Paris. Frankreichs Sicherheitsbehörden haben die Gebrüder Kouachi offenbar unterschätzt. Jetzt sind ihnen 88.000 Einsatzkräfte auf der Spur.

Bei den beiden mutmaßlichen Haupttätern des Terroranschlags in Paris handelt es sich um zwei Franzosen algerischer Abstammung. Die Brüder Chérif (32) und Said Kouachi (34) wurden in Paris geboren, verloren ihre Eltern früh und wuchsen in Kinderheimen auf.

Der Pariser Innenminister Bernard Cazeneuve hat zugegeben, dass beide Männer für die Behörden keine Unbekannten sind und zumindest der jüngere, Chérif, unter Beobachtung stand. Seit er im Jahr 2008 wegen der Mitgliedschaft in einem islamistischen Netzwerk zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, davon 18 Monate auf Bewährung, hatten ihn die Dienste im Auge behalten. Hinweise darauf, dass Chérif Kouachi einen Gewaltakt vorbereiten könnte, gab es dem Minister zufolge jedoch nicht.

Der früher nicht praktizierende Muslim änderte seine Haltung erst ab dem Jahr 2003, nach dem Beginn der zweiten amerikanischen Intervention im Irak. Der damalige Pizzakurier schloss sich einer Gruppe radikalisierter Jugendlicher in Paris an, die Kämpfer für die Terrororganisation Al-Qaida anwerben und in den Irak schicken wollte. Im Januar 2003 wurden die Brüder verhaftet, bevor sie einen gebuchten Flug nach Syrien antreten konnten, von wo aus sie in den Irak gelangen wollten.

Allein im Falle von Chérif freilich reichten die Beweise aus, um ihn 2008 zu verurteilen. Sein Verteidiger Vincent Ollivier erinnert sich an einen jungen Mann, der erleichtert darüber schien, dass ihm seine Festnahme eine Karriere als Gotteskrieger erspart hatte. Zeugen zufolge soll der damals 23-Jährige bestenfalls ein „Gelegenheitsmuslim“ gewesen sein, der Alkohol trank, Haschisch rauchte, mit Mädchen ausging und dem die Aussicht, in den Irak zu ziehen, eine „Heidenangst“ gemacht haben soll.

Glaubt man dem Anwalt, hat sich Chérif Kouachi erst im Gefängnis, und zwar während seiner langen Untersuchungshaft, wirklich radikalisiert. Hinter Gittern, im Kontakt mit „echten“ Islamisten und im Kraftraum wurde aus dem vormals eher schmächtigen Bürschchen ein „ganz anderer Mann“. Als solcher trat er dann auch vor Gericht auf, wo er erklärte, sich wegen der Folterbilder im irakischen Gefängnis Abu Ghraib einer islamistischen Gruppe angeschlossen zu haben.

Da Chérif Kouachi 21 Monate in U-Haft saß, kam er gleich nach der Urteilsverkündung auf freien Fuß. Der Kontakt zu seinem Verteidiger riss beinahe sofort ab. Er soll ein Diplom als Fitnesstrainer gemacht haben, leitete später den Fischstand eines Supermarktes. 2010 geriet Chérif Kouachi erneut in das Visier der Ermittler. Er stand unter dem letztlich unbewiesenen Verdacht, sich an einem Versuch beteiligen zu wollen, den verurteilten Terroristen Smain Aït Ali Belkacem aus dem Gefängnis zu befreien.

Belkacem hatte 1995 einen Terroranschlag in der Pariser Metro verübt, bei dem acht Menschen getötet und 200 weitere verletzt wurden. Er gehörte der algerischen Terrororganisation „Groupe Islamique Armé“ (GIA) an und sitzt in Frankreich eine lebenslange Haftstrafe ab.

Der ältere Bruder Said Kouachi hingegen ist, obwohl mehrfach überprüft, in den Augen der Behörden nie auffällig geworden. Wobei Experten sich überrascht zeigen, wie sehr sich der Kenntnisstand über die Persönlichkeit der Brüder von ihrem brutalen Auftreten beim Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ unterscheidet: Wie gut trainierte Killer mit militärischer Ausbildung hätten sie sich verhalten.