Braunschweig.

Seit mehr als einem Jahr streiten Bund und Länder, wie die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll in Deutschland ablaufen soll. Die EU-Abgeordnete Rebecca Harms (Grüne) kämpft seit 35 Jahren im Wendland gegen Gorleben, sie war Mitbegründerin der Bürgerinitiative gegen das atomare Endlager. Seit 2009 ist sie Vorsitzende der Fraktion die Grünen/EFA im Europäischen Parlament. Katrin Teschner sprach mit ihr über die Endlager-Suche.

Die Kanzlerin ist zuversichtlich, dass ein Gesetz zum Neustart der Endlagersuche noch vor der Bundestagswahl gelingen kann. Teilen Sie diese Zuversicht?

Ich kann mir vorstellen, dass ein politischer Kompromiss zwischen den Fraktionen im Bundestag und auch zwischen Bund und Ländern gezimmert wird. Ob das eine gute Grundlage für einen gesellschaftlichen Konsens wird, bezweifle ich. Eine gemeinsame Neubewertung der Risiken im Umgang mit dem Atommüll, wie nach Fukushima versprochen, steht noch aus. Bislang wird keiner der bekannten Entwürfe für ein Endlagersuchgesetz den Anforderungen eines echten Neubeginns gerecht.

Was stört Sie denn konkret?

Über die Fehler von über 35 Jahren Endlagersuche wird nicht geredet. Was soll heute neu und ganz anders gemacht werden? Was spricht für Salz, Ton oder Granit? Was spricht für und gegen die Rückholbarkeit? Welche Regeln können wir heute machen für ein Verfahren, das noch mal Jahrzehnte dauert? Das sind nur einige Fragen, die vor Beginn einer Suche geklärt werden müssten. Die Menschen, die in Regionen mit möglicherweise geeigneter Geologie leben, dürfen nicht mit dem Thema Atommüll überrascht werden wie die Wendländer vor 35 Jahren.

Sie haben Zweifel, dass die Suche ergebnisoffen geführt wird?

Grünen, zur Endlager-Suche
Grünen, zur Endlager-Suche © Rebecca Harms, EU-Abgeordnete der

Bislang gibt es namentlich weiter nur einen Standort für hochaktiven Müll: Gorleben. Wie und nach welchen Regeln andere Regionen und Standorte ausgewählt werden, wird durch den Begriff „weiße Landkarte“ vernebelt. Es mag plausible Argumente dafür geben, Gorleben als Standort nicht fallen zu lassen – aber von einem Neubeginn kann so nicht die Rede sein.

Sie hatten ursprünglich darauf bestanden, Gorleben im neuen Suchverfahren auszuschließen. Haben Sie Ihre Meinung geändert?

Es gibt viele Gründe, die gegen Gorleben sprechen: Ein Deckgebirge als geologische Barriere ist über dem Salzstock quasi nicht vorhanden. Auch in Gorleben gibt es Probleme mit Laugen und Grundwasser. Die Entdeckung von Gas ist ein neues Argument gegen die Eignung von Gorleben. Seit Mitte der 1990er Jahre ist bekannt, dass der Salzstock Gorleben geologisch schlechter geeignet ist als andere Salzstöcke, die bewertet wurden. Es gibt ausreichend Gründe, um Gorleben aus dem Verfahren zu nehmen, wenn man den geologisch besten Standort sucht.

Die Bundes-Grünen sind da anderer Meinung: Nur in einem direkten Vergleich mit anderen Standorten könne Gorleben juristisch wasserdicht ausgeschlossen werden.

Im bisherigen Gesetzesentwurf wird nicht deutlich, wie und nach welchen Regeln Gorleben überhaupt fair mit anderen Standorten und Salz mit anderen Geologien verglichen werden soll. Politische oder juristische Kompromisse dürfen nicht eingegangen werden zulasten der Aufgabe, in einem gesellschaftlichen Konsens den bestgeeigneten Standort auszuwählen.

Nun werden die Bürger kaum Ja zu einem Endlager vor ihrer Haustür sagen. Wie weit darf die Bürgerbeteiligung gehen?

Schon der Arbeitskreis Endlager hatte empfohlen, auf die Bereitschaft der Bürger zu Beteiligung und Verantwortung zu vertrauen. Das geht nur durch starke Rechte der Bürger im Verfahren von Beginn an. Aber es ist nicht einfach, das Misstrauen zu heilen, das durch Intransparenz und Lügen wie zur Asse entstanden ist.

Wie kann das Vertrauen der Bürger wiederhergestellt werden?

Die Bundesregierung sollte mit den Ländern eine Kommission einsetzen, so wie es nach Fukushima zum Atomausstieg gemacht wurde. Einige unabhängige, angesehene Köpfe müssen mit Bürgern und Politik klären, was der beste Weg aus der Sackgasse ist. Dafür sollte man ein bis zwei Jahre ansetzen.

Sie waren in Schweden, wo ebenfalls ein mögliches Atommüll-Endlager gesucht wird. Was machen die Skandinavier anders?

In Schweden wird nach dem Grundsatz gehandelt: Wer Ja sagen soll, muss auch das Recht haben, Nein zu sagen. Einwohner einer möglichen Standortgemeinde können sich ohne Verdienstausfall zwei Tage im Monat von ihrer Arbeit freistellen lassen, um sich in das Thema Endlager einzuarbeiten. Alle Aktivitäten werden vom Endlagerunternehmen finanziert. Bis zur Genehmigung von Konzept und Standort kann die Gemeinde ein Veto einlegen – egal wie viel bereits investiert wurde.

Das kann ein Verfahren allerdings ziemlich in die Länge ziehen.

Wir suchen in Deutschland auch schon seit 35 Jahren nach einem Endlager für hochaktiven Müll. Der Beginn dieser Endlagerung vor 2060 ist ausgeschlossen, wahrscheinlicher ist 2070 oder später. Wir dürfen nichts verschleppen, aber es gibt Zeit, ein Verfahren sorgfältiger zu organisieren.