.

Gerhard Glogowski kennt unsere Region zwischen Harz und Heide wie kaum ein Zweiter. Er war Oberbürgermeister in Braunschweig, Präsident von Eintracht Braunschweig und ist Vorsitzender einer der größten Stiftungen in der Region: der Braunschweigischen Stiftung. Als Landesinnenminister hat er den Zweckverband Großraum Braunschweig (ZGB) auf den Weg gebracht, ebenso die Region Hannover, die er als Vorbild sieht. Mit Glogowski sprachen Armin Maus und Andre Dolle.

Herr Glogowski, die Parteien, die fünf Landkreise und die drei Großstädte in unserer Region diskutieren darüber, ob sie dem Zweckverband Großraum Braunschweig mehr Aufgaben übertragen sollen. Was halten Sie von der Idee?

In Anbetracht der knappen Mehrheit von Rot-Grün im Landtag ist das sicherlich vernünftig. Der beste Weg wäre aber die Abschaffung der Landkreise und die Gründung einer Region mit eigenem Parlament und Präsidenten nach dem Vorbild der Region Hannover. Braunschweig und Wolfsburg würden beim internen Finanzausgleich mehr einzahlen als Städte und Gemeinden wie Helmstedt oder Schöningen. Diese hätten mehr Geld als vorher.

Für eine große Region gibt es bisher allerdings keine Mehrheit.

Das stimmt, das ist aber unvernünftig. Die Landkreise sind bis auf Gifhorn zu klein. Sie brauchen heute Einheiten von mindestens 150 000 Einwohnern, damit der Bund und das Land Niedersachsen diesen entsprechende Aufgaben zuweisen können.

Wie meinen Sie das?

Für die Bürger sind nicht die Landkreise, sondern die Städte und Gemeinden die entscheidenden Ansprechpartner. Die auf die Landkreise übertragenen Aufgaben müssen hingegen einfach gelöst werden. Das geschieht aber nicht, weil die Landkreise zu schwach sind. Es bedarf also in jedem Falle einer Kreisreform, nicht nur in unserer Region, sondern in ganz Niedersachsen.

Können Sie an einem Beispiel zeigen, was eine große Region für Vorteile hätte?

Nehmen wir beispielsweise die vielen kulturellen Highlights zwischen Harz und Heide. Diese können nur außerhalb unserer Region wahrgenommen werden, wenn sie regional und zusammengefasst vermarktet werden. Denken Sie an das Beispiel Till Eulenspiegel, eine zentrale historische Figur unserer Region, die weit über Deutschland hinaus bis heute bekannt ist. Wir haben zwar ein Eulenspiegel-Museum in Schöppenstedt, das haben aber selbst viele Verantwortliche aus unserer Region noch nie von innen gesehen. Dabei könnte es in der Vermarktung eine große Rolle spielen.

Könnte denn der Zweckverband kulturelle Highlights und den Tourismus als ein Regionalverband bündeln? Das wird ja diskutiert.

Das können Touristikverbände, das kann der Zweckverband aber besser. Denn eine Kreisreform wird, wenn der Landtag eine Enquetekommission einsetzt, auf Jahre hinaus nicht stattfinden. Somit wird es auch keine große Region geben.

Der Zweckverband wäre daher das passende Instrument. Wir haben zwei Millionen Besucher pro Jahr in der Autostadt. Wenn von denen zehn Prozent zwei Tage länger bleiben würden, hätten wir 400 000 Übernachtungen mehr. Die bleiben aber nur länger, wenn ihnen unsere regionalen kulturellen Highlights zentral vermittelt werden. Gemessen an dem, was man bei uns sehen kann, wird unsere Region in der Republik vollkommen unterbelichtet wahrgenommen.

Was könnte der ZGB oder ein Regionalverband, wie er künftig heißen soll, noch übernehmen?

Er muss die Kommunen auf jeden Fall bei den Anträgen für EU-Fördermittel beraten. Da blicken nur noch Experten durch, das können die Landkreise nicht leisten.

Um dieses und andere Aufgaben zu erfüllen, müsste der ZGB personell aufstocken. Bisher arbeiten in der Verwaltung keine 40 Menschen. Die Kreise wollen aber schon jetzt keine höhere Umlage an den ZGB zahlen.

Die Frage ist, ob die Landkreise einen Mehrwert aus der höheren Umlage erzielen können. Den würden sie erzielen. Die Landkreise stellen aber unsinnigerweise nur die Kostenfrage in den Vordergrund. Wenn ich hoch spezialisierte Fachkräfte einstelle, die die EU-Administration kennen, steigen die Chancen, dass die Anträge erfolgreich sind. Die Beschäftigten würden so ein Mehrfaches ihres Gehalts wieder einspielen. Hinzu kommt: Es gibt Projekte, die über die Landkreisgrenzen hinausgehen. Hier fehlt es an Koordination.

Dafür ist doch aber auch der Landesbeauftragte für unsere Region, Matthias Wunderling-Weilbier, da.

Wunderling-Weilbier hat dafür leider nicht die zureichende Kompetenz. Gäbe es aber einen Regionalverband, dem man die Kompetenzen zuordnet, könnte dieser die notwendige Durchschlagskraft entwickeln.

Wie sieht es mit der Planung von Gewerbeflächen, auch über Stadt- und Kreisgrenzen hinweg, aus? Bietet sich auch hier der ZGB an?

Ja. Der Wunsch von Wolfsburg, Eingemeindungen durchzusetzen, ist im Wesentlichen dem Willen geschuldet, aus den eingemeindeten Gebieten und somit einer Vergrößerung der Gewerbegebiete eine höhere Gewerbesteuer zu erzielen. Das Problem in unserer Region ist, dass der Flächenbedarf zum Beispiel von VW an Industrieflächen immer größer wird. Das Wolfsburger Denkmodell stößt daher an Grenzen. Eins können wir uns in der Region aber nicht erlauben: VW die lange Nase zu zeigen. Eine zentrale Instanz wäre deswegen sinnvoll.

Auch bei den Schulen könnte der ZGB die Planung übernehmen.

So ist es, insbesondere bei den Berufsschulen. Hier haben wir teure Doppelstrukturen. Bei der Planung aus einer Hand könnten die Berufsschulen Qualifikationsmöglichkeiten entsprechend den Bedarfen besser anbieten.

Die Probleme liegen doch schon seit Jahren auf der Hand. Warum passierte dennoch nichts?

Als der Zweckverband in den 90er Jahren gegründet wurde, war ich Landesinnenminister. Es war ein Fehler, dass wir dem ZGB nicht schon von Anfang an mehr Aufgaben übertragen haben. Die Städte und Kreise waren zwar erst mit dem ZGB in der Lage, eine gemeinsame Verkehrspolitik und Regionalplanung zu schaffen. Heute wissen wir aber, dass das nicht ausreicht.

Es ist verwunderlich, dass mancher Landkreis und die Stadt Salzgitter eine Stärkung des ZGB skeptisch sehen. Bis auf Braunschweig und Wolfsburg sowie mit Abstrichen Gifhorn würden doch alle anderen von einer Umlage profitieren.

Ich habe seit 40 Jahren so manches Denkmuster in dieser Region nicht verstanden.

Nun sind die Oberbürgermeister von Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter, Markurth, Mohrs und Klingebiel, angetreten, um vom Land mehr Geld für den öffentlichen Nahverkehr herauszuholen. Glauben Sie, dass aus dieser Initiative etwas wird?

Ja. Die Verkehrsprobleme der VW-Mitarbeiter sind seit langem bekannt. Deswegen ist es vernünftig, zusammen mit VW mehr Mittel einzufordern. Der ZGB als Aufgabenträger des Nahverkehrs hätte dann die Mittel, die Verkehrsprobleme zu lösen. Denn es ist heute schon ein Imageproblem für VW, dass die Arbeitnehmer nicht problemlos in die Werke kommen.

Kommen wir zur Braunschweigischen Stiftung, deren Vorstandsvorsitzender Sie sind. Warum hat sich die Stiftung Nord LB/Öffentliche, eine der größten der Region, umbenannt?

Bisher war die Stiftung stark vom Land abhängig. Wir wollten mehr Eigenständigkeit, das haben wir geschafft. Uns kann keiner mehr reinreden. Um das deutlich zu machen, und weil wir uns so fühlen, haben wir den Namen in Braunschweigische Stiftung geändert.

Was macht die Stiftung aus?

Im Kuratorium, dem Beirat und dem Vorstand sitzen Persönlichkeiten aus der Region. Die Stiftung wird auf Dauer eine stark prägende Kraft im Braunschweigischen sein. Vom TU-Präsidenten Hesselbach über den IHK-Präsidenten Schmid, Gewerkschaftern über Landrätinnen, Oberbürgermeistern und Vertretern der Kirchen sind aktuelle und ehemalige treibende Kräfte aus der Region Teil der Stiftung. Damit haben wir eine große Akzeptanz und eine große Möglichkeit, Dinge mit zu gestalten.

Das ist ja das perfekte Spielfeld für den Braunschweigischen Klüngel. Ich bitte das jetzt nicht falsch zu verstehen.

Das nehme ich so nicht hin (lacht). Bisher hat keine Region in Niedersachsen solch eine Stiftung. Wir wollen gestalten, wir sehen uns als Braunschweigische Institution.

Was wollen Sie bewegen?

Wir wollen Initiativen stützen und unterstützen. Nehmen Sie die Schöninger Speere und das Paläon-Museum: Das haben wir mit auf den Weg gebracht. In der Kunst, der Kultur, im Sport und der Wissenschaft sowie der Braunschweigischen Landesgeschichte wollen wir Initiativen fördern.

Da müsste doch ein Museum am Grenzübergang Helmstedt–Marienborn Ihr Herz erwärmen. Das soll angeblich Millionen kosten.

GERHARD GLOGOWSKI

In Bonn wuchs er auf. Sein Vater war Chauffeur der SPD-Politiker Herbert Wehner und Erich Ollenhauer. Er besuchte die Volksschule, machte eine Lehre als Werkzeugmacher, ging zur Abendschule und studierte Volkswirtschaftslehre.

Bezirkschef des SPD-Bezirks Braunschweig war Glogowski, Landtagsabgeordneter und von 1990 bis 1998 Innenminister in Niedersachsen. Von Oktober 1998 bis Dezember 1999 war er Ministerpräsident. Weil ihm vorgeworfen wurde, sich materielle Vorteile verschafft zu haben, trat er zurück.