Braunschweig. Der Zweckverband Großraum Braunschweig schafft Platz für 19 neue Windparks.

Die Grafik zeigt, wo sich in einigen Jahren Windkraftgebiete befinden könnten.
Die Grafik zeigt, wo sich in einigen Jahren Windkraftgebiete befinden könnten.

Der Wind gehört allen. Werden bei der Auswahl der Flächen auch sozioökonomische Aspekte wie die Möglichkeit der Bürgerbeteiligung an Bürger-Windkraftanlagen berücksichtigt? Das würde auch die Akzeptanz erneuerbarer Energien fördern.

Mit dieser Frage habe sich auch die Verwaltung des Zweckverbands Großraum Braunschweig (ZGB) auseinandergesetzt. Das erklärte gestern der Erste Verbandsrat Jens Palandt, als wir ihn mit der Anregung unseres Lesers Dr. Markus Röver konfrontierten.

„Auf der Regionalplanungsebene, auf der wie hier ja planen, gibt es leider nur sehr begrenzte Möglichkeiten, auf die Auswahl der Betreiber Einfluss zu nehmen“, erklärte Palandt: „Das macht aber eigentlich nichts, denn nahezu alle Investoren, Grundstückseigentümer-Gemeinschaften oder sonstige Beteiligte in unserer Region planen Bürgerwindparks.“

Palandt weist allerdings darauf hin, dass der Begriff „Bürgerwindpark“ nicht eindeutig definiert ist: „Manche verkaufen eine von zehn Anlagen der Bevölkerung, andere machen das zu 100 Prozent. Bei anderen Konzepten, bei denen die Kommune mit dabei ist, sollen ausschließlich die Bürger investieren.“ Bei einem Preis von circa 5 Millionen Euro pro Anlage sei es aber manchmal gar nicht möglich, die Projekte allein mit Hilfe von Bürgern zu finanzieren.

Auch Palandt glaubt, dass die Akzeptanz der Bürger für die Energiewende leichter zu erreichen ist, wenn man sie an dieser beteiligt. Er meint, „dass Bügerwindparks künftig die Regel sind“. Auch die Grundstückseigentümer, deren Flächen nun als geeignet befunden wurden, würden feststellen, dass sie ihre Projekte nicht in Konfrontation mit der Dorfgemeinschaft durchsetzen könnten.

Dass das Interesse für den Windkraftausbau groß ist, zeigte sich auch bei der gestrigen Sitzung des Regionalplanungsausschusses im Foyer der Braunschweiger Volkswagenhalle: Dass rund 120 Menschen eine Ausschusssitzung besuchen, ist eine absolute Seltenheit.

Und anders als noch vor zehn Jahren kommen zu solchen Veranstaltungen nicht in erster Linie empörte Gegner von Windkraftgebieten in ihrer Nachbarschaft, sondern Anhänger der Projekte. Sie stehen als Freunde der Energiewende politisch hinter dem Ausbau der regenerativen Energien – oder aber sie verfolgen wirtschaftliche Ziele, sehen in den Projekten eine attraktive Einnahmequelle.

Hartmut Bartels aus dem Kreis Peine, Gadenstedter Bürger und Lokalpolitiker, war denn auch enttäuscht, als Palandt die aus Sicht der Verwaltung geeigneten Standorte vorgestellt hatte: Das Windkraftgebiet, auf das er und seine Mitstreiter gesetzt hatten, war in der Schlussauswahl zusammengestrichen worden. In diesem Fall war es die Wiesenweihe, ein habichtartiger Greifvogel, der nicht durch riesige Windräder mit einer Narbenhöhe von 150 Metern gefährdet werden sollte.

„Wir sehen diese Entscheidung für den Raum Adenstedt sehr kritisch. Wir haben auf diese Windkraftfläche sehr gehofft, aber sie ist abgeschnitten worden“, sagte Bartels nach der Sitzung.

Andere Besucher der Ausschusssitzung waren mit der Arbeit von Palandt und seinem Team hingegen hochzufrieden. „Die Auswahl war sehr aufwendig und ging sehr ins Detail, das gefällt mir“, sagte Annerose Bekuhrs aus Remlingen, die inzwischen in Hannover wohnt: „Die Naturschutz- und Anwohnerbelange werden jetzt sehr weitgehend berücksichtigt.“

Bei mehr als 70 öffentlichen Veranstaltungen und Bürgerversammlungen hatte Palandt die Planungen vorgestellt und zur Diskussion gestellt. In einem ersten Schritt hatte seine Verwaltung bis zum vergangenen Monat 88 Potenzialflächen ermittelt, die sich nach gesetzlichen Kriterien und selbst gesetzten Maßstäben – wie etwa Abständen zu Siedlungen – grundsätzlich eignen.

Ein Gerichtsurteil hatte es zudem erforderlich gemacht, auch noch die Brutgebiete des bedrohten Rotmilans zu kartieren und für die Windkraftnutzung auszuschließen. In den zurückliegenden Wochen hat der ZGB nun aus diesen Potenzialflächen 19 Erweiterungsflächen und 19 neue „Vorrangstandorte“ ausgesucht.

Dabei wurden nun zum Beispiel auch „weiche Kriterien“ berücksichtigt wie die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes oder es wurde darauf geachtet, dass dicht gelegene Siedlungen nicht in der Hauptwindrichtung zum möglichen Windpark liegen.

Nach seinem Einführungsvortrag ließ es sich Palandt gestern nicht nehmen, alle 88 Potenzialflächen der Reihe nach auf eine Leinwand zu projizieren und kurz zu erläutern, warum diese sich nach seiner Auffassung für die Windenergienutzung eignen oder nicht. Etliche Zuschauer, die die Kartenausschnitte schlecht identifizieren und somit auch nur schwerlich folgen konnten, verließen die Sitzung in dieser Zeit. Nach Informationen unserer Zeitung war Palandt vonseiten der Politik dazu aufgefordert worden.

Doch aus der Debatte wurde sowieso nichts. Besucher dürfen sich in einer Ausschusssitzung nicht äußern, und von den sechs in der Verbandsversammlung vertretenen Parteien kam kein einziger kritischer Ton.

Sabah Enversen (SPD) aus Wolfsburg, Wolfgang Sehrt (CDU) aus Braunschweig und Elke Kentner (Grüne) aus Peine lobten in kurzen Statements die akribische und aufopferungsvolle Arbeit von Palandt und seinem Team. „Es macht keinen Sinn, jetzt einzelne Flächen zu diskutieren“, sagte Enversen, „wir eröffnen ja jetzt die Diskussion.“ Sehrt freute sich darüber, dass nun endlich mal deutlich wird, „was in unserer Region alles schützenswert ist.“

Mit Blick auf die vielen Gebiete, die wegen des Rotmilans aus der Auswahl geschmissen wurden, regte er an, diesen nun zum Wappentier der Region zu machen. Links-Partei, FDP und Piraten bezogen gestern nicht Stellung.

Dennoch ist die Diskussion noch nicht beendet. Elke Kentner appellierte an die Bürger: „Bringen Sie Ihre Argumente ein – ich kann Ihnen versichern, dass diese kritisch geprüft und berücksichtigt werden.“

Wenn die Verbandsversammlung erwartungsgemäß am Donnerstag – wie gestern der Regionalplanungsausschuss – die Pläne billigt, dann werden sie im Herbst öffentlich ausgelegt. Bürger und Verbände können Stellung beziehen. In den Kommunen soll es dann Bürgerversammlungen geben. Auch wenn also gestern kein Transparent zu sehen und kein Zwischenruf zu hören war, die Debatte in den Dörfern geht weiter.