Braunschweig. Die Kirchen in der Region werden dieses Jahr so viele Mitglieder verlieren wie lange nicht mehr. Grund ist eine Änderung im Steuerrecht.

Unser Leser Arnulf Baumann aus Königslutter am Elm fragt:

Ich hielte es für falsch, aus finanziellen Gründen aus der Kirche auszutreten. Was aber bedeutet die neue Form der Ertragsbesteuerung?

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Bisher ist es eine Frage der Ehrlichkeit. Wer in Deutschland kirchensteuerpflichtig ist und Kapitalerträge hat, kann dies bis einschließlich der Steuererklärung für das Jahr 2014 angeben – oder er oder sie tut es eben nicht.

Banken haben hingegen seit 2009 die 25-prozentige Abgeltungssteuer gleich ans Finanzamt abgeführt. Sie betrifft Singles, die mehr als 801 Euro aus Kursgewinnen von Aktien oder Zinserträgen erhalten. Für Paare beträgt die Summe 1602 Euro und mehr. Für Kirchen hat die Sache einen Haken: Banken haben die gleichfalls anfallenden Kirchensteuern auf Kapitalerträge nur mit abgezogen, wenn die Kunden dem zugestimmt haben. Anders als bei staatlichen Steuern ist die Hinterziehung von Kirchensteuern nicht strafbar.

Die Kirchen haben darauf gedrängt, dass die Beträge ebenfalls bei den Banken direkt und automatisch abgeführt werden. Mit Erfolg. Ab Januar 2015 wird das Schlupfloch geschlossen.

Die Banken betreiben eine Menge Aufwand, der ihnen nichts einbringt. Sie müssen die Steuer-Identifikationsnummern der Kunden abgleichen und dem Fiskus melden. Vom Finanzministerium erhalten sie einen Religionsschlüssel, mit dem sie feststellen, zu welcher Landeskirche oder zu welchem Bistum der Kunde gehört. Daraus leitet sich der Kirchensteuersatz ab.

Das klingt nicht nur kompliziert, das ist es auch. Die Banken haben ihre Kunden im Regelfall per Brief über die Änderung des Steuerrechts informiert. Die Schreiben waren aber nicht gerade leicht verständlich, allemal für diejenigen, die sich zum ersten Mal mit der Kirchensteuer und Kapitalerträgen befasst haben. Die Braunschweigische Landessparkasse etwa hat 80.000 Kunden per Brief informiert, wie Sprecher Lutz Tantow sagt. Die Landessparkasse hat sich in dem Schreiben an den Wortlaut einer Empfehlung des Deutschen Sparkassenverlages gehalten. In dem Brief heißt es unter anderem umständlich: „Für Angehörige einer steuererhebenden Religionsgemeinschaft teilt uns das BZSt das ,Kirchensteuerabzugsmerkmal‘ (KiStAM) mit. Das KiStAM gibt Auskunft über Ihre Zugehörigkeit zu einer steuererhebenden Religionsgemeinschaft und den gültigen Kirchensteuersatz.“ Es ist nicht verwunderlich, dass Kunden weiteren Informationsbedarf hatten. Kirchenvertreter behaupten, manche Banken hätten den Eindruck erweckt, hier würde eine neue Steuer erhoben. Der Finanzchef der Evangelischen Kirche im Rheinland, Bernd Baucks, wurde in einigen Zeitungen sogar mit dem Satz zitiert, Bankberater hätten in Einzelfällen ihren Kunden zum Kirchenaustritt geraten. So weit gehen Kirchenvertreter aus unserer Region nicht.

Tantow von der Braunschweigischen Landessparkasse sagt: „Wir haben auf Basis gesetzlicher Vorgaben Kunden lediglich über ihr Widerspruchsrecht informiert.“

Die Austrittswelle lässt sich so schnell nicht stoppen. Besonders betroffen ist die Landeskirche in Braunschweig. Der Vorjahreswert von rund 3000 Kirchenaustritten wurde 2014 fast schon im ersten Halbjahr erreicht. Landesbischof Christoph Meyns sagt: „Wir respektieren natürlich die persönliche Entscheidung zum Kirchenaustritt. Ich weiß, dass sich damit häufig keine grundsätzliche Ablehnung unserer Anliegen verbindet. Menschen müssen aber wissen, dass sie durch ihr Verhalten die kirchliche Arbeit schwieriger machen. Noch bedenklicher finde ich aber, dass ein Austritt erfahrungsgemäß dazu führt, dass christliche Überzeugungen im Verlauf des weiteren Lebens verblassen.“

Stephanie Springer, die Präsidentin des hannoverschen Landeskirchenamtes, räumt in der Diskussion um die Kirchenaustritte wegen der Änderung im Steuerrecht Fehler der Kirchen ein. „Das neue Verfahren hätte viel intensiver in den Gemeinden vor Ort erklärt werden müssen.“

Springer und Bischof Meyns weisen auf die vielen Aufgaben der Kirche hin. Die Landeskirche Hannover deckt aus den Einnahmen der Kirchensteuer 90 Prozent des Etats. Die Landeskirche beschäftigt mit dem Geld 23 000 Mitarbeiter, betont Springer.

Laut Meyns finanziert die Landeskirche Braunschweig mit der Kirchensteuer die Arbeit in den Gemeinden vor Ort und den Erhalt der Kirchen und Gebäude. Zudem werden Religionslehrer fortgebildet, das Geld fließt in die Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge. Nicht zuletzt verwendet die Landeskirche das Geld für Kindertagesstätten, Beratungsstellen, diakonische Einrichtungen, die Hilfe für Kirchen in Osteuropa, Afrika und Asien und die kirchliche Entwicklungsarbeit.

Trotz vermehrter Kirchenaustritter stiegen übrigens die Einnahmen aus der Kirchensteuer in den vergangenen Jahren. Grund ist die verbesserte Lage auf dem Arbeitsmarkt.