Skaryszew. Vor allem aus Rumänien und Polen werden Schlachttiere nach Italien und Frankreich transportiert – oft unter widrigen Bedingungen.

Unser Leser Peter Hoffmann aus Braunschweig fragt: „Woher tauchen diese 750 Tonnen Pferdefleisch plötzlich auf? Pferde werden doch eigentlich gar nicht zum Schlachten gezüchtet.“

Die 750 Tonnen Pferdfleisch, die aus Rumänien stammen sollen, sind mit Blick auf Europa keine besonders große Menge. Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr nach Angaben des statistischen Bundesamtes rund 11 300 Pferde geschlachtet – die Menge des produzierten Fleisches lag bei rund 3000 Tonnen. EU-weit werden nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes pro Jahr rund 600 000 Pferde geschlachtet.

In Deutschland werden Pferde nicht speziell für die Fleischproduktion gezüchtet, sondern beim Schlachter landen alte und verletzte Tiere, zum Teil auch Pferde, die nicht zur Züchtung geeignet sind. Nach Angaben von Tierschutzorganisationen gibt es aber etwa in Kanada und möglicherweise in Südost-Europa Mastanlagen für Pferde.

Große Exporteure sind Rumänien, Litauen und Polen

Während Pferdefleisch in Deutschland kaum eine Rolle spielt und der Pro-Kopf-Verzehr im Jahr unter 50 Gramm liegt, gilt es etwa in Italien und Frankreich als Delikatesse. „Große Exporteure von Fleisch und Schlachttieren sind Rumänien, Litauen und Polen“, sagt Marius Tünte vom Tierschutzbund.

Er kritisiert die Transportbedingungen: „Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde kam 2011 nach Kontrollen zu dem Schluss, dass jedes dritte Pferd beim Transport Verletzungen erleidet, und dass 40 Prozent der Tiere am Bestimmungsort in einem so schlechten Zustand sind, dass man sie nicht hätte transportieren dürfen.“

Die folgende Reportage von einem der ältesten und größten Pferdemärkte Europas gibt einen Einblick in das Geschäft.

Ein Besuch auf dem Pferdemarkt im polnischen Skaryszew

Die polnische Bäuerin Alina Bartek klopft ihrer dreijährigen Stute Sonata auf den kräftigen Hals. „Pferdefleisch-Lasagne?“, schüttelt sie sich. „Nie im Leben!“ Sie ist nach Skaryszew gekommen, um das Tier zu verkaufen. Die italienischen Aufkäufer hat sie fest im Blick: „Die kriegen meine Sonata nicht!“

Pedro T. aus Verona hingegen hofft, dass der Lasagne-Pferdefleisch-Skandal ein bisschen Werbung für seine Branche macht. Der kleine Mann zieht die Augenbrauen genießerisch in die Höhe und spitzt die Lippen: „Polnisches Pferdefleisch hat einen ganz besonderen Geschmack. Das Aroma ist unvergleichlich. Eccelente!“

Schon 1433 hatte König Wladyslaw Jagiello dem Dorf Skaryszew südlich der Provinzstadt Radom das Privileg erteilt, einmal im Jahr einen großen Pferdemarkt abhalten zu dürfen. Seither kommen zu Beginn der Fastenzeit bis zu 10 000 Pferdehändler in das ansonsten ruhige 4000-Seelen-Städtchen nach Südostpolen.

Die meisten Pferde enden als Kotelett oder Kabanossi

Als Polen noch ein Agrarstaat war, wurden innerhalb von zwei bis drei Tagen bis zu 5000 Kaltblüter verkauft. Längst hat aber der Traktor die schweren Zugpferde ersetzt. Heute sind es daher gerade noch 300 bis 500 Freizeit-, Therapie- und Schlachtpferde, die auf dem Markt in Skaryszew den Besitzer wechseln.

Die Händler aus Polen, Deutschland, Österreich, Italien und der Slowakei verschaffen sich hier aber auch einen Überblick über den Markt, reisen dann quer durchs Land und kaufen im großen Stil ein. Jedes Jahr produziert Polen rund 60 000 Schlachtpferde, wie das Hauptstatistikamt in Warschau ausweist. Die meisten dieser Warm- und Kaltblüter landen am Ende als Kotelett oder Kabanossi auf den Tellern französischer und italienischer Feinschmecker.

In Verruf gekommen sind Pferdemarkt und Folklorefest im polnischen Skaryszew durch Videoaufnahmen von Tierschützern mit versteckter Kamera. Zu sehen sind Händler, die Pferde mit brutalen Peitschenschlägen in enge und dunkle Transporter prügeln, die liegende Pferde zum Aufstehen zwingen, indem sie ihnen Eisenstangen in den After stecken und diese unter Strom setzen, die den Pferden kurz vor dem Verkauf Salzbeutel vors Maul binden, so dass die Tiere danach literweise Wasser saufen müssen und so ein höheres Verkaufsgewicht auf die Waage bringen.

Eine Stiftung rettet Pferde vor dem Transport zum Metzger

Auch Bilder von verletzten oder auf dem Transport gestorbenen Tieren schadeten dem Ansehen von Skaryszew schwer.

„Wir haben kein Interesse daran, dass Tierquäler den guten Ruf von Skaryszew zerstören“, sagt Rafal Karolak von der Gemeindeverwaltung des Provinzstädtchens. „Wir sind auf die Tierschützer zugegangen, wollen mit ihnen zusammen überlegen, was wir tun können, um die Situation zu verbessern.“ Er zuckt die Schultern. „Aber die sind ganz auf Krieg eingestellt. In Wirklichkeit interessieren die sich gar nicht für das Wohl der Tiere, sondern nur für die mediale Aufregung, die Geld in ihre Kassen spülen soll.“

Polizisten liefen Tag und

Nacht Patrouille

Vier Kontrollpunkte rund um den Pferdemarkt, 30 Tierärzte, darunter der Landes-Tierarzt aus Warschau, Polizisten, die Tag und Nacht Patrouille laufen, sichern in diesem Jahr den Markt. Ein Flugblatt mit dem genauen Lageplan des Marktes fordert jeden Besucher auf: „Sag Nein, wenn Du siehst, dass ein Tier misshandelt wird. Ruf den Tierarzt und die Polizei an!“ Daneben mehrere Telefonnummern. Für die Tierschützer ist das dennoch zu wenig: „Wer guckt schon so genau hin, wenn es dunkel ist. Und für die Langstreckentransporte nach Sardinien interessiert sich auch niemand mehr“, sagt eine Aktivistin verärgert.

Die polnische Bäuerin Alina Bartek wird ihre Stute Sonata am Ende dieses Tages für 8000 Zloty, umgerechnet 2000 Euro, an einen Bauern verkaufen, der sonntags gern mit der Kutsche zur Kirche fährt. Die italienischen Käufer machen mit ihr kein Geschäft.

Unser Leser Peter Hofmann fragt außerdem: „Pferde sind doch teilweise laufende Apotheken. Dürfen sie denn überhaupt zum Verzehr geschlachtet werden? Wie steht es um die Kontrolle auf den Schlachthöfen?“

Vor wenigen Tagen wurde in Großbritannien bekannt, dass Fleisch von Pferden, die mit dem Schmerzmittel Phenylbutazon behandelt wurden, vermutlich in die Nahrungskette gelangt ist. In französischen Tiefkühlprodukten haben Kontrolleure bereits Reste des Medikaments gefunden – wie unser Leser Peter Hoffmann sind daher viele Menschen verunsichert, weil das Mittel schwere Nebenwirkungen wie Darmblutungen auslösen kann.

Grundsätzlich gilt in Deutschland: Pferde, die mit diesem Medikament behandelt wurden, dürfen nicht für den Verzehr geschlachtet werden.

Die gesetzlichen Vorgaben erläutert Professor Günter Klein vom Institut für Lebensmittelqualität und -sicherheit an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover: „Jedes Tier hat einen Pferdepass, in dem dokumentiert werden muss, ob es zur Lebensmittelgewinnung genutzt werden soll oder nicht.“

Schlachttiere werden auf Rückstände untersucht

Wenn der Halter eine Schlachtung vorsieht, dann ist Klein zufolge ein ganzes Spektrum an Medikamenten ausgeschlossen, darunter auch der Entzündungs- und Schmerzhemmer Phenylbutazon. „Diese Mittel dürfen dann definitiv nicht angewendet werden, sondern man muss bei Bedarf auf alternative Mittel zurückgreifen“, bekräftigt er.

Für viele Medikamente, die bei den für den Verzehr vorgesehenen Pferden angewendet werden dürfen, gelten Wartezeiten, innerhalb derer die Tiere nicht geschlachtet werden dürfen. „Im Regelfall sind das sechs Monate, damit das Mittel abgebaut wird“, sagt Klein.

Zusätzlich zum vorbeugenden Verbraucherschutz über den Pferdepass gibt es den sogenannten Nationalen Rückstandskontrollplan für Lebensmittel tierischer Herkunft: Alle Schlachttiere in Deutschland werden nach einem statistischen Schlüssel auf Rückstände untersucht – bei Pferden sind es Klein zufolge 0,5 Prozent der Tiere.

Nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wurden zum Beispiel im Jahr 2010 insgesamt 117 Proben von Pferden auf Rückstände geprüft. 10 dieser Proben hat man auf Phenylbutazon untersucht – in einer Probe wurde der Stoff nachgewiesen.

„Pferdepässe werden regelmäßig kontrolliert“

Aus Sicht des Braunschweiger Reiterhofbesitzers Christopher Kröckel ist das Kontrollsystem gut ausgebaut. „Der Pferdepass ist wie ein Personalausweis – jeder kann in Verbindung mit dem Brandzeichen und dem Chip genau erkennen, um welches Pferd es sich handelt“, sagt er. „Diese Pässe werden zum Beispiel auf Turnieren kontrolliert. Wer nicht angegeben hat, ob das Pferd für die Schlachtung vorgesehen ist oder nicht, wird bestraft.“

Wenn das Pferd schließlich zum Schlachter kommt, wird Kröckel zufolge auch dort der Pass geprüft. „Der Schlachter behält den Pass, denn er wird wiederum vom Veterinäramt kontrolliert. Es ist also alles geregelt. Eigentlich kann in Deutschland in diesem Bereich kein Schindluder getrieben werden.“